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Parlamentarisches Profil : Der Undogmatische: Stephan Kühn

29.05.2012
2023-08-30T12:17:32.7200Z
3 Min

Das war alles Spitz auf Knopf genäht". Stephan Kühn, Verkehrsexperte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, zeigt sich über die verschobene Eröffnung des neuen Berliner Großflughafens BER nicht überrascht. Auch wenn nun mangelhafter Brandschutz letztlich zur Verzögerung führte - Kühn verweist auch auf Probleme beim Check-In oder den Rückstand beim Schallschutzfenster-Einbau für die Anwohner als Mitursachen der peinlichen Verzögerung. Wird der anvisierte 17. März 2013 als neuer Eröffnungstermin gehalten? "Da wage ich keine Prognose", sagt Kühn. Er verweist darauf, dass die vollautomatische Brandschutzanlage erst im Dezember fertig werden soll - und in einer kurzen Zeit dann noch erprobt werden muss.

Müssen Infrastruktur-Großprojekte wie der BER stets später kommen, und zudem viel teurer werden als geplant? Allein das neue Terminal soll 630 Millionen Euro mehr kosten. Kühn plädiert für "neue Ehrlichkeit" bei solchen Projekten. Die Politik müsse herunterkommen von den regelmäßig viel zu niedrig angesetzten "politischen Preisen", weil sie sonst um die Zustimmung bangt. Siehe BER, Elbphilharmonie Hamburg, BND-Bau in Berlin oder City-Tunnel Leipzig. Man brauche "verantwortliche Kostenkalkulationen", die alle Risiken langer Planungszeiten beinhalteten, auch ein "vernünftiges Controlling" und dürfe sich nicht scheuen, Firmen bei Mitschuld an Mehrkosten zu beteiligen, sagt der 32-Jährige.

Den Dresdner ärgern besonders die "vielen Prestige-Großprojekte mit fraglichem Nutzen für den Verkehr" in Deutschland. So die nur mäßig befahrene Ostseeautobahn A 20. Oder Stuttgart 21. Oder die Hochgeschwindigkeitsstrecke München-Berlin mitten durch den Thüringer Wald. Beide brächten für den Güterverkehr kaum etwas, bänden aber 70 Prozent des Schienenetats bis 2020.

In Deutschland wird es immer schwieriger, Großprojekte wegen Bürger-Widerständen zu realisieren. Für Stephan Kühn muss deshalb die Bürgerbeteiligung an den Anfang statt ans Ende der Vorhaben rücken, also schon bei der Raumordnung oder Regionalplanung und nicht erst bei der Planfeststellung. "Auch bei den Grundsatzentscheidungen zu Infrastrukturvorhaben müssen die Bürger mitreden dürfen, nicht nur bei der Frage, wie hoch und lang eine Lärmschutzwand werden soll", sagt Kühn.

Durch sein Wirken als verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion hat Stephan Kühn sein "Hobby zum Beruf" gemacht. Bei der Ost-Umweltvereinigung Grüne Liga kämpfte er in den 90er Jahren gegen die A 17 Dresden-Prag. 1998 trat er den Grünen bei. 2004 bis Anfang 2010 saß er für sie im Dresdner Stadtrat, zuletzt als Verkehrsexperte. Er war auch kurz Landtagsfraktions-Sprecher in seiner Heimatstadt Dresden. In den Bundestag kam er 2009, nachdem der Grünen-Verkehrsexperte Peter Hettlich aus Sachsen überraschend auf eine weitere Kandidatur verzichtet hatte. 2011 wechselte Kühn vom Haushalts- in den Verkehrsausschuss, als der Parteifreund und Ausschusschef Winfried Herrmann als Minister nach Baden-Württemberg wechselte. Kühn koordiniert auch die kleine Landesgruppe Ost der Grünen-Bundestagsabgeordneten.

Stephan Kühn gilt in der Fraktion als sachorientierter, fleißiger Kollege, aus dem noch einiges werden kann. Der junge Abgeordnete ist nicht der rhetorisch versierte Typ "Aktenkofferträger" des politischen Jungdynamikers, der schon alles weiß, sondern eher der bescheidene Typ, der nicht vergisst, dass er erst am Anfang seines politischen Lebens steht. Mit ideologischen Denkweisen und Reflexen, wie sie die Biografie mancher Fraktionskollegen aus dem Westen hergibt, kann er nichts anfangen. So lässt er sich auch nicht bei den "Reformern" oder "Parlamentarischen Linken" in der Fraktion in der Nachfolge der alten Realo-Fundi-Lager einordnen.

Mit seinen 32 Jahren bewegt sich der Diplom-Soziologe bislang nur in der Sphäre der Politik. Das sieht er aber nicht als Makel: "Junge Leute sollen sich in der Politik engagieren und gleichzeitig 20 Jahre Berufserfahrung haben, wie soll das gehen?", fragt Stephan Kühn. Seinen Lebensweg sieht er aber nicht auf Dauer in der Politik. Er könne sich vorstellen, später in einer Nichtregierungs-Organisation zu seinem frühen Umweltengagement zurückzukehren, sagt er. In der "Grünen Tulpe", dem Fußballteam der Fraktion, findet Kühn Ausgleich vom Politikerstress.