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Dr. Gerhard Schick, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Aus Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt

Debatte über die Bankenunion / 54. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am 25. September 2014

Der Bundesfinanzminister hat seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf begonnen, dass eines der Kernprobleme bei der Euro-Staatsschuldenkrise war, dass die einzelnen Mitgliedstaaten für die Rettung ihrer Banken zuständig waren, dass also aus Bankenschulden Staatsschulden wurden. Da stimme ich mit ihm völlig überein. Das ist ein zentrales Problem, das die Steuerzahlerinnen und die Steuerzahler in Europa viele, viele Milliarden gekostet hat, uns noch bis heute beschäftigt und die Haushalte auch noch zukünftig belasten wird. Man muss aber wissen, dass der Zusammenhang zwischen den Bankproblemen und den nationalen Haushalten in der Euro-Zone nicht zwangsläufig so hätte sein müssen oder gar vom Himmel gefallen ist. Es war 2008 vielmehr eine politische Entscheidung, dass es so sein sollte. Im Herbst 2008, als die Bankenkrise auf einen ihrer Höhepunkte zusteuerte, hat die niederländische Regierung nämlich einen Vorschlag gemacht und eine europäische Lösung aufgezeigt, wie man ein gemeinsames Bollwerk gegen die wackeligen Finanzmärkte schaffen könnte. Damals hat es viel Unterstützung für diesen Vorschlag gegeben, aber eine Regierung hat Nein gesagt: die deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel. Es ist überliefert – sehr gut dargestellt in dem Buch von Cerstin Gammelin und Raimund Löw –, dass Nikolas Sarkozy bei den Verhandlungen Anfang Oktober 2008 sehr enttäuscht über Angela Merkel und ihr Nein war – ich zitiere –:

Bei der Verabschiedung … an den Stufen des Élysée lässt er seiner Enttäuschung freien Lauf: „Wenn wir keine europäische Lösung zusammenbringen, dann wird das ein Debakel sein“, klagt Sarkozy … „Aber nicht meines, sondern Angelas Debakel …Und weiter: Angela Merkel habe im Élysée-Palast schlicht Johann Wolfgang Goethe zitiert: „Ein jeder kehr‘ vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier“.

Das war die Logik 2008. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie sauber der Bankensektor in Europa geworden ist. Bis heute ist er voll von Schmodder, weil man damals dem genannten Prinzip der deutschen Bundesregierung gefolgt ist. Und dafür müssen Sie auch Verantwortung übernehmen.

Es ist ja toll, sich als Kanzlerin immer als große Managerin und Retterin und als Finanzminister als großer Europäer darzustellen. An dieser Stelle haben Sie zum Schaden ganz Europas antieuropäisch gehandelt. Und das belastet uns bis heute. Jeder einzelne Staat sah sich nämlich gefangen in der Logik: Wenn ich meinen Banken kein Steuergeld gebe, dann fließt das Geld aus meinem Finanzsektor ab, und dann ist das für meine Wirtschaft ein großes Problem. Diese Logik hat alle Staaten gezwungen, entsprechend zu handeln. Wenn man dies anders gemacht hätte, wäre vieles anders gelaufen. Nun kann man sagen: Das ist vergossene Milch. Aber das Problem ist, dass Sie aus dem Fehler von damals nichts gelernt haben, sondern in den Jahren bis 2012, als das ganze Desaster, das Nikolas Sarkozy vorhergesagt hat – Angelas Desaster –, eingetroffen ist, immer noch gegen die Bankenunion gearbeitet haben und alles getan haben, dass sie nicht kommt. 2012 sind sie nur durch den Druck der anderen europäischen Regierungen gezwungen worden, dem zuzustimmen, was Sie heute vorlegen. Sie haben das nie gewollt. Es geht noch weiter: Sie haben nachher in den Verhandlungen alles getan, damit man gemäß dieser falschen Logik weiterarbeitet. Die Bankenunion tritt aufgrund der Verhandlungen der Bundesregierung später in Kraft, als sie in Kraft treten könnte. Deswegen bleiben die Steuerzahler noch länger im Risiko, als es nötig wäre. Auch das ist ein Fehler, der Ihnen anzukreiden ist. Und Sie haben dafür gesorgt, dass der Abwicklungsfonds noch viele Jahre, nämlich noch bis 2024, nationale Abteilungen und nationale Verantwortung hat und damit erst später ein wirkliches europäisches Konstrukt entsteht.

