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EUROPA : Auf unterster Ebene

Ein Großteil der Regelungen, die Städte und Gemeinden umsetzen müssen, kommt aus Brüssel. Doch sie haben es schwer, auf EU-Ebene Gehör zu finden

07.03.2016
2023-08-30T12:29:57.7200Z
6 Min

Der Vizepräsident von Eurocities, Daniël Termont, ist sich sicher: "Der Erfolg der Strategie von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für mehr Wachstum und Beschäftigung hängt davon ab, ob die EU das Potenzial der Städte nützt." Das betonte er einmal mehr Ende Februar in Brüssel auf einem Treffen des Netzwerkes. 130 europäische Städte haben sich darin zusammengeschlossen, um ihre Interessen auf EU-Ebene besser vertreten können. In der belgischen Hauptstadt warben ihre Bürgermeister im Gespräch mit den EU-Kommissarinnen für Soziales und Binnenmarkt, Marianne Thyssen und Elzbieta Bienkowska, erneut für ein Kernanliegen von Eurocities: die Einrichtung eines Runden Tisches zum Thema Beschäftigung und Kommunen in Brüsssel.

Die EU-Spitzen auf die Rolle der Kommunen aufmerksam zu machen, ist ein schwieriges Geschäft. Lange Zeit hat die EU die unterste Verwaltungsebene mehr oder weniger ignoriert, Politikwissenschaftler sprachen gar von "Kommunalblindheit". Zwar hat die EU 2009 mit dem Vertrag von Lissabon die kommunale Selbstverwaltung erstmals anerkannt, doch die Einflussmöglichkeiten im europäischen Gefüge sind noch immer begrenzt.

Dabei müssten EU und Kommunen gleichermaßen Interesse an einem engen Austausch haben. Die Bundesregierung geht davon aus, dass 60 Prozent der Regelungen, die Städte und Gemeinden umsetzen, ihren Ursprung in Brüssel haben. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund schätzt den Anteil sogar auf 70 Prozent. Fakt ist: Ohne EU-Gesetzgebung läuft in den Kommunen heute nichts mehr, ob beim Vergaberecht, der Gestaltung der Energiemärkte oder dem Dauerbrenner Daseinsfürsorge.

Steiniger Weg Lange Zeit war die EU-Gesetzgebung ein Prozess von oben nach unten: Brüssel fällte Beschlüsse, die die Kommunen umzusetzen hatten. 1993 legte der Vertrag von Maastricht immerhin das Prinzip der Subsidiarität fest. Öffentliche Aufgaben sollten künftig möglichst bürgernah - zum Beispiel auf der Ebene der Kommunen oder der Bundesländer - geregelt werden. Der deutsche Gesetzgeber bekräftigte im selben Jahr: "Bei Vorhaben der Europäischen Union ist das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Regelung der örtlichen Gemeinschaft zu wahren und sind ihre Belange zu schützen."

Aber es sollte noch 16 Jahre dauern, bis der Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 das kommunale Selbstverwaltungsrecht - in Deutschland schon lange im Grundgesetz verankert - garantierte und den Kommunen die Hoheit in Personal-, Organisations-, Finanz- und Planungsfragen zusprach. In den Augen der Bundesregierung begann daraufhin für die Kommunen "eine neue Ära europäischer Politik".

Doch Rechte auf dem Papier sind das eine, reale Einflussmöglichkeiten das andere. So besteht nach Ansicht der Düsseldorfer Politikwissenschaftlerin Claudia Münch immer noch eine "nicht funktionierende Politikverflechtung zwischen der EU und den regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften".

Tatsächlich haben die Kommunen einen offiziellen Platz in Brüssel nur im sogenannten Ausschuss der Regionen. "Da sich in Deutschland die Landesregierungen als Region gerieren, sind die Kommunen dort marginalisiert und nur über die kommunalen Spitzenverbände vertreten", betont jedoch der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Von den 24 deutschen Sitzen im Ausschuss der Regionen beanspruchen die 16 Bundesländer insgesamt 21 für sich und lassen so den Kommunen gerade einmal drei übrig.

