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FRANKREICH
Christine Longin
Aufrüsten im Anti-Terrorkampf

2.700 neue Stellen will die Regierung schaffen, vor allem bei Polizei und Geheimdiensten. Kosten: 735 Millionen Euro – kein Pappenstiel für das hoch verschuldete Land

„Allgemeine Mobilmachung gegen den Terrorismus“ stand in großen Buchstaben über einem Foto von drei Soldaten mit Gewehren. Es war das Thema der Pressekonferenz, die der französische Premierminister Manuel Valls am 21. Januar im Elysée-Palast gab. Zwei Wochen nach der islamistischen Anschlagserie mit 17 Toten präsentierte die Regierung neue Maßnahmen, mit denen solche Attentate künftig verhindert werden sollen. Eines hatte Valls bereits vorab klargestellt: einen „Patriot Act“ wie in den USA, der die Bürgerrechte einschränkt, wird es in Frankreich nicht geben.

Der Sozialist war nicht alleine gekommen, um die neuen Mittel im Kampf gegen den Terrorismus vorzustellen. Hinter ihm saßen mit ernster Miene die Minister für Inneres, Justiz, Verteidigung und Außenpolitik. Sie alle wissen, dass sie vor einer großen Herausforderung stehen. „Eine Sache ist sicher: die Zahl der radikalisierten Menschen, die auf unserem Boden zur Tat schreiten können, steigt ständig“, warnte der Regierungschef.

Rund 3.000 Menschen müssen wegen terroristischer Aktivitäten überwacht werden. 1.100 neue Stellen sollen dafür in den kommenden drei Jahren allein bei den Geheimdiensten geschaffen werden. Dass es gerade an der Überwachung mutmaßlicher Attentäter hapert, hatte Valls schon direkt nach den tödlichen Überfällen eingeräumt. So wurden die Angreifer auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“, die Brüder Kouachi, monatelang überwacht und abgehört, ohne dass die Beamten Hinweise auf Anschlagspläne fanden. Im Juni 2014 endete deshalb ihre Kontrolle – ein halbes Jahr vor dem Überfall. Der dritte Attentäter Amedy Coulibaly, der bei der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt vier Menschen getötet hatte, wurde nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im März 2014 dagegen gar nicht überwacht. Dabei hatte der 32-Jährige in Haft gesessen, weil er einem der Attentäter auf die Pariser Vorstadtbahn RER 1995 zur Flucht aus dem Gefängnis verhelfen wollte

Eine eigene Datenbank für Entlassene, die wegen Terrorismus verurteilt wurden, soll künftig bei der Kontrolle helfen. Diejenigen, die darin aufgelistet sind, müssen regelmäßig ihre Adresse angeben und auch Auslandsaufenthalte melden. Damit Insassen wie Coulibaly nicht in der Haft zu Dschihadisten werden, wird zudem in den Gefängnissen aufgestockt. Die Zahl der muslimischen Gefängnisseelsorger soll um knapp ein Drittel erhöht werden, um den Einfluss radikaler Prediger zu mindern. Auch der Gefängnis-Geheimdienst soll mehr Personal bekommen. Insgesamt sind in den kommenden drei Jahren knapp 2.700 neue Stellen zur Terror-Bekämpfung geplant, die zusätzlichen Ausgaben liegen bei 735 Millionen Euro. „Diese Anstrengung ist gewaltig, aber sie ist unerlässlich, um die Sicherheit und den Schutz der Franzosen zu garantieren“, sagte Valls.

Der konservativen Opposition gehen die Maßnahmen allerdings nicht weit genug. „Die neuen Stellen auf drei Jahre zu verteilen, scheint mit ungeeignet angesichts des Ausmaßes der Bedrohung“, bemängelte der konservative Abgeordnete Eric Ciotti. Aber ein „Patriot Act à la française“, wie ihn die frühere Haushaltsministerin Valérie Pecresse gefordert hatte, geht selbst in ihrer eigenen Partei, der UMP, einigen zu weit: „Etwas überspitzt würde ich sagen, dass es nicht in Frage kommt, ein Guantanamo in Frankreich einzurichten“, wehrte der ehemalige UMP-Innenminister Claude Guéant im Radio den Vorstoß ab.

Als „lächerlich“ kritisierte der rechtspopulistische Front National (FN) die Vorschläge von Valls. „So lange die Regierung sich weigert zuzugeben, dass der Islamismus auf unserem Boden direkt mit der Immigration zusammenhängt, solange sie die Grenzen nicht wieder einführt, so lange sie die Laschheit der Justiz nicht beendet, solange sie die Worte nicht durch Taten ersetzt, sind Frankreich und die Franzosen bedroht“, wiederholte FN-Generalsekretär Nicolas Bay die bekannten Positionen seiner Partei.

Die Nationalversammlung hatte erst im November ein neues Anti-Terror-Gesetz verabschiedet. Es sieht vor, Dschihadisten auf dem Weg in Kriegsgebiete wie Syrien die Ausreise zu verbieten. Webseiten, die den Terrorismus verherrlichen, können gesperrt werden. Ein weiteres Gesetz, das die Arbeit der Geheimdienste auf eine neue juristische Grundlage stellt, soll ab April in der Nationalversammlung beraten werden.

Den Vorschlag der UMP, Islamisten die Bürgerrechte abzuerkennen, will die Regierung zunächst prüfen lassen. Die Vorsitzenden der Justizausschüsse von Nationalversammlung und Senat, Jean-Jacques Urvoas und Philippe Bas, sollen dazu in den nächsten sechs Wochen Vorschläge ausarbeiten, die dann dem Parlament vorgelegt werden. Der UMP dauert das zu lang: „Sechs Wochen des Nachdenkens scheinen mir völlig unnütz, wenn jeder damit einverstanden ist“, kritisierte Ciotti.

Nationalität entziehen? Klar ist dagegen bereits, dass Islamisten die französische Staatsbürgerschaft aberkannt werden darf, wenn sie einen Doppelpass besitzen. Der Verfassungsrat billigte die Entscheidung der Regierung, einem französisch-marokkanischen Dschihadisten die französische Nationalität zu entziehen. Im Fall der Attentäter von Paris wäre das allerdings nicht möglich gewesen: Sie hatten nur eine Staatsangehörigkeit: nämlich die französische. 

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Paris.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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