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Sie begannen Ihre Rede mit der Fehleranalyse, indem Sie sagten: Dass die nationalen Haushalte verantwortlich sind für die Banken, ist eines der zentralen Probleme. – In Verhandlungen haben Sie sich jedoch dafür eingesetzt, dass die nationalen Haushalte noch länger verantwortlich sind für die Bankenrettung. Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Sie bleiben aber auch, leider, bei dem Vorliegenden an ein paar Stellen in einer zweiten gefährlichen Logik. Wenn Banken Schwierigkeiten haben, kann man entweder sagen, man rettet sie – im Zweifelsfall mit Steuergeldern –, oder, man wickelt sie ab. Der Grundsatz des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfes ist richtig. Wir wollen in Zukunft abwickeln. Es gibt allerdings drei Stellen, an denen dieser Grundsatz leider nicht durchgesetzt wird, sondern Sie in der alten, falschen Logik bleiben:

Erstens. Es gibt eine Klausel, die regelt, dass man, wenn es eine Gefahr für die Finanzmärkte gibt, doch wieder retten kann. Genau diese Begründung musste immer wieder für die Bankenrettungen in Irland, Spanien und Zypern herhalten. Insofern ist es eine sehr gefährliche Lücke.

Zweitens bei der Frage der direkten Bankenkapitalisierung. Es ist ja richtig, dass es irgendwo das gibt, was Experten einen Backstop nennen, also sozusagen eine Möglichkeit, im Zweifelsfall noch einzugreifen. Aber da gibt es jetzt zwei verschiedene Wege: Der eine Weg wäre, eine Kreditlinie für den Abwicklungsfonds festzulegen, sodass der ESM den Banken Geld ausleihen kann, das sie später zurückzahlen müssen. Die Verantwortung bliebe so bei den Banken. Vor allem bliebe man so in der Logik des Abwicklungsfonds und seiner Expertise, dass Banken wirklich abgewickelt würden. Oder man kann es wie Sie über die direkte Bankenkapitalisierung machen. Dann wird wieder Steuergeld ins Schaufenster gestellt. Das wollen wir nicht. Da sind Sie in der alten, falschen Logik.

Drittens wird der Grundsatz nicht auf nationaler Ebene umgesetzt. Warum wird jetzt die Bankenrettung in Deutschland gemäß der alten Logik, dass man Steuergeld ins Schaufenster stellt, noch einmal verlängert? Warum wollen Sie in Deutschland noch einmal die Möglichkeit schaffen, im Zweifelsfall Steuergeld für die Bankenrettung einzusetzen? Wir Grünen sind überzeugt: Das Prinzip „Wenn eine Bank ein Problem hat, löst man es mit Steuergeld“ muss endlich der Vergangenheit angehören. Es gibt noch eine Reihe von Fragen zur Ausgestaltung: Kann das Europäische Parlament überhaupt kontrollieren, was dieser Fonds macht? Wie ist die Bankenabgabe im Einzelnen ausgestaltet? Das werden wir diskutieren müssen. Insgesamt aber ist das Projekt einer europäischen Bankenunion richtig. Wir Grüne haben das seit langem gefordert. Wir müssen heute feststellen, dass der Finanzminister das, was er heute vorlegt, nie gewollt hat. Aber es ist gut, dass er sich nicht durchgesetzt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aus Politik und Zeitgeschichte

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