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Zäh oder flott

REGIERUNGSBILDUNG Unter Merkel brauchte die Große Koalition 2005 mehr als zwei Monate bis zur Vereidigung

30.09.2013
2023-08-30T12:24:05.7200Z
6 Min

Das kann dauern: "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit", hat Angela Merkel schon am Tag nach ihrem großen Wahlsieg vom 22. September als Devise für die erwarteten Gespräche über eine künftige Regierungskoalition ausgegeben. Da hatte die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende schon "einen ersten Kontakt" mit SPD-Chef Sigmar Gabriel gehabt. Zugleich schloss die Wahlsiegerin, der mit der FDP ihr bisheriger Koalitionspartner abhanden gekommen ist, Kontakte auch mit den Grünen nicht aus.

Weder Sozialdemokraten noch Grüne zeigten sich indes in der Woche nach der Wahl wirklich begeistert von der Aussicht, auf Merkels Regierungsdampfer künftig den Heizer zu geben. Kleine Parteitage von SPD und Grünen sollten am vergangenen Freitag und Samstag etwas mehr Klarheit über die weitere Marschroute bringen.

Langzeitrekord für Merkel

Das alles weckt Erinnerungen als 2005, als die zweite Große Koalition mit einem Rekord startete: Noch nie hatte es nach einer Bundestagswahl so lange gedauert, bis die anschließende Regierungsbildung abgeschlossen war. Rot-Grün war damals abgewählt, aber auch Union und FDP hatten zusammen keine Mehrheit, und mit der Linksfraktion etablierte sich eine fünfte Kraft im Parlament. Schon am Wahlabend hatte zwar der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle einer rot-gelb-grünen "Ampel"-Koalition eine Absage erteilt, doch Spekulationen über ein schwarz-gelb-grünes "Jamaika"-Bündnis fanden erst nach entsprechenden Sondierungen ihr endgültiges Ende. Nach einer Nachwahl in Dresden schließlich nahmen CDU, CSU und SPD am 17. Oktober - rund einen Monat nach dem Wahltag - ihre Koalitionsverhandlungen auf. Insgesamt zogen nach dem Urnengang vom 18. September 65 Tage ins Land, bis mit Merkel am 22. November erstmals eine Frau zur Kanzlerin gewählt und anschließend ihr Kabinett vereidigt wurde.

Am längsten in der Geschichte der Bundesrepublik hatte die Regierungsbildung bis dahin 1961 mit 58 Tagen gedauert. Damals mussten sich Union und FDP nach vier Jahren absoluter CDU/CSU-Mehrheit wieder zu einer Regierung unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) zusammenfinden - wobei die Liberalen die Koalition von einem Rücktritt des Regierungschefs während der neuen Legislaturperiode abhängig machten.

Am schnellsten ging es 1969 und 1983 mit jeweils 24 Tagen. Das mag im März 1983 weniger überrascht haben als 14 Jahre zuvor: Schließlich hatten Union und FDP erst ein halbes Jahr vorher, im September 1982, Koalitionsverhandlungen geführt, bevor sie Kanzler Helmut Schmidt (SPD) mit einem konstruktiven Misstrauensvotum stürzten und den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl zu seinem Nachfolger wählten; jetzt war das neue Bündnis vom Wähler bestätigt und konnte Fahrt aufnehmen.

Ganz schnell 1969

Dagegen war es 1969 nach der ersten Großen Koalition um die erstmalige Bildung eines sozialliberalen Bündnisses gegangen. Auf dieses Bündnis hatten sich die Parteivorsitzenden von SPD und FDP, Willy Brandt und Walter Scheel, noch in der Wahlnacht verständigt, obgleich die Union stärkste Kraft geworden war. Freilich hatte sich die Koalitionsbereitschaft von Sozial- und Freidemokraten schon bei der Bundespräsidentenwahl im März 1969 gezeigt, bei der der SPD-Kandidat Gustav Heinemann mit den Stimmen der Liberalen ins höchste Staatsamt gewählt wurde. Auch 1972 benötigten SPD und FDP mit 26 Tagen eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne bis zum Abschluss der Regierungsbildung.

Einen Sonderfall stellt das Jahr 1976 dar, in dem der Wahltermin mehr als zwei Monate vor dem Ablauf der Legislaturperiode lag. Damals wurde der neue Bundestag am 3. Oktober gewählt, doch endete die vorangegangene Wahlperiode erst am 13. Dezember. Drei Tage später wurde das neue Kabinett vereidigt - 74 Tage nach der Wahl. Wegen des frühen Wahltermins kann diese Frist aber nicht mit den Daten aus den anderen Legislaturperioden verglichen werden.

1980 dann nahm die Bildung der letzten sozialliberalen Bundesregierung 32 Tage in Anspruch. Ebenso lang brauchten Union und Liberale 1994 beim Start der letzten Regierung Kohl, nachdem sie es nach den Bundestagswahlen von 1987 und 1990 immerhin auf 46 beziehungsweise 47 Tage gebracht hatten.

