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Legendäre »Paare«

GESCHICHTE Die Freundschaft mit Paris spiegelt sich auch im Verhältnis der Präsidenten und Kanzler wider

16.04.2012
2023-08-30T12:17:30.7200Z
6 Min

Ende Januar stellte der deutsche Botschafter in Paris eine Meinungsumfrage zum Deutschlandbild der Franzosen vor: 82 Prozent der Franzosen haben ein gutes oder sehr gutes Bild vom Nachbarn im Osten. Und dieses positive Deutschland-Bild hat ein Gesicht. Gefragt, was sie spontan mit Deutschland verbinden, fällt an zweiter Stelle der Name Angela Merkel. Ob umgekehrt die Deutschen Frankreichs Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy mögen, ist mit statistischer Gewissheit nicht zu sagen. Sicherer ist, dass sich Sarkozy und Merkel nach mühsamen Anfang auch persönlich angenähert haben. Sie bilden eines der "Paare" von Präsident und Kanzler, die durch deutsch-französische Aussöhnung, Verständigung und schließlich Freundschaft zum positiven Deutschland-Bild beigetragen haben.

Man lässt die Geschichte der "Tandems", wie der in Frankreich übliche Begriff vom deutsch-französischen Paar meist nüchtern ins Deutsche übersetzt wird, in der Regel mit Charles de Gaulle und Konrad Adenauer beginnen. Nach de Gaulles Rückkehr an die Macht 1958 war Adenauer zunächst skeptisch, ob der Résistance-Held die längst begonnene Verständigungspolitik mit Bonn fortsetzen würde. Der Privatbesuch bei de Gaulle, den Adenauer in seinen Memoiren beschreibt, überzeugte ihn davon trotz vorheriger Bedenken: "Ich war von großer Sorge erfüllt, denn ich befürchtete, die Denkweise von de Gaulle wäre von der meinigen so grundverschieden, dass eine Verständigung zwischen uns beiden außerordentlich schwierig wäre. Es würde das erste Zusammentreffen eines deutschen Regierungschefs mit de Gaulle nach dem Kriege sein."

Beiderseitiges Interesse

Vor dem Hintergrund von Mauerbau und Algerienkrieg war das beiderseitige Interesse an Zusammenarbeit groß. Im Juli 1962 empfing de Gaulle den Bundeskanzler zu einem Staatsbesuch, dessen Höhepunkt der gemeinsame Besuch in der Kathedrale von Reims darstellte. Im September 1962 kam de Gaulle in die Bundesrepublik. Auf dem Bonner Marktplatz wandte er sich auf deutsch an "das große deutsche Volk, jawohl, das große deutsche Volk". Adenauers Dolmetscher Hermann Kusterer erinnert sich in Joachim Fritz-Vannahmes Arte-Film "Ein Freund, ein guter Freund" bewegt an den Jubel, als de Gaulle rief: "Es lebe Deutschland, es lebe Frankreich, es lebe die deutsch-französische Freundschaft."

Vor bald 50 Jahren, am 22. Januar 1963, unterzeichneten de Gaulle und Adenauer in Paris den Élysée-Vertrag. "Auf der ganzen Welt gibt es keinen Menschen", sagte de Gaulle, "der nicht die große Bedeutung dieses Vertrages erfasst. Er wendet nicht nur das Blatt nach einer langen und blutigen Geschichte voller Kampf und Streit, sondern er öffnet auch weit alle Türen zu einer besseren Zukunft für Deutschland, Frankreich und Europa." Adenauer begnügte sich mit der Erwiderung, das alles entspreche auch seiner Auffassung. Die Unterzeichnung wurde mit einem Bruderkuss zwischen den alten Männern abgeschlossen. "De Gaulle war sichtlich tief gerührt", berichtet Kusterer. Das hinderte de Gaulle nicht daran, nach der Unterzeichnung zu analysieren: "In Wirklichkeit werden wir die Zügel dieses Europas in der Hand halten, denn wir haben die Atombombe und den weltweiten Einfluss. So wird es bleiben, solange Deutschland nicht wiedervereint ist."

Am unempfänglichsten für französischen Charme dürfte von allen Kanzlern der Atlantiker Ludwig Erhard gewesen sein. Der Württemberger Kurt Georg Kiesinger dagegen war mit Frankreich vertraut. Georges Pompidou und Willy Brandt wiederum verband wenig. Skeptisch betrachtete Paris Brandts Ostpolitik - wie alles, was Paris als Versuchung interpretierte, ein wenig Westbindung zugunsten von mehr Mitteleuropa und Neutralität aufzugeben.

Das anschließende Paar Valery Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt ist Legende geworden. "Wir nannten uns beim Vornamen", sagt Giscard, "wir redeten miteinander wie alte Bekannte, und bei Gelegenheit luden wir uns gegenseitig ein. Schmidt war ein paar Mal bei mir zum Abendessen, und ich besuchte ihn in Hamburg. Es war eine freundschaftliche Beziehung" und, so Giscard zu Schmidts 90. Geburtstag, "ein Goldenes Zeitalter der deutsch-französischen Beziehungen".

