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Operation Abwarten

AFGHANISTAN Die Bundeswehr zieht sich aus Kundus zurück. Das ist weniger riskant - aber auch schwerer zu vermitteln

02.12.2013
2023-08-30T12:24:08.7200Z
7 Min

Ein Café mit Blick auf die Startbahn, Bildschirme mit den Abflugzeiten, Automaten für Schokoriegel und Cola, Schalter zum Einchecken des Gepäcks, Metalldetektor und Röntgengerät für die Sicherheitskontrolle -der bescheidene Zweckbau könnte auch einer jener neuen Terminals sein, mit der Billigairlines in die Provinz gelockt werden. Doch die Passagiere sind keine Rentner oder Familien auf dem Weg in den Urlaub sondern Soldaten der Bundeswehr im hellbeigen Wüstenflecktarn. Von dem kleinen Terminal am Rande des Flughafens Köln/Bonn fliegen die Soldaten nach Afghanistan. In den letzten Jahren startete von hier aus rund drei Mal wöchentlich ein Airbus A330 voll mit Soldaten auf dem Weg in den Einsatz. Per Linienflug ins Kriegsgebiet.

Anfang nächsten Jahres soll das Mandat der Bundeswehr für Afghanistan ein letztes Mal in der alten Form vom Bundestag verlängert werden. Ende 2014 werden die Soldaten dann nicht mehr als Teil der "Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan" (ISAF) dort sein. Ob es danach wie geplant zu einem Nachfolgeeinsatz für ISAF kommt, ist noch nicht sicher. Zwar hat die afghanische Stammesversammlung Loja Dschirga das mit den USA ausgehandelte Sicherheitsabkommen Ende November gebilligt. Aber Präsident Hamid Karsai weigert sich noch, es auch gegenzuzeichnen. Der Vertrag soll die US-Soldaten vor afghanischer Strafverfolgung schützen. Wird diese Bedingung nicht akzeptiert, ziehen die Amerikaner ab - so wie im Irak als die Forderung nach Immunität nicht erfüllt wurde. Aber Karsai weiß wohl, dass die Abhängigkeit gegenseitig ist. Würde die Nato tatsächlich Ende 2014 überstürzt alle Truppen und alles Material abziehen, wäre dies zwar gefährlich für Afghanistans Machtelite, aber eben auch ein herber Gesichtsverlust für das Bündnis. Als geordnete "Übergabe in Verantwortung" ließe sich der Abzug dann kaum noch darstellen.

Von der Einigung zwischen Washington und Kabul hängt auch der Verbleib der Bundeswehr ab. Wenn die Amerikaner das Land verlassen, werden auch die Deutschen nicht bleiben können. Bei einer Verschlechterung der Lage bräuchte man zwingend die Unterstützung der USA, um die eigenen Truppen schnell zu evakuieren. Läuft doch alles nach Plan, sollen nach 2014 rund 12.000 US-Soldaten im Land bleiben.

Bescheidener Anfang

Ende Dezember dieses Jahres jährt sich der Beginn des deutschen Afghanistan-Einsatzes zum zwölften Mal. Zwei Tage vor Heiligabend 2001 beschloss der Bundestag die Beteiligung an ISAF. Eine Truppe von 1.000 Soldaten sollte für sechs Monate in Kabul die Arbeit der provisorischen afghanischen Regierung sichern. Jenseits der Stadtgrenzen führte eine von den USA angeführte Koalition weiterhin Krieg. Als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 hatte die US-Regierung die "Operation Enduring Freedom" (OEF) begonnen, um dem Terrornetzwerk Al-Qaida das Rückzugsgebiet in Afghanistan zu nehmen. Seit dem 7. Oktober flogen die USA Luftangriffe auf Afghanistan und verdeckt operierende Spezialkräfte am Boden koordinierten die Bombardements mit den Milizen der afghanischen Nordallianz.

