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Susanne Kailitz
Kurz notiert

Ist große Politik ohne Größenwahn möglich? Nein, findet der Hauptstadtkorrespondent der "Leipziger Volkszeitung", Dieter Wonka. Zu einem gegensätzlich Befund kommt der "Stern-Journalist" Hans-Ulrich Jörges: Größenwahn sei in der politischen Klasse ein "ausgestorbenes Phänomen", stattdessen habe eine "Ära der Demut" eingesetzt. Es ist eine vielstimmige Diskussion mit gänzlich unterschiedlichen Ansichten, die der erste Band der "Edition Lingen Stiftung" mit dem Titel "Größenwahn und Politik" anbietet. Er lässt Journalisten und Politiker gleichermaßen zu Wort kommen und darüber nachdenken, wie gefährlich die Mischung aus "Torheit, Größenwahn und Borniertheit" ist.

Dabei fällt eines auf: Während die Politiker, die sich in dem Band äußern, dies ausgesprochen vorsichtig und fast schon übermäßig selbstkritisch tun, nutzen einige der Journalisten die Gelegenheit, mal richtig draufzuhauen. Wo der ehemalige Finanzminister Theo Waigel einräumt, kein Politiker sei vor Fehlern gefeit, und der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bekennt, es sei leicht, die Bodenhaftung zu verlieren, wenn man allzu oft in den Medien auftauche, beschwert sich Ex-"Bild"-Kolumnist Mainhardt Graf von Nayhauß über die "Großkopferten", die sich an "Insignien der Macht" klammerten. Er sei in 55 Berufsjahren nur einem einzigen Politiker begegnet, der frei von Größenwahn und Eitelkeit geblieben sei.

Wie stark aber auch Journalisten gefährdet sind, "sich gern mal vor, neben und über Gesetz und Moral" zu stellen, stellt der Publizist Hajo Schumacher fest: So engagiert die "berufsmäßigen Empörer sich über jeden Schoppen Freiwein bei Politikern aufregen, so gemäßigt fällt die Kritiklust in der eigenen Branche aus". Und so gilt das Fazit des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin für Politik und Medien in gleicher Weise: "Nimmt man die tägliche Portion von Ehrerbietung und Schmeichelei für bare Münze, so setzt sachte eine Veränderung der Persönlichkeit ein, und die Basis für die Herausbildung von Größenwahn ist gelegt."

Mainhardt Graf Nayhauß (Hrsg.):

Größenwahn und Politik.

Edition Lingen Stiftung, Köln 2012; 112. S., 9,95 €

Aus Politik und Zeitgeschichte

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