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Modellprojekt Deutschland

NEUE ENERGIEN Über die Ziele herrscht Einigkeit. Bei der Umsetzung setzen die Fraktionen auf verschiedene Instrumente

02.01.2012
2023-08-30T12:17:23.7200Z
5 Min

Im alten Jahr wurden die Weichen gestellt, im neuen Jahr folgt nun die Umsetzung. Als am 11. März 2011 um 14.47 Uhr Ortszeit vor der Ostküste Japans die Erde bebte, dachte in Deutschland niemand daran, dass dies auch die Eckpfeiler der deutschen Energiepolitik erschüttern könnte. Nach der Katastrophe von Fukushima, die zu Kernschmelzen in drei Atomreaktoren führte, kam es 2011 zu einer Zäsur in der deutschen Energiepolitik. Von einer Neubewertung unseres Sicherheitsverständnisses spricht etwa Ursula Heinen-Essen (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium. "Fukushima hat uns vor Augen geführt, wie begrenzt der Mensch Natur und Technik beherrscht", sagte Heinen-Essen Anfang November bei einer Feierstunde zum 40. Jahrestages des Instituts für Energierecht.

Als Reaktion auf die Ereignisse in Japan beschloss die Bundesregierung einen Fahrplan für neue Wege in der Energieversorgung in den kommenden Jahrzehnten: die Energiewende. Am 30. Juni 2011 wurde das entsprechende Gesetzespaket zur Umsetzung der beschleunigten Energiewende mit großer Mehrheit im Bundestag verabschiedet. Neben dem Ausstieg aus der Kernenergie, wonach das letzte Atomkraftwerk bis spätestens Ende 2022 vom Netz gehen soll, sieht das Energiekonzept ambitionierte Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren Energien vor: So soll der Anteil von Energieträgern wie Windkraft, Photovoltaik oder Biomasse bis zum Jahr 2050 mindestens 80 Prozent betragen. Gleichzeitig soll die Energieeffizienz steigen. Dabei soll der Verbrauch von Primärenergie - also der Energie, die in natürlich vorkommenden Energiequellen zur Verfügung steht - bis 2050 im Vergleich zum Jahr 2008 um 80 Prozent sinken. Weitere Schwerpunkte sind hier die Gebäudesanierung und der Ausbau der Elektromobilität. Geplant ist dabei auch, dass der Energieverbrauch im Verkehrsbereich bis zum Jahr 2050 um 40 Prozent sinken soll. Dafür müssten unter anderem bis 2030 rund sechs Millionen Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen rollen.

Als ein weiteres Ziel der Energiewende gilt die Minderung der Treibhausgase. Für Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) spielen neben einer starken moralischen Verpflichtung der Industrieländer auch Wirtschaftsinteressen ein Rolle: "Es geht um eine Bedrohung, aber es geht auch um enorme wirtschaftliche Chancen, weil Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg ohne klimaschützende Technologien, ohne Ressourcenschutz bald schlicht nicht mehr möglich sein wird", sagte Röttgen im Dezember am Rande des EU-Umweltrates in Brüssel.

Bei der Umsetzung der Energiewende drückte die schwarz-gelbe Koalition 2011 aufs Tempo: Fünf Gesetze aus dem Bereich des Bundesumweltministeriums traten bereits im August in Kraft. Das zentrale Gesetz für den Ausbau der erneuerbaren Energien , die sogenannte EEG-Novelle kommt zum 1. Januar 2012 (siehe Seite 3). Mit dem Netzausbau-Beschleunigungsgesetz und der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen schnelleren Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze geschaffen.

Nachdem mit einer großen Zahl von Gesetzen im vergangenen Jahr die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Energiewende gelegt wurden, müssen die beschlossenen Maßnahmen 2012 in die Praxis umgesetzt werden. Eine Aufgabe, die nicht nur zu Streit zwischen Regierung und Opposition, sondern wie beispielsweise bei der Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie auch zu Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition führte (siehe Seite 9). Trotz erkennbarer Gemeinsamkeiten bei der Zielrichtung der Energiewende setzen die Fraktionen für das kommende Jahr eigene Schwerpunkte in der Umweltpolitik.

Kosten überprüfen

Der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien wird einer der Schwerpunkte der Umweltpolitik der CDU/CSU-Fraktion bleiben. Mit der Novelle des EEG seien bereits "wichtige Weichenstellungen" für das Erreichen der Ausbauziele gestellt worden: "Wir werden die Entwicklung beobachten und insbesondere die Kosten für die Bürger stetig überprüfen", kündigte die umweltpolitische Sprecherin der Union, Marie-Luise Dött, an. Für sie ist ein weiteres wichtiges Anliegen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien "natur- und landschaftsverträglich" erfolgt. Zum Erreichen der Klimaziele soll nach dem Willen der Union auch das Potenzial der Erneuerbaren Energien im Wärmemarkt besser genutzt werden. Dafür muss das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz novelliert werden. "Wir haben mit dem Marktanreizprogramm ein gut ausgestattetes Förderprogramm für die Bürger", sagt Dött. Die Union hat ein Gesetz vorgelegt, mit dem energetische Sanierungsmaßnahmen auch steuerlich subventioniert werden sollen. In der Sitzung des Vermittlungsausschusses am 14. Dezember konnte darüber aber erneut keine Einigung erzielt werden. In dem Streit zwischen Bund- und Länderkammer geht es darum, welchen Anteil der Steuerausfälle in Höhe von 1,5 Milliarden Euro die Länder tragen sollen.