Dabei ließ Schmidt dem Freund stets den politischen Vorrang. Bonn übernahm die Rolle des Wirtschaftsriesen, der ein politischen Zwerg bleiben will. Auch Helmut Kohl machte sich diese Überzeugung zueigen, die auf Adenauer zurückgeht: Die Trikolore muss man dreimal grüßen, die deutsche Flagge nur einmal. Das sei, meinte Kohl, einfach "Akzeptanz von französischem Denken".

Giscard wurde 1981 von François Mitterrand, Schmidt 1982 von Kohl abgelöst. Mit befriedigtem Lächeln erinnerte sich Kohl vor der Arte-Kamera an seinen ersten Paris-Besuch als Kanzler. Um 12 Uhr war sein Kabinett vereidigt worden; um 18 Uhr schritt er die Stufen zum Élysée-Palast hinauf. "Es ist überhaupt keine Frage, dass dieser erste Besuch ein Volltreffer war", bilanzierte Kohl. Dass Mitterrand ihm in der Nachrüstungsdebatte mit seiner Rede vor dem Bundestag 1983 den Rücken stärkte, dürfte Kohl nie vergessen haben. Ihr gemeinsames Geschichtsbewusstsein konzentriert sich in dem Bild, das Kohl und Mitterrand 1984 Hand in Hand auf dem Soldatenfriedhof bei Verdun zeigt. "Das ist das Bild, das mein Leben beherrscht hat", blickte Kohl zurück. Die Geste war nicht abgesprochen: "Während wir da standen, sagte Mitterrand: Geben wir uns die Hand." Die Freundschaft wurde nach dem Mauerfall auf die Probe gestellt. Sie hielt bis zu Mitterrands Tod, aber die Gewichte im deutsch-französischen Paar waren mit der Wiedervereinigung dauerhaft verschoben.

Mitterrand übergab das Präsidentenamt 1995 an Jacques Chirac: Zwischen Kohl und Chirac kam kaum Persönliches zustande. 1998 räumte Kohl das Kanzleramt für Gerhard Schröder, und auch dieser und Chirac hatten einander anfangs wenig zu sagen. Tony Blairs und Schröders "Dritter Weg" sowie Konflikte um Agrarsubventionen vergifteten die Atmosphäre. Der EU-Gipfel in Nizza im Dezember 2000 war ein Tiefpunkt der Beziehungen. Chirac und Schröder reagierten mit der Einrichtung regelmäßiger Begegnungen, erstmals 2001 im elsässischen Dörfchen Blaesheim. Die gemeinsame Front gegen den Irak-Krieg 2003 und die Feiern zum 40. Jahrestag des Élysee-Vertrags verbesserten schließlich auch das persönliche Klima zwischen den beiden: Chirac lud Schröder 2004 zur Gedenkveranstaltung der Landung der Alliierten in die Normandie ein. Die Kraft aber, weiter "Motor" der europäischen Integration zu sein, konstatiert die französische Historikerin Michèle Weinachter, fanden Deutschland und Frankreich seit dem 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht, mit dessen Unterzeichnung Kohl seine europäischen Nachbarn nach der Wiedervereinigung beruhigt hatte, kaum mehr.

Neuer "Honeymoon"

Die seit 2005 amtierende Merkel arrangierte sich zwei Jahre lang mit Chirac, der 2007 sein Amt an Sarkozy übergab. Auch mit ihm hatte Merkel Mühe, obwohl Sarkozy noch am Abend seiner Amtseinführung nach Berlin flog. Mit Gesten Richtung London und der neuen EU-Staaten sowie der längst vergessenen Mittelmeer-Union wollte Sarkozy ein Gegengewicht zum großen Nachbarn schaffen; Unterschiede in Politikstil und Charakter taten ein Übriges. Bis heute, berichtet der Journalist Arnaud Leparmentier, lehne Sarkozy Einladungen in Merkels brandenburgisches Haus ab. Das gemeinsame Krisenmanagement seit 2008 rückte die Frage persönlicher Zu- und Abneigung schließlich in den Hintergrund. Schon 2009 erkannte die Zeitung "Liberation" den neuen "Honeymoon". Als erster deutscher Regierungschef nahm Merkel 2009 an den Feierlichkeiten teil, die alljährlich am 11. November an den Waffenstillstand 1918 erinnern. Ein französischer Soldatenchor sang am Grab des unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe auch die deutsche Nationalhymne. Zwei Tage zuvor hatten beide in Berlin das Jubiläum des Mauerfalls begangen.

Unter dem Druck der Krise wurde Deutschland für Sarkozy in vielen Bereichen zum Modell. Und nachdem Merkel ihre Unterstützung für den Wahlkämpfer Sarkozy bekundet hatte - nicht anders als sie 2009 von Sarkozy unterstützt worden war -, akzeptierte sie am 6. Februar ein gemeinsames Fernsehinterview. Die Wortschöpfung "Merkozy" belegt, dass kaum ein deutsch-französisches Tandem je so intensiv zusammenarbeitete - nicht nur zur Freude der übrigen Europäer. Dass Merkel angeblich Sarkozys Konkurrenten François Hollande nicht empfangen will, ist verständlich - hatte der doch auf dem SPD-Parteitag im Dezember auf deutsch ausgerufen: "Wir gewinnen zusammen." Eine Hoffnung, die sich im Falle seines Wahlsiegs schnell in ein deutsch-französisches Motto ummünzen lässt.

Der Autor lebt als freier Journalist in Paris.