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OSTPOLITIK
Alexander Heinrich
Drei Nationen – eine Richtung

Bundestag stellt sich hinter den EU-Kurs der Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau

Weniger Zölle, mehr politische Kooperation und die Angleichung von Rechtsvorschriften: Der Bundestag hat sich in der vergangenen Woche klar hinter die Annäherung der Ukraine, Georgiens und Moldaus an die EU gestellt. Mit der Zustimmung der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu drei Gesetzentwürfen der Bundesregierung (18/3693, 18/3694, 18/3695) sind nunmehr die Voraussetzungen für die Ratifizierung der EU-Assoziierungsabkommen mit diesen drei Ländern von deutscher Seite geschaffen. Die entscheidende Punkte aber, um die die Debatte am vergangenen Donnerstag kreiste, waren nicht die technischen Details dieser tausende Seiten umfassenden Vertragswerke, es ging vielmehr um Grundsätzliches – um die Frage von Krieg und Frieden im Osten des Kontinents und um die Beziehungen zum Nachbarn Russland.

Gemeinsames Haus Für die Fraktion Die Linke war klar: Die Abkommen spalten Europa - zwischen Ost und West, angesichts der zu erwartenden „schweren sozialen Verwerfungen“ in diesen Ländern auch zwischen oben und unten, wie es der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke ausdrückte. Mit dem von Gorbatschow einst anvisierten „gemeinsamen Haus Europa“ habe diese Politik nichts zu tun.

Manfred Grund (CDU) hingegen brachte auf den Punkt, was die anderen Fraktionen an dieser Argumentation nicht nachvollziehen können. Es sei Russlands Präsident Wladimir Putin, der die Wohnung in diesem gemeinsamen Haus kündige. Der Kreml fürchte sich vor dem Erfolgsmodell Polens, „ausgedehnt auf die Ukraine vor seiner Haustür“, sagte Grund und fuhr fort: „Wir bedauern die Selbstisolation Russlands, werden aber gemeinsam mit der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau an diesem gemeinsamen Haus Europa weiterbauen.“ Ganz ähnlich argumentierte die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck: Wer in der Ukraine unterwegs sei, sehe mehr europäische Fahnen als in den Ländern der EU. „Warum? Weil die Menschen in ihr Unglück rennen wollen, vor dem Sie von der Linken sie bewahren wollen?“

Es ist eine vielstimmige Debatte, die die Botschafter der Ukraine, Georgiens und Moldaus und der ukrainische Parlamentspräsident Volodymyr Groysman (siehe Interview auf Seite 2) von der Besuchertribüne verfolgten, doch die Rollen sind klar verteilt: Auf der einen Seite Union, SPD und Grüne, die immer wieder auf das Recht der Völker verweisen, selbst zu entscheiden, welchem Bündnis sie sich anschließen wollen. Auf der anderen Seite die Linke, die die Abkommen als räumlich ausgreifende Interessenpolitik der EU interpretiert, die blind dafür sei, dass man damit Russland auf die Palme bringe.

Andrej Hunko (Die Linke) machte etwa in „Nato-Osterweiterung“ und „EU-Osterweiterung“ die tieferen Ursachen des Konfliktes in der Ostukraine aus. Das Jahr 2014 hätte gezeigt, dass das Abkommen mit der Ukraine „als Entweder-oder“ angelegt gewesen sei. Die Eskalation „sollte uns einmal innehalten und fragen lassen, ob wir nicht eine andere Ostpolitik anvisieren sollten“, die nicht auf Konfrontation mit Russland setze.

Franz Josef Jung (CDU) wies solche „Schuldzuweisungen“ zurück: „Diese Abkommen sind ein deutliches Signal an die freiheitsliebenden und europäisch gesinnten Menschen in der Ukraine, in Moldau und in Georgien.“ Russland habe „alles getan, um diesen Prozess der Annäherung zu erschweren“. Die Abkommen würden sich aber „gerade nicht gegen Russland“ richten, sagte Jung. Es sei richtig, an der Vision eines „gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit Russland von Lissabon bis Wladiwostok“ festzuhalten. „Aber dazu gehören immer zwei Seiten.“

Das sah Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) genauso: Nicht das Angebot der EU-Annäherung sei Ursache der Eskalation, sondern Russlands „völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Destabilisierung“ im Osten des Landes. „Die Aufgaben, die vor unseren Nachbarn liegen, lassen sich ohnehin nicht lösen, wenn sie vor die Wahl zwischen Ost und West gestellt werden.“ Ein bessere Zukunft liege nicht im Entweder-oder, sondern im Sowohl-als auch‘

Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen) sagte: „Das ‚Entweder-oder-Spiel‘ ist vom Kreml aufgemacht worden.“ Die EU werde trotz „aller Unterstellungen vom Kreml“ an ihrem Konzept einer „Transformation durch Werte“ mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freiem Markt festhalten. Als einer der wenigen Redner der Debatte sprach sich Sarrazin für eine klare EU-Perspektive aus. Ohne sie „werden wir eine erfolgreiche Transformation dieser Länder nicht bis zum letzten Schritt erreichen können“.

Reformprogramme Franz Thönnes (SPD) sagte, dass man nicht behaupten könne, in dem fünfjährigen Verhandlungsprozess „jeden Tag alles richtig und nichts falsch gemacht zu haben“. Dies zeige etwa die Tatsache, dass drei weitere Länder der Östlichen Partnerschaft, nämlich Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland, sich vorerst gegen eine EU-Assoziierung entschieden hätten. Klar sei aber auch, „wie stark die Europa-Begeisterung der Menschen in der Ukraine ist und wie stark ihr Wille ist, nach 20 Jahren Korruption und der Ausbeutung durch ein korruptes Staatswesen endlich einen guten Weg Richtung Europa zu gehen“. Bei den „Herkulesaufgaben“ der Reformen gehe es in der Ukraine nun darum, die Erwartungen nicht noch einmal zu enttäuschen – dazu gehöre der soziale Dialog und die Kontrolle der Finanzströme in die Regionen bei der anstehenden Dezentralisierung des Landes.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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