Deutlich schneller ging es bei Rot-Grün 1998 und 2002 mit jeweils 30 Tagen. Sozialdemokraten und Grüne blieben damit auch unter den Zeitspannen, die in den Anfangsjahren der Republik für die Regierungsbildung benötigt wurde: Waren es 1949 bei der ersten, von CDU, CSU, FDP und der Deutschen Partei (DP) getragenen Bundesregierung noch 37 Tage, dauerte es bei der folgenden Bundestagswahl 1953 schon 44 Tage - mit dem im Parlament neu vertretenen "Gesamtdeutschem Block/ Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" als füntem Partner.

Dass die Zahl der Koalitionäre indes nicht unbedingt die Dauer der Regierungsbildung bestimmt, zeigte sich vier Jahre später, als die Union 1957 die absolute Mehrheit geholt hatte, aber gleichwohl die DP mit in die Regierung nahm. Auch jetzt dauerte es wiederum 44 Tage, bis das Kabinett Ende Oktober vereidigt war; die eigentlichen Koalitionsverhandlungen zogen sich mehr als einen Monat hin, vom 20. September bis zum 23. Oktober 1957.

Nach der erwähnten 58-Tage-Spanne von 1961 brauchten CDU, CSU und FDP dann 1965 wieder 37 Tage für die Regierungsbildung. Zu den schnelleren Regierungsbildungen zwischen Union und Liberalen zählt schließlich die von 2009 mit 31 Tagen. Damals ließ Merkel schon einen Tag nach der Wahl vom 27. September wissen, dass sie ihre neue Regierung spätestens am 9. November im Amt sehen wollte, wenn sie die Staats- und Regierungschefs anderer Länder zum 20. Jahrestag des Mauerfalls begrüßen würde. Der Wunsch ging in Erfüllung: Am 28. Oktober wurde sie vom Bundestag erneut zur Kanzlerin gewählt und ihr neues Kabinett vereidigt.

Gemessen wird die Dauer der Regierungsbildungen übrigens vom Tag der Bundestagswahl bis zur Vereidigung des Bundeskabinetts - und nicht etwa bis zur Kanzlerwahl. Das liegt daran, dass der Regierungschef auch schon vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen (einschließlich der Verständigung über die personelle Zusammensetzung des neuen Bundeskabinetts) gewählt werden kann. Dazu ist es bislang in der Bundesrepublik drei Mal gekommen, nämlich bei den ersten drei Wahlen Adenauers zum Bundeskanzler 1949, 1953 und 1957. Beim ersten und beim dritten Mal kamen die Koalitionsverhandlungen einen Tag nach der Kanzlerwahl zum Abschluss; 1953 dagegen setzten sich die Verhandlungen noch zehn Tage nach der Wahl des Regierungschefs fort.

Die Dauer der Regierungsbildung ist auch nicht identisch mit der Dauer der Koalitionsverhandlungen, denn zwischen Wahltag und Verhandlungsbeginn lagen bislang sehr unterschiedliche Zeitspannen: Am längsten dauerte es bis zum Start der Verhandlungen 2005 mit 29 Tagen, am schnellsten ging es dagegen bei Brandt und Scheel 1969 und 1972 mit jeweils nur zwei Tagen.

Auch die Dauer der Koalitionsverhandlungen zeigt deutliche Schwankungen: Lagen zwischen ihrem Beginn und Abschluss 1983 und 1987 jeweils lediglich fünf Tage, waren es nach der Wahl von 1990 ganze 42 Tage. Im Ausnahmefall von 1976 nahmen sich die Koalitionäre sogar 49 Tage Zeit für ihre Verhandlungen.

Im Durchschnitt 37,9 Tage

Koalitionsverhandlungen gingen auch den zwei Regierungswechseln von 1966 und 1982 voraus, die während einer laufenden Legislaturperiode ohne ein erneutes Wählervotum stattfanden. 1966 vergingen vom Bruch der Koalition aus Unionsparteien und FDP am 27. Oktober bis zur Etablierung des Kabinetts der ersten Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) am 1. Dezember 35 Tage. Und 1982 dauerte es nach dem Auseinanderbrechen des sozialliberalen Bündnisses am 17. September bis zur Vereidigung des ersten Ministerriege unter dem neuen Kanzler Kohl am 4. Oktober 17 Tage.

Betrachtet man jedoch nur die Regierungsbildungen nach Bundestagswahlen - ohne den Sonderfall des Jahres 1976 -, wurden dafür in den zurückliegenden 64 Jahren im Durchschnitt 37,9 Tage in Anspruch genommen. Sollte die neue Regierung einen in diesem Sinne durchschnittlichen Start erwischen, könnte sie Ende Oktober vereidigt werden. Der neu gewählte Bundestag jedenfalls soll nach einem Vorschlag von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) am 22. Oktober zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen, also am letztmöglichen Termin - laut Grundgesetz muss dies spätestens am 30. Tag nach der Wahl geschehen.

Die Regierungsbildung muss dann aber noch nicht abgeschlossen sein (siehe Spalte rechts). Sieben Mal wurde das Kabinett einen oder zwei Tage nach der Konstituierung des Parlaments vereidigt; in je drei weiteren Fällen geschah dies binnen einer oder zweier Wochen nach der konstituierenden Sitzung. 1961, 1987 und 1990 dauerte es etwa drei bis vier Wochen, und 2005 verflossen nach der Konstituierung des Bundestages gar 35 Tage, bis die Regierung stand. Wollen die aktuellen Akteure diese Spanne nicht noch überbieten, muss Merkels nächste Ministerriege spätestens am 26. November vereidigt werden.