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Schwieriger Austausch

SPRACHKENNTNISSE Trotz vieler Angebote gibt es Rückschritte

16.04.2012
2023-08-30T12:17:30.7200Z
3 Min

Parlez-vouz français? Nicht einmal ein Prozent der Deutschen kann diese Frage voll und ganz bejahen. Und fast 50 Prozent geben aktuellen Statistiken zufolge an, "keine guten" oder "gar keine" Französischkenntnisse zu haben.

Diese schwachen Selbsteinschätzungen mögen verwundern, denn immerhin 1,65 Millionen Schüler lernen hierzulande Französisch. Das sind etwas mehr als 18 Prozent der Gesamtheit aller Schüler. An den Gymnasien sind es sogar 62 Prozent. Aber wie steht es umgekehrt mit den Deutschkenntnissen in der "Grande Nation" ?

Im Nachbarland befasst sich etwa eine Million Schüler im Unterricht mit der deutschen Sprache; ein Drittel weniger als in Deutschland also. Allerdings hat Frankreich auch etwa 15 Millionen Einwohner weniger als Deutschland. Und in den französischen Gebieten außerhalb Europas sind die Sprachen der jeweiligen Nachbarstaaten bzw. -inseln naturgemäß von größerer Bedeutung. Insgesamt lernen auch in den gymnasialen Oberstufen Frankreichs nur noch 15 Prozent der Schüler Deutsch, so das Goethe-Institut in Paris.

Deutsch als Tradition

Viele Franzosen lernten heutzutage nur noch Deutsch, weil es in der Familientradition liege oder sie es früher schon einmal erlernt hätten, analyisiert Björn Akstinat, Geschäftsführer der "Internationalen Medienhilfe". Und dennoch: 15 Zeitungen gibt es derzeit in Frankreich, die sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch verfasst sind; fünf weitere sind rein deutschsprachig. Deutsch werde noch immer von einer Minderheit als Muttersprache gesprochen, vor allem im Elsass und in Lothringen, berichtet Akstinat. Allerdings wolle die französische Regierung die Sprachen der Minderheiten nicht als Regionalsprachen anerkennen. Erst Ende März hätten Minderheiten in ganz Frankreich dagegen demonstriert.

Generell hätten sich die gegenseitigen Sprachkenntnisse zwar etwas verschlechtert, der Grund dafür sei aber einfach, sagt Andrea Schäfer, Leiterin der Sprachabteilung des Goethe-Instituts Paris: Das Angebot an Sprachen habe extrem zugenommen. "Heute kann man in französischen Schulen nicht nur Englisch, Deutsch und Spanisch lernen, sondern an vielen Orten auch Chinesisch, Arabisch, Italienisch und so weiter". Zweite Fremdsprache nach Englisch sei Spanisch, das mehr als 44 Prozent der Schüler in der Oberstufe wählten. "Viele Jugendliche denken, dass Spanisch als romanische Sprache leichter sei als Deutsch", erklärt Schäfer - und fügt hinzu: "Im Abitur sind die Noten aber nicht besser."

Beim Stichwort "Abitur" verweist Andrea Schäfer gern auf das "Abibac", eine Besonderheit in der deutsch-französischen Bildungslandschaft. Das Kofferwort "Abibac" setzt sich aus der jeweils ersten Silbe des deutschen Wortes "Abitur" und des französischen Pendants "Baccalauréat" zusammen und bezeichnet den kombinierten, also deutschen und französischen Abschluss. Es wird seit ziemlich genau 18 Jahren, seit den 63. deutsch-französischen Konsultationen in Mülhausen im Mai 1994 an mehr als 120 Schulen beider Staaten angeboten. Das sei "im europäischen Kontext ziemlich einzigartig", findet sie: "Ich tendiere dazu, diese positiven Aspekte zu betonen und nicht immer einen Rückgang zu beklagen."

Das gegenseitige Interesse an der Sprache ist keine singuläre Erscheinung der Nachkriegszeit. In Deutschland wurde Französisch bereits im Mittelalter unterrichtet; damals allerdings vornehmlich von Hauslehrern bei Hofe. In der Neuzeit erhöhten Aufklärung und Revolution das Interesse an der französischen Sprache. Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sie sich auch an Gymnasien und Universitäten. Der Grund: die zunehmende Vernetzung des gemeinsamen Wirtschaftsraumes.