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Leben unter Neonazis: Tote Ratten im Briefkasten

ALLTAG Wie sich ein zugezogenes Paar in Jamel behauptet

16.07.2012
2023-08-30T12:17:35.7200Z
3 Min

Hin und wieder ist Birgit Lohmeyer dann doch wieder überrascht. So wie neulich, als ihre Nachbarn am Dorfeingang ein großes Schild aufstellten, das Karikaturen der Schriftstellerin und ihres Mannes zeigt, und den Schriftzug trägt "Die Dorfgemeinschaft grüßt: Die 'Helden' des Nordens".

Die Dorfgemeinschaft, das sind mehrere Neonazis, die sich im Dunstkreis des ehemaligen NDP-Funktionärs Sven Krügers im mecklenburgischen Ort Jamel, wenige Kilometer von der Ostsee entfernt, niedergelassen haben - und denen Birgit und Horst Lohmeyer beharrlich die Stirn bieten. Ein Engagement, für das sie Ende 2011 in einer Gemeinschaftsaktion mehrerer norddeutscher Medien mit dem Titel "Helden des Nordens" ausgezeichnet wurden.

Das Schild sei ja nun wirklich etwas Neues gewesen, findet Birgit Lohmeyer, "da ist im Hintergrund ja wirklich mal gegrübelt und das Ganze dann generalstabmäßig organisiert worden". Normalerweise bewegten sich die Aktionen der Nachbarn eher auf "Bauern-Mobbing-Niveau": tote Ratten im Briefkasten, Tierkadaver über dem Zaun, Nazi-Aufkleber auf dem Briefkasten. Alles "eher simple Anwürfe", findet die Autorin, eben das, womit man bei Neonazis rechnen müsse.

Wegweiser nach Braunau

Wenn die Lohmeyers sich selbst nicht immer wieder Mut machen und die Aktionen ihrer Nachbarn als tumbe Spielchen abtun würden, hätten sie ihre Heimat wohl längst verlassen. Denn in einem Dorf, in dem es monatelang einen Wegweiser nach Braunau, der Geburtsstadt Hitlers, oder einen Findling mit der Aufschrift "Dorfgemeinschaft Jamel, frei - sozial - national" gab, bedarf es einer großen inneren Stärke, sich immer wieder gegen rechte Propaganda zur Wehr zu setzen.

Dabei hätte alles so schön sein können, als das Paar vor acht Jahren nach Jamel zog, weg aus der Hektik des Hamburger Stadtteils St. Pauli, wo beide 15 Jahre lang gelebt und ihre "Erfahrungen mit schwierigen Nachbarn" gemacht hatten. "Wir sind damals sofort gefragt worden, ob wir denn nicht wüssten, wer der Krüger ist", erinnert sich Birgit Lohmeyer, "aber der lebte zu dieser Zeit dort allein mit seiner Mutter und seiner Schwester - da war ja keine Rede davon, dass sich ein Haufen Nazis im Ort ansiedeln würde. Darüber, dass der Abrissunternehmer Nachbarn terrorisierte, sprach niemand. Und auch nicht über die Hakenkreuz-Schmierereien an den Bushaltestellen, die Partys mit lauter Neonazi-Musik und die Kinder, die den Arm zum Hitlergruß hoben. Erst langsam dämmerte den Lohmeyers, dass das Dorf, in dem sie ihr neues Zuhause gefunden zu haben glaubten, zu einer "No-go-Area" wurde.

Inzwischen sitzt Sven Krüger im Gefängnis. Wegen Hehlerei und unerlaubten Waffenbesitzes wurde er im vergangenen Sommer zu vier Jahren Haft verurteilt. Sein Plan, Jamel zur "national befreiten Zone" zu machen, ist dennoch aufgegangen: Sein "Thing-Haus" - angelehnt an den Begriff für alte germanische Gerichtsversammlungen - wurde zum Treffpunkt seiner heimattreuen Gesinnungsgenossen. Etwa zwei Drittel der 35 Dorfbewohner sind Nazis - und der Bürgermeister bekannte vor einigen Monaten, er habe "Jamel aufgegeben". Auch die übrigen Dorfbewohner haben sich mit den Nazis arrangiert.

Die Autorin und der Musiker machten dabei nicht mit. Sie lassen sich nicht von "ein paar Idioten" vertreiben. Seit 2007 veranstalten sie jährlich das Jamel-rockt-den-Förster-Festival auf ihrem Grundstück. Ursprünglich ein Sommerfest für Freunde und Kollegen. Inzwischen ist daraus ein Zeichen für Demokratie und Zivilcourage geworden, erst gefördert durch das Schweriner Innenministerium und seit 2009 unter der Schirmherrschaft von Erwin Sellering (SPD), dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern.

Früher ließen die Lohmeyers zum Festival auch die rechten Nachbarn aufs Gelände. Doch seit vor 2010 zwei betrunkene Nazis einem Gast die Nase gebrochen hätten, "geht die Hälfte unseres Budgets für die Security drauf". Dass sie landesweit viel Unterstützung erhalten, lässt die Lohmeyers durchhalten. "So sind wir einfach davon überzeugt, das Richtige zu tun," erklärt Birgit Lohmeyer. Die 54-Jährige hat trotz allem Verständnis für Menschen, die sich nicht so tatkräftig zur Wehr setzen. "Es soll sich ja gar nicht jeder so weit aus dem Fenster hängen wie wir. Aber man darf doch nicht wegschauen, wenn überall Nazi-Schmierereien zu sehen sind." Es habe sie getroffen, dass sie selbst bei den Nachbarn, die sich nicht als rechts bezeichnen, als Störenfriede gelten. Da heißt es, die Lohmeyers seien Schuld daran, dass das Dorf so in Verruf geraten ist. "Das sind genau die gleichen Reflexe, die Frauen und ihre kurzen Röcke dafür verantwortlich machen, dass sie vergewaltigt wurden."

Die Lohmeyers wollen trotz allem bleiben. Und, zur Abwechslung, für gute Meldungen im Ort sorgen: Am 3. August beginnt ihr nächstes Festival.