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Die vielen Geschwindigkeiten auf dem Kontinent

Integration Die Euro-Krise forciert die Anstrengungen für einen engeren Zusammenschluss der "Kerngruppe". Die Brüsseler EU-Zentrale warnt vor einer Spaltung

20.02.2012
2023-08-30T12:17:26.7200Z
4 Min

Die Krise um den Euro bewirkt eine enorme Beschleunigung der Verhältnisse in der EU. Das "Kerneuropa", über das die CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers 1994 in einem Papier noch eher theoretisch dozierten, hat in der Realität volle Fahrt aufgenommen - auch wenn maßgebliche Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel bekunden, alle auf dem Weg ins vereinte Europa "mitnehmen" zu wollen. Eine "Fiskalunion", die nach den Beschlüssen des Europäischen Rats am 9. Dezember 2011 und am 30. Januar 2012 zur finanzpolitischen Disziplinierung der Euroländer beschworen wurde, würde diesen Verbund noch enger zusammenführen. Der Graben zum "Rest" würde vergrößert. Großbritannien will den Weg ins engere Europa nicht mitgehen. Der widerstrebende Premier David Cameron blieb dabei aber beim Dezember-Gipfel gegen alle 26 übrigen EU-Länder isoliert. Aber auch Tschechien unterzeichnete beim Gipfeltreffen am 30. Januar den Fiskalpakt nicht.

Angst in Brüssel

In Brüssel schrillen derweil die Alarmglocken. Beim Euro-Krisenmanagement der Staatschefs läuft allzu vieles an der EU-Zentrale vorbei. Schon warnte der um das supranationale Element besorgte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor einer Spaltung zwischen Euro-Ländern und dem Klub der übrigen Staaten. Gleichwohl ist die EU nach den letzten Erweiterungsrunden mit inzwischen 27 Staaten so heterogen geworden, dass nicht alle im gleichen Schritt zusammengebunden werden können - und auch nicht wollen. So zeigt sich Europa neben der Währungsunion seit Jahren auch in anderen Politikfeldern geteilt, ob im Sicherheitsverbund der Schengen-Staaten, in der Sozial- oder in der Verteidigungspolitik.

"Verzerrte Kerngruppe"

Als unbestritten gilt, dass eine Rettung des ehrgeizigen Euro-Projekts ohne engere wirtschafts- und sozialpolitische Integration bis hin zu Eingriffen in die Staatsetats kaum machbar sein dürfte. So sieht der Berliner Politik-Professor und Experte für politische Großgebilde, Herfried Münkler, das Problem Kerneuropas primär in der "verzerrten Kerngruppe" selbst. Länder wie Griechenland und andere kriselnde Süd-Staaten gehörten dort nicht hinein, während wirtschaftlich gesunde und aufsteigende Staaten wie Schweden oder Polen außen vor seien. Münkler hofft, dass sich alles noch "zurechtruckelt". Sollte sich Großbritannien abkoppeln, wäre dies für Münkler undramatisch. London habe sich in eine Blockiererrolle begeben. Schon gibt es Spekulationen über ein Ausscheiden Londons aus der EU. Für Otmar Issing, Ex-Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), wäre dies ein größeres Problem: "Die EU kann schwerlich auf ein Mitglied verzichten, das bei allem nationalen Egoismus als Stimme für freie Märkte gelten konnte." Der Kölner Politologe und Europaexperte, Professor Werner Link, glaubt, dass "die Briten im eigenen Interesse doch noch mitmachen" in Europa. Für ihn bleibt indes ein sich zusammenschließendes Kerneuropa unter deutsch-französischer Führung "die einzige Möglichkeit, die EU zu erhalten". Als positives Beispiel sieht er die proeuropäische Haltung Polens, das nach dem Ostblockzerfall zunächst voll auf die USA setzte und sich inzwischen korrigiert hat. Warschau verschob nun aber die für 2015 geplante Einführung des Euros auf unbestimmte Zeit. Allerdings hat das Land den Fiskalpakt unterschrieben. Vor allem: Polen will bei den Euro-Konferenzen nicht außen vor bleiben. Ob die Kompromissregelung, dass die Nicht-Euroländer einmal im Jahr an den Gipfeln der Eurostaaten teilnehmen zu dürfen, Polen zufriedenstellt, bleibt ungewiss. Der Fiskalpakt jedenfalls sorgt für neuen Konfliktstoff in der EU.

Angstthema Transferunion

Derzeit gilt Brüssels ganze Energie der Ausgestaltung einer Fiskalunion. Manche halten diesen Weg für verhängnisvoll. Professor Wilhelm Hankel, einer der Kläger in Karlsruhe gegen den Euro-Rettungsschirm, wirft den Rettern vor, "selbstherrlich die Märkte ausschalten zu wollen". Eine Fiskalunion dividiere nun die Eurozone auseinander: In Länder, die sich Etateingriffen unterwerfen und dann am Finanzausgleich teilnehmen dürfen, und Staaten, die "Bevormundungen von außen" ablehnen, so Hankel. Ein großes Angstthema ist die schleichende Einrichtung einer Transferunion, um kriselnde Euro-Staaten zu stützen. Die Zeit sei noch lange nicht reif für eine solche Dauer-Solidarität außerhalb der eigenen Nation, sagen Kritiker. Ex-EZB-Volkswirt Issing sieht darin gar eine "tödliche Gefahr für die politische Kohärenz der Währungsunion".

Wie und ob eine Fiskalunion den Euro sichern kann, ist ungewiss. Sie soll dem Maastricht-Vertrag von 1992 Festigkeit geben. In der Zwischenzeit betreiben die EU-Staatschefs weiter intergouvernemental Rettungspolitik. "Die Wirtschaftsregierung sind wir", hat Kanzlerin Merkel gesagt. Anhänger eines vereinten Europas hoffen hier auf die "Methode Schengen": 1985 hatten einige europäische Regierungen im luxemburgischen Schengen ohne Abstimmung mit Brüssel den Abbau von Grenzkontrollen vereinbart. Daraus ist ein erfolgreiches Freizügigkeitsprogramm für weite Teile Europas entstanden. Mittlerweile ist "Schengen" Bestandteil des Lissabon-Vertrags der EU. Professor Link hält solche Schleichwege als notwendigen Teil einer höheren "List der Vernunft" auf dem Weg ins vereinte Europa: "Das Notwendige wird sich durchsetzen."

Demokratie-Debatte

Bleibt das Demokratie-Problem: "Eine Entmündigung der europäischen Bürger" erkennt der Philosoph Jürgen Habermas in dieser Art elitärer Europapolitik. Michael Kelpanides, Soziologie-Professor an der Universität Thessaloniki, verweist auf die Bürger-Skepsis gegen eine rasche finanzpolitische Integration in der EU: Wolle man mehr Demokratie und nehme "die Präferenzen der Bürger ernst - dann muss man die Verlangsamung oder gar Aussetzung des Integrationsprozesses in Kauf nehmen." Heikle Sachverhalte, die den Europa-Politikern noch zu schaffen machen können. Hans Krump z