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Steiler Weg zur Teilhabe

Menschenrechte Bundestag diskutiert sechs Anträge der Opposition zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen

05.12.2011
2023-08-30T12:16:53.7200Z
4 Min

Den dringenden Handlungsbedarf unterstrichen die Oppositionsfraktionen eindrucksvoll: Gleich fünf Anträge, die sich mit den Rechten von Menschen mit Behinderungen befassen, haben sie vergangene Woche vorgelegt. Lediglich einer der am 1. Dezember vom Bundestag erstmals beratenen Anträge ist älteren Datums. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei der "Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention".

Diese 2006 unterzeichnete Konvention ist das weltweit erste Abkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Erstmals werden darin die Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht als Sonderrechte sondern als Menschenrechte deklariert. 2009 ratifizierte der Bundestag das Dokument und bekannte sich damit zum Ziel der Inklusion, also dazu, dass Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben sollen. Der Nationale Aktionsplan (NAP) wiederum dokumentiert sämtliche Maßnahmen der Bundesregierung zur Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft - insgesamt 213 Projekte.

Als zu unkonkret kritisieren SPD, Linke und Grüne den NAP. Diese Kritik wies die Koalition jedoch zurück: "Der NAP ist ein Motor für Veränderungen und kein Gesetzespaket", sagte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in der Debatte.

Viele Vorschläge

Ein Motor allein reicht jedoch der Opposition nicht aus, sie will den NAP als voll funktionstüchtiges Gefährt für Menschen mit Behinderungen verstanden wissen und reichte deshalb detaillierte Anträge ein, die sich eng an den Vorgaben der UN-Konvention orientieren. Drei Anträge kommen von der Fraktion Die Linke, zwei von der SPD und einer von Bündnis 90/Die Grünen. Die Linke fordert in einem Antrag (17/7872), den NAP dem Bundestag als Unterrichtung vorzulegen und so eine umfassende Beratung zu ermöglichen. In einem zweiten Antrag (17/7889) macht sich die Fraktion für ein Teilhabesicherungsgesetz stark. Im Zentrum der Teilhabeleistungen soll die bedarfsgerechte persönliche Assistenz stehen, wobei die Einkommens- und Vermögenssituation der Betroffenen keine Rolle spielen soll. In ihrem dritten Antrag (17/6586) setzt sich Die Linke dafür ein, die Wartezeit auf einen Schwerbehindertenausweis auf fünf Wochen zu begrenzen.

Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag (17/7951) eine Weiterentwicklung des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX), in dem das Leistungsrecht für behinderte Menschen geregelt ist. Denn viele Rehabilitationsträger setzten die Vorschriften des SGB IX nicht oder nur unvollständig um, schreiben die Grünen.

Eine Überprüfung der Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der UN-Konvention fordert die SPD in einem Antrag (17/7942). Die Abgeordneten sprechen sich für ein Konzept des "Disability Mainstreaming" für Politik und Gesetze aus, um die Gesellschaft für die Belange der Betroffenen zu sensibilisieren. In einem zweiten Antrag (17/7827) setzt sich die SPD für einen Tag des barrierefreien Tourismus auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin ein.

Einig im Ziel

In der Debatte bekräftigten alle Redner das Ziel einer inklusiven Gesellschaft, meist, ohne im Detail auf die Anträge einzugehen. Während die Koalition zufrieden auf das Erreichte und optimistisch in die Zukunft blickte, reichte der Opposition dieses nicht aus. "Menschen mit Behinderungen wollen nicht als Bittsteller am Rande der Gesellschaft leben. Sie wollen teilhaben können und nicht teilhaben dürfen", betonte Elke Ferner (SPD). Seit der Ratifizierung der Konvention habe die Regierung lediglich einen "zögerlichen" NAP mit vielen Absichtserklärungen formuliert, der jedoch am Kern des Problems vorbeigehe. Denn "wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem", stellte die SPD-Abgeordnete fest.

Maria Michalk (CDU) zog dagegen ein anderes Resümee: "Die Ratifizierung der Konvention, der NAP, die Aktivitäten des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung beweisen, dass wir auf einem guten Weg sind und nicht die Augen vor den Problemen verschließen."

Schneeballeffekt

Auf einem guten Weg bedeutet aber auch, noch nicht am Ziel zu sein. Das ist auch der Bundesregierung klar. "Wir alle träumen von einer Gesellschaft, in der sich niemand den Zutritt zu einem Geschäft einklagen muss", sagte deshalb Ursula von der Leyen. Der NAP löse einen Schneeballeffekt aus und werde dazu beitragen, dass die Gesellschaft für die Belange von Menschen mit Behinderungen stärker sensibilisiert wird.

Dass dies auch eine Frage von Generationserfahrungen sein kann, machte Gregor Gysi (Die Linke) klar. Seine Generation hege ein "scheues Verhältnis" gegenüber Menschen mit Behinderung, weil sie den Umgang mit ihnen als Kind nicht gelernt habe. Ziel müsse es nun sein, diesen Umgang zu einer völligen Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Auf allen gesellschaftlichen Feldern müsse sich die Gesellschaft "einen Ruck geben", um die gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.

Gabriele Molitor (FDP) sah genau darin das Ziel des NAP. Er stoße einen Veränderungsprozess an, der diese Teilhabe ermöglicht. In Deutschland sei die Gleichstellung aber schon weit vorangeschritten, weshalb die Opposition vorsichtig mit ihren Vorwürfen sein soll, sagte Molitor.

Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) attestierte der Bundesregierung dagegen eine "Blockade und Erstarrung in der Behindertenpolitik". So seien die Teilhabeleistungen immer noch zu unkoordiniert. Angesichts dieser Unübersichtlichkeit würden sich die Akteure "eingraben".