Auch Deutschland trat offiziell in den Krieg ein. Die Abstimmung über das Mandat hätte beinahe zum Sturz der damaligen rot-grünen Bundesregierung geführt. Zwar hätte das Mandat in jedem Fall eine Mehrheit bekommen, da auch die damaligen Oppositionsfraktionen CDU/CSU und FDP den Einsatz unterstützen. Da Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aber die volle Unterstützung seiner Koalitionsabgeordneten wollte, verband er die Abstimmung mit der Vertrauensfrage.

Unter anderem enthielt der Bundestagsbeschluss das Mandat zur Entsendung von 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Es war ein Kampfauftrag: Man berief sich auf Artikel 5 des Nato-Vertrages und Artikel 53 der UN-Charta, ging also von einem militärischen Angriff auf die Vereinigten Staaten und einem daraus erwachsenen Selbstverteidigungsrecht der USA und ihrer Verbündeten aus. Das einige Wochen später verabschiedete ISAF-Mandat basierte dagegen nur auf einem Auftrag des UN-Sicherheitsrats.

Als die Bundeswehr 2003 das Lager in Kundus übernahm, war dies der erste Einsatz unter ISAF-Mandat außerhalb Kabuls. Zwei Jahre später wurde das Zuständigkeitsgebiet der ISAF auf das ganze Land ausgeweitet. Der Einsatz wurde offiziell eine Nato-Operation, die Trennung zwischen ISAF und OEF war kaum noch zu erkennen. Galt Kundus lange Zeit als relativ sicher, war es spätestens ab 2007 damit vorbei. Die leichten Geländewagen wurden durch gepanzerte Fahrzeuge ersetzt. Und es wurde geschossen. Erstmals seit 1945 starb im April 2008 ein deutscher Soldat in einem Gefecht.

Der Abzug

Am frühen Abend des 7. September 2013 sind im Lager Kundus heftige Detonationen zu hören. "CAS bei Isa Kehl", tönt es über die Lautsprecheranlage des Lagers. Knapp vier Kilometer entfernt hatten Aufständische einen Kontrollposten der afghanischen Polizei angegriffen. Die Afghanen fürchteten, überrannt zu werden, und baten um Hilfe. Fünf Wochen bevor der letzte deutsche Soldat Kundus verließ, genehmigte der Bundeswehr-Kommandant noch einen Luftangriff. So kurz vor der Übergabe des Lagers an die Afghanen, war dies nicht gerade ein Zeichen dafür, dass man die Lage bei Kundus erfolgreich unter Kontrolle bringen konnte.

Am 19. Oktober verließ dann der letzte Konvoi aus schweren Bundeswehrfahrzeugen und einigen hundert Soldaten das Lager in Kundus. Das blutigste Kapitel des deutschen Einsatzes war damit zu Ende gegangen. Doch zumindest in kleinerem Umfang ist eine Rückkehr nicht ausgeschlossen. Innerhalb des nun afghanischen Lagers gibt es dazu einen eigenen deutschen Bereich: "Contingency Interim Staging Base", eine für Notfälle zeitlich befristete Unterkunft. Sollten die "afghanischen Kameraden dort stark in Bedrängnis geraten", wollen die Deutschen sie "im absoluten Notfall" unterstützen, heißt es.

Die letzte Basis

Am Rande Stadt Masar-i-Scharif liegt die nunmehr letzte deutsche Basis in Afghanistan, zweieinhalb mal anderthalb Kilometer groß. Im Jahr 2005 wurde sie angelegt, um die internationalen Truppen im Norden zu versorgen. Neben rund 2.500 deutschen Soldaten leben hier mindestens noch einmal so viele Soldaten aus anderen Nato-Staaten. Auf dem riesigen Areal mit Geschäften, Pizzeria, Sporthallen und Cafés kann man den Krieg draußen gut vergessen.

In einem Containerbüro in einem streng abgesicherten Bereich der Basis sitzt der oberste deutsche Soldat in Afghanistan: Generalleutnant Jörg Vollmer befehligt als Regionalkommandeur Nord alle ISAF-Truppen im Norden des Landes. Er war schon 2009 einmal auf diesem Posten. Damals führte die Bundeswehr ihre ersten Gefechte. In Berlin konnte man bald nicht länger vermeiden, von einem Krieg zu sprechen.

