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Von Familien- und anderen Geschichten

RÜCKBLICK Abstimmungskrimis und Pfui-Rufe: ein Streifzug durch 14 Bundesversammlungen

12.03.2012
2023-08-30T12:17:27.7200Z
4 Min

Wenn am 18. März die 15. Bundesversammlung die Nachfolge des zurückgetretenen Christian Wulff klärt, wird die letzte Bundespräsidentenwahl immerhin schon mehr als 20 Monate zurückliegen. Vor Wulffs Wahl Mitte 2010 waren schließlich nur gut 13 Monate vergangen, seit der später gleichfalls demissionierte Horst Köhler im höchsten Staatsamt bestätigt worden war.

Dergleichen hatte es zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben: Heinrich Lübke, der einzige vor Köhler zurückgetretene Bundespräsident, hatte von seiner zweiten Amtszeit bereits mehr als vier Jahre absolviert, als er im Oktober 1968 seinen vorzeitigen Abschied zum 30. Juni 1969 ankündigte, zehn Wochen vor Ablauf der regulär fünfjährigen Amtsdauer.

Spannende Wahl

Eine Premiere anderer Art bot Köhlers Wiederwahl 2009, bei der mit ihm und seiner SPD-Herausforderin Gesine Schwan erstmals zwei Kandidaten in der Bundesversammlung antraten, die bereits bei der vorherigen Präsidentenwahl aufeinandergetroffen waren. Wie 2004 setzte sich Köhler auch 2009 - jeweils von Union und FDP nominiert - im ersten Wahlgang gegen seine Kontrahentin durch.

Zugleich erinnerte die Konstellation von 2009 an die bislang wohl spannendste Bundespräsidentenwahl, nämlich die vom 5. März 1969. Damals regierten wie im Mai 2009 Union und SPD zusammen in einer Großen Koalition die Bundesrepublik. In der Berliner Ostpreußenhalle aber ließen sie zwei Mitglieder des Bundeskabinetts gegeneinander antreten. Für die Union kandidierte Gerhard Schröder (nicht zu verwechseln mit dem späteren Bundeskanzler), lange Zeit erst Innen-, dann Außen-, schließlich Verteidigungsminister. Für die SPD bewarb sich Justizminister Gustav Heinemann, als CDU-Mitglied unter Adenauer einst selbst Innenminister und mittlerweile Sozialdemokrat.

In den zwei ersten Wahlgängen verfehlten beide die erforderliche absolute Stimmenmehrheit, wobei Heinemann knapp vor seinem Kabinettskollegen lag. Im dritten Wahlgang, bei dem die relative Mehrheit reicht, gewann er mit 50,0 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ausschlaggebend war die FDP, die damit den ersten SPD-Politiker ins höchste Staatsamt wählte - ein Vorbote der sozialliberalen Koalition, die die Union wenig später auf die Oppositionsbänke schickte.

Nicht jede Bundesversammlung bot einen solchen "Wahlkrimi". 1979 und 1984 etwa war das Ergebnis von vornherein klar, da die Union die absolute Mehrheit in dem Gremium hatte. Da nutzte es der SPD 1979 nichts, mit Ex-Bundestagspräsidentin Annemarie Renger erstmals eine Frau ins Rennen zu schicken (siehe Seite 5). Renger, die dem CDU-Mann Karl Carstens unterlag, war dabei für ihre Partei nur "zweite Wahl": Ursprünglich hatte die SPD die Kandidatur dem Physiker und Philosophen Carl-Friedrich von Weizsäcker angetragen, der indes abwinkte. Sonst hätte er wohl mit seinem Bruder Richard die Erfahrung teilen müssen, in der Bundesversammlung zu unterliegen.

Richard von Weizsäcker nämlich stand 1974 als Unions-Bewerber auf verlorenem Posten gegen die sozialliberale Mehrheit und deren Kandidaten Walter Scheel. Beim zweiten Anlauf erhielt Weizsäcker dann 1984 auch zahlreiche SPD-Stimmen und erreichte stolze 80,9 Prozent. Bei seiner Wiederwahl 1989 gab es zum einzigen Mal keine Gegenkandidaten: Der Amtsinhaber galt als Idealbesetzung und wurde mit 86,2 Prozent bestätigt - ein Wert, den nur Gründungspräsident Theodor Heuss bei seiner Wiederwahl 1954 mit 88,2 Prozent übertraf.

Heuss hatte dabei ebenfalls die Zustimmung auch der meisten Sozialdemokraten gefunden. Bei seiner ersten Wahl 1949 musste er sich dagegen noch gegen SPD-Chef Kurt Schumacher durchsetzen, was er im zweiten Wahlgang auch schaffte.

Adenauers »Hü und Hott«

"Pfui"-Rufe gab es bei seiner Wiederwahl 1954 bei Bekanntgabe des Wahlergebnisses, als sich eine Stimme für den noch als Kriegsverbrecher inhaftierten Karl Dönitz fand, 1945 kurzzeitiger Nachfolger Hitlers als Reichspräsident. Dass auf einem weiteren Stimmzettel der Enkel Wilhelms II. und Chef des Hauses Hohenzollern, Louis Ferdinand, als Staatsoberhaupt gewünscht wurde, erregte 36 Jahre nach dem Ende der Monarchie nur noch Heiterkeit. Auch auf Konrad Adenauer entfiel 1954 eine Stimme, obwohl er wie Dönitz und der Preußen-Prinz gar nicht nominiert war. Eng verknüpft ist der Name des ersten Bundeskanzlers mit der folgenden Präsidentenwahl von 1959, für die er zunächst seine Bewerbung angekündigt hatte. Drei Wochen vor der Wahl machte Adenauer einen Rückzieher, um weiter die "Richtlinien der Politik" bestimmen zu können. Heuss-Nachfolger wurde stattdessen Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke (CDU). Bei dessen Wiederwahl 1964 verzichtete die SPD - anders als die FDP - auf einen Gegenkandidaten: Die erste Große Koalition kündigte sich an.

Mit gleich vier Gegenkandidaten hatte es demgegenüber 1994 Roman Herzog zu tun. Als Unions-Bewerber für deren ursprünglichen, dann aber zurückgezogenen Kandidaten Steffen Heitmann aus Sachsen angetreten, konnte sich Herzog erst im dritten Wahlgang mit Unterstützung der FDP gegen Johannes Rau behaupten.

Rau gelang fünf Jahre später der Sprung an die Staatsspitze. Verheiratet mit der Enkelin seines politischen Ziehvaters Heinemann, musste er sich dabei auch gegen dessen von der damaligen PDS nominierten Tochter Uta Ranke-Heinemann durchsetzen, der Tante seiner Frau. Der zweite Sozialdemokrat im höchsten Staatsamt nahm es launig: "An dem Wort ,Familienbande' ist viel Wahres dran", bemerkte Rau - nach seiner Wahl, wohlgemerkt.

Beste Chancen, am 18. März wie Rau und Weizsäcker im zweiten Anlauf eine Mehrheit der Bundesversammlung zu finden, werden dem schwarz-rot-gelb-grünen Kandidaten Joachim Gauck attestiert. 2010 noch musste er sich Wulffs Mehrheit von Union und FDP erst im dritten Wahlgang beugen, in dem zwei weitere Kandidaten nicht mehr angetreten waren.