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EDATHY-AFFÄRE I : Das Minutenprotokoll

Nach einer neuerlichen Marathonsitzung bleiben immer noch Fragen offen

22.06.2015
2023-08-30T12:28:04.7200Z
4 Min

Nach 13 Stunden war Schluss. Aber auch 13 Stunden reichten nicht, um zu klären, ob die Vorwürfe gegen die SPD-Spitze, ihren ehemaligen Abgeordneten Sebastian Edathy vor Ermittlungen wegen des Verdachts auf Kinderpornografie gewarnt zu haben, berechtigt sind. Und so entwickelt sich der 2. Untersuchungsausschuss des Bundestages zu einem politischem Marathonlauf. Am vergangenen Donnerstag sollte mit den Zeugen Hans-Peter Friedrich (CSU), Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann (alle SPD) der Zieleinlauf erfolgen. Doch der Ausschuss hängt noch eine Runde an und vertagte sich auf den 1. Juli.

Als letzter Zeuge hatte Oppermann die Gelegenheit, zu den Zweifeln Stellung zu nehmen, die an seiner Rolle in der Edathy-Affäre laut geworden waren. Einer der Zweifel hängt mit einem Telefonat zusammen, das der damalige Parlamentarische Geschäftsführer und heutige Fraktionsvorsitzende der SPD am 17. Oktober 2013 um 15.29 Uhr mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, geführt hatte. Man weiß das so genau, weil ein BKA-Beamter die Uhrzeit aus Zierckes Telefonspeicher ausgelesen hatte. Das war aber nicht mit den Angaben in Einklang zu bringen, die SPD-Chef Sigmar Gabriel im Frühjahr vor dem Innenausschuss gemacht hatte. Demnach hat er frühestens am Abend des 17. Oktober Oppermann über den Verdacht unterrichtet, um den es bei dem Telefonat von beiden Seiten unbestritten ging: Dass nämlich der damalige SPD-Abgeordnete Edathy auf der Kundenliste eines kanadischen Kinderporno-Vertriebs stehe.

Wegen der Zeitdifferenz stand die Frage im Raum: Hatte Oppermann noch einen anderen Informanten, womöglich denselben, durch den Edathy Kenntnis von den Ermittlungen hatte? Denn dass dieser spätestens vor der Durchsuchung seiner Wohn- und Büroräume am 10. Februar gewarnt war, dessen ist sich der Ausschuss inzwischen ziemlich sicher.

Zweifel bleiben Die Vernehmung Gabriels half wenig, den Zweifel auszuräumen. Seine Erinnerung habe sich seit der Aussage vor dem Innenausschuss nicht verändert, sagte er. Angesichts der Diskrepanz zu der gesicherten Zeitangabe zum Telefonat Oppermanns mit Ziercke räumte er dann aber ein, theoretisch könne er Oppermann auch unmittelbar nach seinem Gespräch mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Steinmeier angerufen haben, seine Erinnerung sei aber eine andere. Dieses Gespräch fand nach Angaben beider unmittelbar nach dem Sondierungsgespräch statt, in dem CDU, CSU und SPD die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschlossen. Es begann um 13 Uhr mit einem Treffen der drei Parteivorsitzenden, wurde dann gegen 14 Uhr in der 21er-Runde fortgesetzt, der Gabriel, Steinmeier und für die CSU der damalige Bundesinnenminister Friedrich angehörten, und endete ungefähr um 15.10 Uhr.

Gabriel zufolge hatte ihn Friedrich in einer Sitzungspause von dem Verdacht gegen Edathy unterrichtet. Diese Angabe deckte sich, anders als einige damit verbundene Details, mit der zuvor abgegebenen Darstellung Friedrichs. Er habe unmittelbar nach Sitzungsende Steinmeier unterrichtet, fuhr Gabriel fort, und mit ihm vereinbart, Oppermann, der die Besetzung von Führungsposten in der neuen Fraktion koordinieren sollte, ebenfalls zu informieren. Diese Darstellung unterschied sich insofern von der Steinmeiers, als dieser dem Ausschuss sagte, man habe die schnellstmögliche Information Oppermanns vereinbart und auch, dass Gabriel diesen anrufen sollte. Das ließ sich mit der Version Oppermanns in Einklang bringen. Dieser erklärte dem Ausschuss, er habe sich zwar keine Uhrzeiten notiert, könne aber definitiv sagen, dass er unmittelbar nach der Unterrichtung durch Gabriel bei Ziercke angerufen habe. Er sei nach dem Telefonat mit Gabriel "fassungslos und schockiert" gewesen und habe gehofft, Ziercke würde ihm sagen, dass alles ein Irrtum ist.

Derartige Unterschiede in Zeitangaben und anderen Details durchzogen viele der Zeugenaussagen über die länger als ein Jahr zurückliegenden Vorgänge und trugen dazu bei, dass die meisten Vernehmungen länger dauerten als geplant. So war es auch vergangene Woche, und es betraf nicht nur SPD-Politiker. So sagte Friedrich aus, er habe in der genannter Sondierungsrunde die Nachricht erhalten, er solle dringend seinen Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche anrufen. Das habe er in erwähnter Sitzungspause getan und von dem Verdacht gegen Edathy erfahren.

Er habe dann Fritsche gebeten, noch die Frage der Strafbarkeit beim BKA zu klären. Nach Sitzungsende habe er sich erneut bei Fritsche gemeldet, der ihm die gewünschte Antwort geben konnte. Fritsche dagegen hatte am 21. Mai vor dem Untersuchungsausschuss erklärt, er habe bereits einen Tag früher, am 16. Oktober 2013, Friedrich unterrichtet und ihm dann am Folgetag die Nachfrage beantwortet.

Am 1. Juli wird es nun also mit Oppermann weitergehen. Was an Fragen noch offen ist, dürfte für weitere Stunden Befragung reichen. Und am Ziel winkt nicht einmal ein verlockender Siegerpreis. Vielmehr muss der Ausschuss nach der Sommerpause die Aussagen der 57 Zeugen und viele Regalmeter Akten auswerten, bevor im Dezember der Bundestag über den Anschlussbericht und, womit zu rechnen ist, ein Minderheitsvotum diskutiert.