Hinterher ist man immer schlauer. Aber die Ukraine-Krise wäre vielleicht zu verhindern gewesen, wenn die EU dem russischen Präsidenten Putin im Herbst 2013 ein attraktives Angebot gemacht hätte zum Beispiel die Visa-Freiheit für Russen im Schengen-Raum, die er schon seit vielen Jahren fordert. Wäre ein solches Zugeständnis von ernsthaften Gesprächen über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine, Russland und der EU flankiert worden, würde im Osten der Ukraine möglicherweise noch immer Frieden herrschen.
Die Annexion der Krim und die Entfesselung eines Bürgerkriegs im Donbass sind durch nichts zu rechtfertigen. Doch dies ändert nichts daran, dass die EU bei den Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine Fehler gemacht hat. Auf die enge wirtschaftliche Verflechtung des Landes mit Russland wurde zu wenig Rücksicht genommen. Es entstand der Eindruck, Kiew müsse sich zwischen Moskau und Brüssel entscheiden.
Nun sollte bis Ende des Jahres in Ruhe geklärt werden, welche Kritikpunkte Russlands an dem Assoziierungsabkommen berechtigt sind und welche nicht. Das betrifft etwa die Sorge, Waren aus der EU könnten über die Ukraine ungehindert den russischen Markt überschwemmen. Die Gespräche, bei denen die Regierung in Kiew natürlich gleichberechtigt mit am Tisch sitzen muss, könnten Putin zudem zeigen, dass das Angebot ernst gemeint ist, nach Beendigung der Krise eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok ins Auge zu fassen. Putin darf für seine aggressive Politik gegenüber der Ukraine nicht belohnt werden. Aber ohne einen Ausgleich mit Russland wird sich dieses Land kaum stabilisieren lassen.