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»Merkozy« - das Geheimnis eines Duos

Berlin und Paris Merkel und Sarkozy sind in einer Zweckgemeinschaft verbunden

20.02.2012
2023-08-30T12:17:26.7200Z
6 Min

Welchen Ausgang die Eurokrise auch immer nimmt - und wie im Übrigen auch die französischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr enden: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben die deutsch-französischen Beziehungen tief geprägt. Kennzeichnend dafür steht der 2011 aufgekommene Neologismus "Merkozy": Gäbe es so etwas wie das europäische Wort des Jahres, wäre es ein hervorragender Kandidat für diese Auszeichnung. Dass zwei derart unterschiedliche Persönlichkeiten wie die Bundeskanzlerin und der Staatspräsident zu einem solchen Ganzen verschmolzen sind, sagt viel aus über die Vertrautheit zwischen den beiden Ländern. Früher hätte sich niemand vorstellen können, ernsthaft von "Degaullenauer" oder "Helmutterand" zu sprechen. Warum im Übrigen "Merkozy" und nicht "Françallemagne"?

Merkels Dominanz

Drei Erklärungen sind dafür vorstellbar: Erstens fragt sich jeder, welche Rolle bei diesem Politikerpaar die Anziehungskraft spielt (ach, dieser so romantische Spaziergang am Strand von Deauville im Jahr 2010), zweitens ist es eindeutig die Kanzlerin, die die Führung hat, und schließlich sind die beiden Spitzenpolitiker weiter gegangen, als die traditionelle Partnerschaft zwischen den beiden Ländern es erforderte. Der letzte Punkt ist ohne Zweifel der wichtigste. Immerhin hätten die beiden zur Lösung der Eurokrise die Europäische Kommission drängen können, die Hilfsmaßnahmen zu organisieren.

Nach dem europäischen Jargon also hätten sie auf die Gemeinschaftsmethode und nicht die intergouvernementale Zusammenarbeit setzen können. Zwar unterstützten sie 2004 die Kandidatur von José Manuel Barroso als Kommissionspräsidenten der Europäischen Union nicht. Auf seine Wiederwahl im Jahr 2009 jedoch haben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy entscheidenden Einfluss genommen, und das trotz der Tatsache, dass Barroso 2008 bei der Lehman-Brothers-Krise keine glänzende Rolle gespielt hat. Oder vielleicht, weil er im Gegenteil Frankreich, das im zweiten Halbjahr 2008 die Ratspräsidentschaft innehatte, nicht im Wege gestanden und damit Nicolas Sarkozy ermöglicht hat, sich selbst zum "Präsidenten von Europa" zu proklamieren.

Republikanischer Monarch

Trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten lieben es weder Angela Merkel noch Nicolas Sarkozy, zu delegieren oder die zweite Geige zu spielen. Die deutschen Institutionen zwingen die Bundeskanzlerin zu vielfältigen Kompromissen, die französische Verfassung dagegen macht aus dem Präsidenten einen republikanischen Monarchen. Dies hat zu zahllosen Missverständnissen zwischen den beiden geführt. 2007 brauchte Nicolas Sarkozy lange, um zu verstehen, dass die Kanzlerin ihren damaligen sozialdemokratischen Finanzminister Peer Steinbrück, der die französische Haushaltspolitik kritisiert hatte, nicht öffentlich tadeln kann. Heute sind dem Präsidenten sowohl alle Gemütsregungen der FDP als auch das Gewicht des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe bekannt. In der Zeitschrift "Der Spiegel" fasste am 23. Januar Alain Minc, einer der offiziösen Berater Sarkozys, die Entwicklung von dessen Gedankengängen in Bezug auf Angela Merkel treffend zusammen: "Anfänglich sagte er: Sie will nicht. Jetzt sagt er: Sie kann nicht."

Spektakuläre Annäherung

Man weiß nicht, ob Sarkozy wirklich zwei Jahre gebraucht hat, um die Feinheiten des politischen Lebens in Deutschland zu verstehen. Tatsache ist aber, dass sich "Sarko, der Amerikaner", wie man ihn bei seiner Wahl im Jahr 2007 nannte, zu Beginn seiner Amtszeit wenig für Deutschland interessierte. Nur genug, um es zu umgehen. Keiner seiner engsten Berater sprach deutsch. Zwar spielt Minister Bruno Le Maire die deutschfreundliche Karte gut, die Tatsache jedoch, dass er in der Vergangenheit eng vertraut war mit Dominique de Villepin, ließ ihn lange nur am Rande des Systems Sarkozy stehen. Das Projekt der Union für das Mittelmeer bleibt das augenfälligste Beispiel für diese Neigung des Staatspräsidenten, Berlin zu umgehen.

