Piwik Webtracking Image

Mahmut Özdemir: Stimme der Jungen

30.09.2013
2023-08-30T12:24:05.7200Z
3 Min

Allzu viel Zeit bleibt für das Gespräch in einer Bundestagskantine nicht: Mahmut Özdemir muss zum Flieger. Der in der SPD-Hochburg Duisburg direkt gewählte 26-Jährige hat gerade seine erste Fraktionssitzung absolviert, und schon teilt der Neuling das Schicksal der Abgeordneten: den Termindruck. Özdemir ist der jüngste Volksvertreter. Der Newcomer hat nicht nur das Diktat der Uhrzeit zügig verinnerlicht, er dürfte sich auch rasch in die zerklüfteten Mechanismen der Macht in der Hauptstadt hineinfinden. Ein Greenhorn ist der gediegen gekleidete junge Mann, den man sich schlecht mit langen Haaren in ausgebeulten Jeans vorstellen kann, nämlich nicht. Er hat schon eine zwölfjährige Politkarriere hinter sich: Mit 14 wurde er Chef der Jusos im Duisburger Bezirk Homberg, dann übernahm er diverse Funktionen in der Duisburger SPD, leitet seit 2010 die Homberger Partei, wurde ins Homberger Bezirksparlament gewählt. Während des Jura-Studiums war er Referent der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag.

Ob er sich wie viele junge Leute im szenigen Berliner Nachtleben tummeln wolle? "Das war nie mein Ding", erzählt Özdemir. Abends warte meist noch Arbeit, auf dem Nachttisch lägen Akten, "vorm Einschlafen verschicke ich noch ein paar Emails", und ansonsten sei er nachts müde. So ist das offenbar bei Politprofis.

Den Bundestag nennt er respektvoll den "großen Gesetzgeber", das ist etwas anderes als ein Lokalparlament oder ein Landtag. Gibt es SPD-Mentoren, die Frischlinge in den Parlamentsbetrieb einführen? Er stutzt ungläubig: Nein, dies sei nicht nötig, "die Fraktionsgeschäftsstelle kümmert sich rührend um uns, in der SPD-Familie bleibt man nicht allein". Im Übrigen gelte es, sich "durchzubeißen". Wird man als Neuling nicht automatisch zum Hinterbänkler, der sich seine Sporen noch verdienen muss? Özdemir winkt ab: "Ob Offensivspieler oder Hinterbänkler, das hängt davon ab, wie energisch man ein Thema voranbringt."

Mit dem Durchbeißen hat er schon ganz früh Erfahrungen gesammelt. Als Zwölfjähriger gehörte er zur lokalen Skaterszene, "zuerst wurden wir von einer Kirche, dann von einem Baumarkt, zuletzt von einem Verkehrsunternehmen vertrieben". Schließlich erkämpfte sich die Clique zusammen mit den Jusos bei den Homberger Politinstanzen eine Skaterbahn: "Da habe ich gelernt, dass man hartnäckig bleiben, aber auch basisdemokratisch andere überzeugen muss."

Im Bundestag will Özdemir eine "Stimme der jungen Generation" sein. Dort geht es nicht mehr ums Skaten. Jetzt denkt er an universitäre Lernbedingungen, an die verbreitete Angst, keinen adäquaten Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden und in Praktika zu landen, an befristete Arbeitsverträge. Er kann sich vorstellen, zu diesen Themen konkrete Initiativen mit jüngeren Abgeordneten anderer Parteien zu starten. Aber fraktionsübergreifend "Strukturen bilden" oder "Geheimbünde schaffen", das lehnt er ab.

Am liebsten würde der SPD-Politiker im Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie im Innenausschuss mitmischen. Dort würde er sich für ein Arbeitsgesetzbuch zur Bündelung aller entsprechenden Gesetze und für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen einsetzen. Doch ob auf Anhieb der Sprung in die Wunschgremien gelingt? Unter den Abgeordneten gebe es "viele Verteilungsmechanismen, manches ist Glückssache". Wer weiß.

Für den jüngsten Parlamentarier interessieren sich selbst türkische und holländische Medien. Das hat auch mit seinen türkischen Wurzeln zu tun. Er mache "kein Hehl daraus, dass ich Moslem und türkischstämmig bin, aber ich bin ein Duisburger wie alle anderen", betont Özdemir, bei dem zuweilen der Slang des Ruhrpotts anklingt. Von einer an bestimmte Bevölkerungsgruppen gerichteten speziellen Integrationspolitik hält er wenig. Nötig sei vielmehr Chancengleichheit für alle unabhängig von ihrer Herkunft - bei der Bildungsförderung, bei der Jugendarbeit, auf dem Arbeitsmarkt. "Damit handele ich mir natürlich Kritik vom Establishment der Integrationspolitiker ein", sagt der selbstbewusste Jung-Abgeordnete aus dem Ruhrpott.