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BUNDESTAG : Ans Ohr der großen Politik

Wie sich die Städte und Gemeinden beim Bund um mehr Gehör bemühen

07.03.2016
2023-08-30T12:29:57.7200Z
5 Min

Ein Mangel an Zuwendung wäre derzeit das Letzte, worüber Alexander Handschuh sich beklagen könnte. Ganz im Gegenteil: Sechsmal allein in den vergangenen sechs Monaten habe die Kanzlerin die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der kommunalen Spitzenverbände Deutschlands zum Gespräch empfangen. Handschuh, Referatsleiter für Planung und Politische Koordination beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, findet das außerordentlich: "Das ist eine Frequenz, die es früher nicht gab. Wir haben das sehr begrüßt."

Freilich besteht zwischen Bund und Kommunen derzeit auch einiger Redebedarf. "Es geht ja nicht ohne uns", sagt Helmut Dedy, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, und meint die Aufgabe, hunderttausende Neuzuwanderer zu integrieren. Ohne Schulen, Kitas, Volkshochschulen, ohne die Leistung der Kommunen? "Kaum denkbar", findet Dedy. Die Krise als Chance: Sie bringt verfestigte Verhältnisse aus dem Lot, beschert Städten und Gemeinden einen Zuwachs an Beachtung. Dass neuerdings "unsere Belange in der Bundespolitik aufgewertet werden", ist aus Handschuhs Sicht das erfreuliche Fazit.

Mehr Mitsprache Geht es nach dem Buchstaben des Grundgesetzes, dürften Bund und Kommunen nicht viel miteinander zu schaffen haben. Städte und Gemeinden sind demnach Bestandteile der Länder und unterliegen deren Verantwortung und Zuständigkeit. Das gilt nicht zuletzt für ihre "auskömmliche" Finanzausstattung, woran Bundespolitiker gelegentlich gerne erinnern. Seit der Föderalismusreform von 2006 ist es dem Bund sogar ausdrücklich verboten, den Kommunen Aufgaben direkt zu übertragen.

Andererseits weist ihm das Grundgesetz die Rolle des Garanten "einheitlicher", wenigstens "gleichwertiger" Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu. Das Wohlergehen der Kommunen, wo nach Handschuhs Worten "das Gemeinwesen mit seinen Bürgern in Kontakt tritt", ist damit auch eine Sorge der Bundespolitik. Es kann sie auf die Dauer nicht unberührt lassen, wenn etwa die Kassenkreditverschuldung, der Hauptindikator prekärer kommunaler Finanzverhältnisse, im Saarland je Einwohner 1.985 Euro und in Baden-Württemberg nur 15 Euro beträgt.

Zuständigkeit der Länder, Gesamtverantwortung des Bundes, in diesem Spannungsfeld bewegen sich in Berlin die kommunalen Spitzenverbände. Als "Sprachrohr und Ohr der Kommunen", wie Handschuh formuliert. Nach Dedys Worten als "Bundespoststelle für die deutschen Städte". Manches spricht dafür, dass ihre Möglichkeiten, Gehör zu finden, sich in den vergangenen Jahren erweitert haben, und dies schon bevor die Flüchtlingskrise den Gesprächsbedarf überhand nehmen ließ.

Im Bundestag gibt es seit 2010 erstmals nach vier Jahrzehnten wieder eine feste Adresse für ihre Anliegen, den "Unterausschuss Kommunales", an dessen Sitzungen die Vertreter der Spitzenverbände als Gäste mit Rederecht teilnehmen (siehe Beitrag unten rechts). Er darf zwar nur dem Innenausschuss Empfehlungen aussprechen, aber dennoch: "Es gibt einmal mehr die Möglichkeit, im politischen Prozess etwas zu betonen", sagt Dedy. Der Unterausschuss sei "der geborene Ansprechpartner für uns, das nutzen wir auch".

Eine weitere Stärkung kommunaler Mitsprache brachte 2011 die Gemeindefinanzkommission der schwarz-gelben Koalition. Zwar hatte dabei der Wunsch der FDP nach Abschaffung der Gewerbesteuer Pate gestanden, woraus nichts wurde. Unerfüllt blieb auch die Forderung der Kommunalvertreter, die Verfassung zu ergänzen um ein Mitwirkungsrecht an Gesetzen, von denen Städte und Gemeinden betroffen sind - immerhin 80 Prozent der nationalen und 60 Prozent der europäischen Gesetzgebung. Jedoch wurde die Geschäftsordnung des Bundestages entsprechend geändert. Seit 2012 gilt, dass in Anhörungen zu Gesetzentwürfen, die "wesentliche Belange von Gemeinden und Gemeindeverbänden" berühren, deren Vertreter das Recht auf das erste Wort haben, und zwar außer der Reihe der von den Fraktionen im jeweiligen Ausschuss benannten Sachverständigen.