Jetzt ist Vollmer damit beschäftigt, den Abzug der Truppen zu organisieren. Und er plant für die Zeit nach 2014, wenn das ISAF-Mandat endgültig beendet sein wird. Bleibt es bei der aktuellen Planung, wird der Einsatz vorwiegend daraus bestehen, in dem ebenfalls bei Masar-i-Scharif gelegenen afghanischen "Camp Shaheen" den Kontakt mit afghanischen Stabsoffizieren zu Halten. "Wir werden hier einen Kern von 100 bis 120 Soldaten haben, die den Ausbildungsauftrag wahrnehmen", erläutert Vollmer. Darüber hinaus brauche man Leute, die die medizinische Versorgung, die Bewachung des Lagers, den Transport und den Flugbetrieb sicherstellen. "Wenn sie das zusammenrechnen, kommen Sie schnell auf eine Zahl von 1.200 Soldaten."

Anfang des Jahres hatte die Bundesregierung erklärt, nach 2014 nur noch 600 bis 800 Soldaten im Land zu lassen. Rechnet man von dieser Gesamtstärke noch mindestens 100 bis 200 Soldaten ab, die in den internationalen Stäben in Kabul Dienst tun, bleiben für Unterstützungsleistungen in der Logistikbasis Mazar-i-Scharif nur 300 bis 500 Soldaten. Auch wenn die Bundeswehr viele Aufgaben wie Verpflegung, Wäsche und Abfall längst an private Firmen ausgelagert hat, für den Betrieb des Camps wird man sich noch mehr Unterstützung von Verbündeten holen müssen. Entscheiden kann man noch nichts: Solange unklar ist, ob und in welcher Stärke die USA in Afghanistan und speziell im Norden präsent sein werden, bleibt den Bundeswehrplanern nur das Abwarten.

Schwierige Bilanz

Wie die Lage nach 2014 auch sein wird, für viel mehr als Ergebnisverwaltung werden keine Kapazitäten frei sein. Man könnte eine Bilanz des Einsatzes ziehen. Doch auf politischer Ebene gibt es kaum Bedürfnis über Afghanistan auch nur zu sprechen. Im Wahlkampf war der Einsatz kein Thema mehr. Und auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD fehlt der Hinwies auf eine Bestandsaufnahme.

Eine Bilanz zu ziehen ist schon deshalb schwierig, weil sich die Ziele der Mission über die Jahre immer wieder verändert haben. Standen zu Beginn Demokratisierung und Menschenrechte auf der Agenda, geht es jetzt nur noch darum, das Land einigermaßen bürgerkriegsfrei zu verlassen.

Mit Blick auf den Einsatz in Kundus hat sich das angesehene "Afghan Analysts Network" mit einer ersten Bilanz vorgewagt. Die Regionalwissenschaftler kommen zu dem nüchternen Ergebnis, dass die Bundeswehr vor Ort nur selten versucht habe, "die Machtstruktur aktiv zu beeinflussen". Um sich vor Ort keine Feinde zu machen, habe man die lokalen Machthaber unterstützt. Der Einsatz habe zu einer "Zementierung der existierenden Machtstrukturen" geführt, kritisieren die Forscher in einer jüngst veröffentlichten Studie.

Aus Sicht der jeweiligen Kommandeure ist dieses Vorgehen verständlich, da es die Gefahr für die eigenen Soldaten vermindert. Ehrgeizigeren Zielen aber dürfte es geschadet haben. Dieses Dilemma wird der Bundeswehr in Afghanistan erhalten bleiben: Durch den weitgehenden Rückzug in das Camp bei Masar-i-Scharif wird das Risiko für die Soldaten zwar minimiert. Doch damit fehlen auch Mittel, in das Geschehen eingreifen zu können. Wenn aber die Deutschen auch bei schweren Menschenrechtsverletzungen oder einer Eskalation der Gewalt nicht intervenieren, kann dies die Frage aufwerfen, warum der Einsatz überhaupt noch fortgeführt wird.