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Privater Zweck - gemeiner Nutzen

HISTORISCHE ENTWICKLUNG Als Alternative zur Ständegesellschaft haben sich im 18. Jahrhundert in Deutschland Vereine entwickelt

19.08.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
3 Min

Vereine sind gut für das Gemeinwesen. Als "Schulen der Demokratie" vermitteln sie, so heißt es, Erfahrung in der Kompromissfindung; als "kleine Republiken" garantieren sie demokratischen Pluralismus, als Non-Profit-Organisationen wirken sie einer reinen Konsumgesellschaft entgegen. Solche Ansprüche und Erwartungen an Vereine sind in der Geschichte des deutschen Vereinswesens begründet. Der historische Rückblick zeigt allerdings, dass die erhofften Effekte nicht notwendig in der Natur der Sache liegen.

Kontrolle und Förderung

Das Vereinswesen wurde in Deutschland im hohen Maß von staatlicher Kontrolle und Förderung geformt. Das zeigt der Vergleich: In Großbritannien wurde die frühe Assoziationsbildung primär von wirtschaftlichen Veränderungen angeregt, die für Statusunsicherheit sorgten. Den Zeitgenossen stellte sich die Frage, mit welchen Personen sie in engeren sozialen Kontakt treten wollten. Eine Antwort darauf boten "clubs", die sich für potenziell interessante Personen öffnen und gegen unerwünschte Personen schließen ließen und in denen man probeweise soziale Beziehungen knüpfen konnte. Ein weiterer Zweig des britischen Vereinswesens bestand aus den Selbsthilfevereinen kleiner Leute, die sich mit Unterstützungskassen gegen die Unwägbarkeiten des Marktes absicherten.

In Deutschland spielte der Markt für die Assoziationsbildung eine weitaus geringere Rolle. Hierzulande wurden die Vereine im späten 18. Jahrhundert vornehmlich von den oft verbeamteten Angehörigen einer gebildeten Mittelschicht getragen. Diese Personen suchten in Vereinen weder Geschäftspartner noch Solidargemeinschaft, sondern eine Alternative zur Ständegesellschaft. Gegen deren Ordnung beriefen sich Lesegesellschaften, Freimaurerlogen, "patriotisch-gemeinnützige" und wissenschaftlich-musische Vereine auf Bildung und Vernunft, die im Verein realisiert werden sollten. Prinzipiell standen diese zeittypischen Bildungsvereine jedermann offen, faktisch jedoch blieb das Bürgertum unter sich.

Gegenüber dem Staat hatten diese bürgerlichen Vereine ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits galt ihnen eine aufgeklärte Monarchie als Bündnispartner gegen ständische Beharrungskräfte. Andererseits unterminierten sie mit ihrem Selbstverständnis die auf Erblichkeit basierende monarchische Legitimität. Entsprechend vorsichtig beäugte die adlige Obrigkeit das Vereinswesen und versuchte, es auf bestimmte Betätigungsfelder festzulegen. So erkannte etwa das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 das Recht auf Assoziationsbildung im Prinzip an. Doch behielt sich der Staat vor, Vereine aufzulösen, wenn sie ihm als "gemeinnützigen Absichten oder Anstalten hinderlich" erschienen.

Diese Gängelung stellte die Weichen für die weitere Vereinsentwicklung. Der Bildung von Parteien und wirtschaftlichen Interessenverbänden war zunächst ein Riegel vorgeschoben und Vereine weitgehend auf den "gemeinnützigen" Bereich von Kultur, Körperertüchtigung und Karitatives beschränkt.

In den 1860ern wurden die Zügel allmählich gelockert, und das Vereinswesen begann, sich funktional auszudifferenzieren. Parteien und Wirtschaftsverbände entstanden. Am weitesten verbreitet waren Vereine, in denen Handwerker und Arbeiter als "aktive" Mitglieder sangen oder turnten, lokale Geschäftsleute vom Wirt bis zum Fabrikbesitzer als "passive" Mitglieder finanzielle Unterstützung leisteten und die örtlichen Spitzen aus Wirtschaft und Politik als "Ehrenmitglieder" ihren Segen gaben. Diese Vereine umfassten zwar Männer aus allen Schichten, bewahrten jedoch zugleich Abhängigkeiten und Statusunterschiede.

Im 20. Jahrhundert verlegte sich der Staat vollends von der Bekämpfung unliebsamer auf die lenkende Unterstützung genehmer Vereine. Im Ersten Weltkrieg erfuhren die Vereine zur Leibesertüchtigung öffentliche Förderung; die Weimarer Republik setzte diese Politik fort und weitete sie auf andere Bereiche wie Chorgesang und Kleingärtnerei aus. Aus dem Machtmittel lokaler Eliten wurde ein Instrument staatlicher Kultur- und Sozialpolitik, was in den 1920er Jahren ein rasches, für Deutschland kennzeichnendes Anwachsen von Dachverbänden zur Folge hatte. Der Grund dafür war, dass der Staat Subventionen versprach und diese über die Verbände verteilte, sofern sie sich zur "Gemeinnützigkeit" verpflichteten.

Inwieweit Vereine "gemeinnützig" wirk(t)en, wäre einzeln zu prüfen. Die Tatsache, dass Vereine meist der Exklusion und Kontrolle gedient haben und ihre Selbstbindung an den "gemeinen Nutzen" dem Staat Förderungswürdigkeit demonstrieren sollte, ist Grund genug, die Selbstauskünfte des Vereinswesens nicht für bare Münze zu nehmen.