Schwammiges Privileg Ein Privileg, wenn auch kein wasserdichtes. Es genügt schon, dass die Abgeordneten in einer Anhörung ohne vorherigen Vortrag der Sachverständigen sofort in die Fragerunde einsteigen und dabei keine Fragen an die Vertreter der Kommunen anfallen, um deren Recht auf vorrangiges Gehör auszuhebeln. Dieses ist ebenso hinfällig, wenn in einer Regierungsvorlage der kommunale Standpunkt bereits Erwähnung findet. Und wenn es im Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern zur Sache geht, bleibt den kommunalen Spitzenverbänden nach wie vor nichts weiter, als in aller Demut draußen vor der Tür das Ergebnis abzuwarten.

Soviel hat sich also nicht bewegt, dass sich Städte und Gemeinden schon in der besten aller bundespolitischen Welten wähnen dürften. Auch dass der Bund ihnen keine kostenträchtigen Aufgaben mehr aufdrücken darf, steht zwar seit 2006 im Grundgesetz. Indes, bereits bestehende kommunale Verpflichtungen darf der Bund weiterhin einseitig abändern, auch wenn damit Ausgabenschübe einhergehen. Dass sich in ihren Haushalten seit den 1970er Jahren der Schwerpunkt vom Investitions- auf den Sozialanteil verlagert hat und ihr Gestaltungsspielraum entsprechend geschrumpft ist, legen Kommunalvertreter in erster Linie der Bundespolitik zur Last.

Kommunalfreundlich Nicht, dass der Bund für solche Klagen völlig taub geblieben wäre. "Wir haben in den letzten zehn Jahren direkte oder indirekte Leistungen in einem Volumen von mehr als 170 Milliarden an die Kommunen gezahlt", rechnete im September der CSU-Mann Alois Karl im Bundestag vor. Auch Handschuh vom Städte- und Gemeindebund räumt ein: "Wir haben es im Vergleich mit vielen anderen Bundesregierungen mit einer sehr kommunalfreundlichen Regierung zu tun."

Im Parlament verstehen sich Sozialdemokraten, Linke und Grüne als Bannerträger kommunaler Anliegen. "Wir sind diejenigen, die sich heftigst darum kümmern. Der Partner ist zurückhaltender", sagt Annette Sawade (SPD), die im Unterausschuss Kommunales den Vorsitz führt. Der Partner, die Union, verweist auf die föderale Rangordnung, die primäre Zuständigkeit der Länder. Die Linke wiederum fordert für die Kommunen ein "verbindliches Mitwirkungsrecht" im Gesetzgebungsverfahren.

"Das Thema ist angekommen. Aber es reicht nicht, dass es angekommen ist": Dagmar Mühlenfeld, ehemalige Bürgermeisterin von Mülheim an der Ruhr, zählt zum Sprecherkreis der Initiative "Für die Würde unserer Städte". Entstanden vor gut einem Jahrzehnt aus einem "Aktionsbündnis" finanzschwacher Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die sich zusammentaten, um bei der Landesregierung auf Abhilfe ihrer Notlage hinzuwirken, ist das Netzwerk seit November 2014 bundesweit aufgestellt. Es umfasst 65 Städte, Gemeinden und Kreise in acht Ländern mit insgesamt zehn Millionen Einwohnern.

Im Februar 2011 und im Februar 2015 verhandelten Vertreter des Bündnisses mit den Spitzen der Fraktionen im Bundestag. Ohne Mittlerdienste der Verbände direkt auf die Bundespolitik einwirken, darum ging es ihnen. "Das war auch sehr erfolgreich", meint Mühlenfeld. Eine Folge war, dass am 24. September der Bundestag eine Stunde lang über Kommunalfinanzen debattierte. "Ganz neue Töne" habe er in Berlin gehört, sagt ein weiterer Sprecher des Bündnisses, Wuppertals Kämmerer Johannes Slawing: "Im Vergleich zur Lage vor zehn Jahren sind wir schon ein großes Stück vorangekommen."