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"Klare Alternativen nötig"

INTERVIEW Dietmar Bartsch über die Wahlunlust der Bürger

05.08.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
2 Min

Rutscht die Beteiligung bei der Bundestagswahl erstmals unter 70 Prozent?

Das ist leider nicht auszuschließen. Es muss gemeinsames Anliegen aller demokratischen Parteien sein, um eine hohe Wahlbeteiligung zu kämpfen und noch ist auch die Wahlbeteiligung nicht entschieden.

In den neuen Ländern, wo Ihre Partei die größten Erfolge hat, liegt die Wahlbeteiligung meist deutlich niedriger als im Westen. Was ist die Ursache?

Bei der ersten Volkskammerwahl nach der politischen Wende 1990 hatten wir mit 93,4 Prozent eine höhere Wahlbeteiligung als bei jeder Bundestagswahl. Danach ist die Beteiligung kontinuierlich gesunken. Tatsache ist, dass im Osten in vielen Fragen die Enttäuschung über "die Politik" besonders groß ist. Bei Löhnen und Renten sind die Ostdeutschen weiter benachteiligt, die Arbeitslosigkeit ist hier überdurchschnittlich hoch. Die im Grundgesetz geforderte Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse steht weiter aus.

Dennoch haben viele Bürger den Eindruck, mit Wahlen nichts bewegen zu können. Die große Politik werde sowieso "alternativlos" gemacht, heißt es häufig.

Merkels Behauptung von der Alternativlosigkeit ihrer Politik ist fatal. Allerdings: Bei zentralen Themen der vergangenen Legislaturperiode wie der Banken-Rettung oder den Bundeswehr-Auslandseinsätzen sind Unterschiede zwischen CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen tatsächlich kaum vorhanden. Wir von der Linken wollen akzentuierte Angebote für mehr soziale Gerechtigkeit unterbreiten, wollen von oben nach unten umverteilen. Bei klaren Alternativen kann die Wahlbeteiligung wieder steigen.

Nach neuen Studien sind überdurchschnittlich viele Dauer-Nichtwähler in unteren sozialen Schichten beheimatet. Ist das ein Problem für die Linkspartei?

Das ist ein Problem für die Demokratie insgesamt. Wir haben damit eine Verschiebung, die gesellschaftspolitisch problematisch ist. Wenn der Nichtwähleranteil beim unteren Fünftel der Gesellschaft deutlich höher ist als im oberen Fünftel, geben Wahlen keinen realen Querschnitt der Bevölkerung mehr wieder.

Welche Rolle spielt bei der Wahlunlust die asymmetrische Demobilisierung, also das systematische Einschläfern der Wähler des Gegners, wie es der CDU mit Blick auf SPD-Sympathisanten nachgesagt wird?

Bei der Bundestagswahl 2009 war dieser Einschläferungskurs der CDU erfolgreich. Kanzlerin Merkel versucht jetzt ähnliches wieder. Sie ist damit bisher auch deshalb erfolgreich, weil die SPD keine wirklich klare Alternative zur schwarz-gelben Koalition und keinen Politikwechsel anbietet.

Sehen Sie sinkende Wahlbeteiligungen als Gefahr für die Demokratie?

Es ist eine Gefahr, wenn sich die Ansicht verbreitet, Wahlen brächten sowieso keine Veränderung mit sich. Wir sollten Bundestagswahlen mit Volksentscheiden zu zentralen Fragen verbinden. Auch das kann Menschen zu Wahlen motivieren.