Der Koalitionspartner FDP möchte bei den Erneuerbaren Energien 2012 "die Verengung der Debatte auf den Stromsektor beenden", sagte ihr umweltpolitischer Sprecher Michael Kauch. Bei der angekündigten Novelle des Erneuerbaren-Energie-Wärmegesetzes plant die FDP konkret "ein marktbezogenes Förderinstrument, das die Chancen für Ökoheizungen unabhängig vom Bundeshaushalt und vom Energie- und Klimafonds verbessert", erklärte der FDP-Politiker. Daneben müsse der Netzausbau und die Netzintegration Erneuerbarer Energien weiter "politisch begleitet" werden.

Die SPD möchte der nach ihrer Meinung "lahmenden Energiewende" durch gezielte Gesetzesinitiativen neuen Schwung geben. Sie setzt dabei auf einen effizienteren Umgang mit Ressourcen. "Ein rigoroses Effizienzgesetz ist unabdingbar", betonte Michael Miersch. Für den umweltpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion muss ein solches Gesetz aber noch zusätzlich durch eine "verbesserte Wertstoffgesetzgebung" und durch ein Ressourcen-Programm für nachhaltiges Wachstum flankiert werden.

Beim Klimaschutz setzt Miersch auf nationale Regelungen: "Wenn internationale Verhandlungen keine Durchbrüche mehr herbeiführen können, müssen wir gerade in Deutschland fortschrittlicher denken", sagte er. Daher möchte seine Fraktion 2012 ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen. Schon heute, betonte Miersch, sei Umweltpolitik von einem "Kosten- zu einem Nutzenfaktor" geworden. Seine Partei wolle daher 2012 ein ganzheitliches Struktur- und Konjunkturprogramm zur Energiewende vorschlagen.

Mehr Schutz für Verbraucher

Die Fraktion Die Linke möchte die Energiewende nicht nur in energiewirtschaftlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht mitgestalten. "Deutschland muss zum Leuchtturmprojekt in Sachen Energiewende werden", forderte die umweltpolitische Sprecherin der Linken, Eva Bulling-Schröter. Ihre Fraktion weist darauf hin, dass viele Maßnahmen der Energiewende wie die energetische Gebäudesanierung zu Lasten der Mieter gehen könnten. Die Linke plant daher eine Reihe von parlamentarischen Initiativen zur Energieeffizienz-Richtlinie, zur Kraft-Wärme-Koppelungs-Novelle und zur energetischen Gebäudesanierung. Auch der Ausbau von Energiespeichern und der Netzausbau müsse dabei verstärkt unter "Berücksichtigung von Bürgerbeteiligung und Naturschutz" stattfinden, sagte die Vorsitzende des Umweltausschusses. Im Parlament werde sich die Linke, erklärte Bulling-Schröter, "gegen den Missbrauch von Lenkungsinstrumenten zu Gunsten von Konzernen und zu Lasten von Kleinunternehmern und Verbrauchern" einsetzen.

Verbindliche Minderungsziele

Bei den Grünen stehen die Energiewende und der Klimaschutz besonders im Mittelpunkt. "Ein entscheidender grüner Baustein ist ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen CO2-Minderungszielen", sagte Dorothea Steiner als umweltpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Der umweltverträgliche Ausbau von Erneuerbaren Energien müsse durch "verlässliche Rahmenbedingungen für Investoren und ökologische Leitplanken" vorangetrieben werden, erklärte sie. Außerdem wollen sich die Grünen 2012 für eine "ökologische Transformation" der Chemieindustrie einsetzen. Schwerpunkte seien hier die Weiterentwicklung des Europäischen Chemikalienrechts Reach, die Verbesserung des Ökodesigns von Produkten, sowie die Verbesserung des Recyclings. Ein weiterer Schwerpunkt der grünen Umweltpolitik soll der Bodenschutz sein, da sich zerstörte Böden "grenzüberschreitend negativ auf Klima, Wassergewinnung und Artenschutz auswirken", sagte die grüne Umweltpolitikerin.

So vielseitig wie die Aspekte der Energiewende in den Fraktionen behandelt werden, so vielfältig sind auch 2012 die Fragen."Tatsächlich liegt die Umsetzung der Energiewende noch vor uns", schrieb Umweltminister Norbert Röttgen Mitte Dezember in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie sei das "größte Innovations- und Wachstumsprojekt der vergangenen Jahrzehnte", erklärt Röttgen. Wenn dieses Projekt gelinge, werde "Deutschland international zum Modell für Wachstum, Ressourcenschonung, technologische Innovation und Nachhaltigkeit".