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Konstantes Rauschen im Blätterwald

BUNDESTAG IM WANDEL Ob Kernzeit, Zwischenfrage oder Verhaltensregeln - an der Geschäftsordnung des Bundestages wird stetig gefeilt

05.08.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
4 Min

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kam um deutliche Worte nicht herum, als er sich am 23. Februar 2011 in einer Fragestunde und Aktuellen Stunde zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern musste. "Ich war sicher so hochmütig zu glauben, dass mir die Quadratur des Kreises gelingt", sagte er. Er sprach von "Überlastung" und davon, "eine offensichtlich sehr fehlerhafte Doktorarbeit" abgeliefert zu haben. Der Versuch freilich, damit die Plagiatsvorwürfe gegen seine Dissertation zu entkräften, misslang. Die Opposition ließ von ihren Rücktrittsforderungen nicht ab, bezeichnete ihn als "akademischen Hochstapler und Lügner" und so trat Guttenberg eine Woche später als Verteidigungsminister zurück.

Ein anderer hatte mehr Glück: Am 17. Januar 2001 musste sich der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) in Fragestunde und Aktueller Stunde ebenfalls vor den Abgeordneten des Bundestages erklären. Es ging um seine Vergangenheit als linksextremer Straßenkämpfer in Frankfurt am Main Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre und es sah so aus, als stünde seine politische Zukunft auf dem Spiel. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagte extra alle seine Termine ab, um seinem Stellvertreter im Bundestag den Rücken zu stärken. Und so kam es, dass Fischer trotz seiner Buße ("Ich war militant. Ich habe mit Steinen geworfen. Ich war in Prügeleien mit Polizisten verwickelt. Ich habe damals Unrecht getan.") weiter Außenminister bleiben konnte.

Aktuelle Stunden gehören zu den lebendigsten Debatten im Bundestag, geht es doch meist darum, aus vermutetem oder tatsächlichem Fehlverhalten des politischen Gegners Kapital zu schlagen. Tatsächlich scheinen sie also ein Ziel ihrer Erfinder zu erreichen: Denn es war die Forderung nach Belebung der Parlamentsdebatten, die 1965 zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages führte, in deren Zuge die Aktuelle Stunde etabliert wurde - als ein Forum für "Fragen von allgemeinem aktuellen Interesse".

Eigene Geschäftsordnung

Diese Änderung war nicht die erste ihrer Art. 1922 übernahm der Bundestag zunächst die Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages. Erst 1952 trat eine "eigene" Geschäftsordnung in Kraft. Viele kleinere Korrekturen gestalten seitdem kontinuierlich die Arbeitsgrundlage des Bundestages immer wieder neu: So wurden zum Beispiel seit 1951 "Kleine Anfragen" der Opposition an die Regierung nur noch schriftlich beantwortet, 1953 die "Zwischenfrage" und 1990 die "Kurzintervention" eingeführt. Komplexe Parlamentsreformen passten 1969, 1980 und 1995 die Geschäftsordnung des Bundestages und damit die Arbeits- und Organisationsstruktur des Parlamentes an aktuelle Entwicklungen an.

Im Zuge der Reform von 1969 wurde beispielsweise der bisherige Bundestags-Vorstand vom Ältestenrat als Lenkungsorgan des Bundestages abgelöst, der unter anderem den Arbeitsplan des Plenums festlegt. Der Bundestagspräsident bekam ferner einen Vizepräsidenten als Stellvertreter an die Seite; die Mindestmitgliederzahl einer Fraktion wurde von 15 auf 26 erhöht; Enquete-Kommissionen konnten eingerichtet werden; Abgeordnete erhielten eine Mitarbeiterpauschale von 1.500 DM.

1980 änderte der Bundestag die Richtlinien für die Aktuelle Stunde, diese kann nun auch unabhängig von der Fragestunde auf Verlangen einer Fraktion oder mindestens fünf Prozent der Abgeordneten stattfinden. Die Verhaltensregeln für Abgeordnete (Seite 7) wurden ebenso geändert wie bestimmte Minderheitenrechte. 1988 gestaltete der Bundestag nach mehreren Anläufen die "Befragung der Bundesregierung" neu, in deren Rahmen Abgeordnete nach der Kabinettsitzung am Mittwoch die Möglichkeit haben, sich über die Beschlüsse des Kabinetts direkt zu informieren.

Darüber hinaus kann jeder Abgeordnete für die "Fragestunde" bis zu zwei Fragen zur mündlichen Beantwortung an die Regierung stellen, darf diese in zwei Unterfragen unterteilen und durch Zusatzfragen ergänzen. Auch die zunächst nur einmal monatlich stattfindende Fragestunde wurde mehrfach reformiert: Ab 1960 begann jede Plenarsitzung mit einer Fragestunde, seit 1995 konzentriert sich diese auf den Mittwoch einer Plenarwoche.

In den 90er-Jahren veränderten vor allem politische Entwicklungen wie die deutsche Einheit und die europäische Integration die Arbeitsweise des Bundestages. Es wurden, nach der Bildung der Gruppe der PDS 1990, besondere Rechte für Gruppen formuliert. 1994 führte eine Grundgesetzänderung zur Konstituierung des ersten Europa-Ausschusses. Im selben Jahr erhielt auch jede Fraktion das Anrecht auf einen Vizepräsidenten im Präsidium des Bundestages.

Streit ums Rederecht

Die Reform von 1995 hatte nicht nur eine Verkleinerung des Parlaments von 656 auf 598 Abgeordnete zur Folge. Sie führte außerdem die "Kernzeit"-Debatten ein, in denen für besonders wichtig erachtete Themen erörtert werden. Besonderes öffentliches Interesse fanden jedoch umfangreiche Änderungen bei den Abgeordnetenentschädigungen der Parlamentarier (Seite 7).

In der aktuellen Wahlperiode sorgte vor allem ein Antrag des Geschäftsordnungsausschusses zum Rederecht von Abgeordneten für Aufsehen. Demnach hätte der Bundestagspräsident nur noch im "Benehmen mit den Fraktionen" das Recht gehabt, weiteren Rednern das Wort zu erteilen, auch wenn diese nicht auf der Rednerliste stehen. Hintergrund war eine Entscheidung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), in zwei Debatten zur Euro-Stabilisierung im Herbst 2011 "Koalitionsabweichlern" ein Rederecht einzuräumen. Dieser Vorschlag wurde schließlich nach heftiger Kritik wieder verworfen.