Die Annäherung an Deutschland seit 2009, die 2008 bei der Vorbereitung der französischen Ratspräsidentschaft in der EU ihren Anfang nahm und vor allem im Jahr 2010 vertieft wurde, ist daher nur umso spektakulärer. "Wenn Sie hören wollen, dass ich nach viereinhalb Jahren im Élysée-Palast gelernt habe, mich in meiner Argumentation weiterzuentwickeln, dann kann ich sagen, das ist so", sagte er kürzlich gegenüber der Pariser Tageszeitung "Le Monde".

Diplomaten geringgeschätzt

Nicolas Sarkozy ist Anwalt. Er liebt es, Fälle zu übernehmen. Langfristige Trends interessieren ihn wenig. Anders als die Kanzlerin äußert er sich selten beunruhigt über den Bevölkerungsrückgang in Europa. Er ist Spezialist für Kräfteverhältnisse, er ist in der Lage, rasch komplexe Situationen zu analysieren, Schwachpunkte seines Gegners zu nutzen und zu erkennen, welche Zugeständnisse nötig sind, um den Sieg davon zu tragen. 1993 verhandelt er mit dem Geiselnehmer in einem Kindergarten der Stadt, in der er Bürgermeister ist; am Sonntag, den 12. Oktober 2008, organisiert er einen Krisengipfel im Élysée-Palast: Lauter Beispiele dafür, dass Nicolas Sarkozy es liebt, in Notfallsituationen zu agieren und die Gepflogenheiten über den Haufen zu werfen. Daher rührt auch seine Geringschätzung für Diplomaten. Schon im Herbst 2008 brauchte er nicht lange, um zu erfassen, dass die Finanzkrise seine Amtszeit erschüttern und eine Stärkung der Partnerschaft mit Deutschland erfordern würde.

Auf Effizienz gesetzt

Die beiden Politiker gehen allerdings häufig von unterschiedlichen Standpunkten aus. Bis heute spricht die deutsche Kanzlerin von Moral und vertraut, wenn es um die Einhaltung von Abkommen geht, Richtern mehr als ihren Amtskollegen, während der französsiche Präsident stärker auf Effizienz setzt und der Politik das letzte Wort einräumen will. Ein Beispiel für diese unterschiedlichen Ansätze: Nach dem "Nein" der Franzosen beim Referendum über den Vertrag von Lissabon im Jahr 2005 liegen der Kanzlerin nichts ferner als die Kniffe, die sich derjenige vorstellt, der bislang nur Präsidentschaftskandidat ist. Er beabsichtigt die Abfassung eines "Mini-Vertrages", der ohne Referendum verabschiedet werden könnte. Das ist eine leicht zu durchschauende Taktik, aber Angela Merkel muss schon 2008 feststellen, dass das französische Parlament diesen neuen Vertrag billigt.

Nichts deutet darauf hin, dass Angela Merkel und Nicolas Sarkozy einander nahe stehen. Man würde derzeit keine Wetten darauf abschließen, dass sie sich auch 30 Jahre nach dem Ende ihrer Amtszeit noch treffen würden, wie von Zeit zu Zeit ihre Amtsvorgänger Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt. Keiner der beiden Spitzenpolitiker möchte jedoch riskieren, als Totengräber des Euros in die Geschichte einzugehen. Außerdem hat jeder verstanden, dass sich im Falle einer Einigung dieser beiden - denn das ist die Stärke der deutsch-französischen Partnerschaft - quasi automatisch etwa zehn Länder anschließen, und dass dies der bestmögliche Ausgangspunkt für eine Einigung der 27 Staaten der Europäischen Union darstellt.

Gegenseitige Abhängigkeit

Der jüngste Vorschlag, einen "Sparkommissar" nach Griechenland zu entsenden, ist bezeichnend. Wie zufällig kam es zu diesem Fauxpas der deutschen Diplomatie am 30. Januar, bei einem Gipfel, der von den beiden Spitzen, die sich seit dem 9. Januar nicht gesehen hatten, nicht so gut vorbereitet worden war wie die vorherigen. Schlussfolgerung: Ohne Deutschland kann Frankreich nichts erreichen und ohne Frankreich kann Deutschland wiederum nicht viel durchsetzen. Dies ist offensichtlich der Hauptgrund dafür, dass Angela Merkel Nicolas Sarkozy unterstützt, sogar noch bevor er bekannt gegeben hat, ob er noch einmal antritt.

Die Wahl zwischen einem Kandidaten, der wie sie dem konservativen Lager angehört und Deutschland zu seinem Vorbild gemacht hat, und einem sozialistischen Herausforderer, der die von Berlin befürwortete Sparpolitik infrage stellt, fällt der Kanzlerin nicht schwer. Es wäre allerdings nichts gefährlicher, als die französische Linke gegen Deutschland aufzubringen. Das weiß Angela Merkel. Und will sie die SPD im Falle eines Wahlsiegs des sozialistischen Kandidaten in Schwierigkeiten bringen, dann muss sie jedes Interesse daran haben, die "Merkollande"-Karte zu spielen. Frédéric Lemaître z

Der Autor ist Deutschlandkorrespondent der französischen Zeitung "Le Monde".