Ohnehin nimmt der Ausschuss der Regionen im Brüsseler Machtgefüge nur eine beratende Rolle ein. Kommission, Europäisches Parlament und die 28 Mitgliedstaaten sind kaum an seinen Stellungnahmen interessiert. Zwar könnte der Ausschuss beim Europäischen Gerichtshof Klage einreichen, wenn die EU seiner Ansicht nach ihre Kompetenzen überschreitet. Aber bisher hat das Gremium in der Praxis keinen Gesetzesakt zu Fall gebracht.

Die Kommunen setzen jetzt auf den sogenannten Pakt von Amsterdam, den die EU-Mitgliedstaaten Ende Mai verabschieden wollen und der erstmals eine europäische Agenda für Städte beinhaltet. Ausgegangen ist die Initiative von der niederländischen Ratspräsidentschaft, die das Thema "städtische Dimension der EU-Politiken" zu einem ihrer Schwerpunkte im ersten Halbjahr 2016 gemacht hat. "Dabei geht es nicht nur darum, was Europa für die Städte tun kann", betonte der niederländische Innenminister Ronald Plasterk am 10. Februar auf der Plenartagung des Ausschusses der Regionen, "sondern auch darum, was die Städte zu den Entwicklungen in Europa beitragen können". Es müsse geprüft werden, welche Rechtsvorschriften abgeschafft oder (vorübergehend) angepasst werden sollten und wie sich der Zugang der Städte zu EU-Fonds verbessern und der Wissensaustausch ausbauen lasse.

Die für Regionalpolitik zuständige EU-Kommissarin, Corina Cretu, unterstützt die Initiative ausdrücklich. Unklar ist unter anderem aber noch, ob der Vorschlag der Europa-Abgeordneten Kerstin Westphal (SPD), in der EU-Kommission einen Sonderbeauftragten für Städtepolitik zu bennenen, umgesetzt wird.

Die Kommunen versuchen schon länger, näher dran zu sein am Brüsseler Geschehen, um möglichst viel über Gesetzesvorhaben und Mittelumschichtungen zu erfahren. Gleichzeitig versuchen sie, die Entscheider in der EU für die Situation in den Kommunen zu sensibilisieren und die europäische Gesetzgebung im Sinne der Kommunen zu beeinflussen. Zahlreiche Verbände sind mit eigenen Büros vertreten: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat bereits 1991 sein Europabüro in der belgischen Hauptstadt eröffnet. Die kommunalen Spitzenverbände Bayerns, Baden-Württembergs und Sachsens betreiben seit dem Jahr 2000 ein Gemeinschaftsbüro im EU-Viertel. Regelmäßig treffen sie sich mit den Vertretern anderer Spitzenverbände zum Jour Fixe.

Große Unterschiede Die Kommunen arbeiten aber nicht nur auf nationaler Ebene zusammen, sondern versuchen europaweit, sich abzustimmen und gemeinsame Standpunkte zu erarbeiten. Das Eurocities-Netzwerk spielt hierbei eine wichtige Rolle, ebenso wie der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE). Doch wie schwer die Kooperation in der Praxis ist, zeigt sich beispielhaft am Streit über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Als es darum ging, eine gemeinsame Haltung dazu zu formulieren, wollte die Hansestadt Hamburg mit ihrer langen Handelstradition die Kritik nicht so scharf formulieren wie andere Städte. Skandinavische Kommunen wiesen wiederum darauf hin, dass sie sich zum Außenhandel nicht äußern dürften, da dies Sache der Landesregierung sei.

Der Fall veranschaulicht, wie unterschiedlich die Rolle der Kommunen in den einzelnen Mitgliedstaaten ist. In einem zentralistisch organisierten Land wie Frankreich etwa hat die unterste staatliche Ebene wenig zu entscheiden. Österreichische Kommunen dagegen ähneln in ihrem Selbstverständnis den deutschen.

Doch selbst unter den deutschen Kommunen gibt es große Unterschiede. In jedem Bundesland gelten gemäß den eigenen Traditionen andere Kommunalverfassungen, die über die Organisation der Städte und Gemeinden entscheiden. Auch gestalten die Bundesländer Projekte im Rahmen von EU-Förderprogrammen sehr unterschiedlich. Und so hilft der Förderführer, den das Europabüro der Bayrischen Kommunen gerade für den Freistaat zusammenstellt, Kommunen in anderen Bundesländern kaum oder gar nicht.

Die Vielfältigkeit ist ein Grund dafür, warum sich Brüsseler Politiker häufig schwer tun im Umgang mit Städten und Gemeinden. Allerdings betont Christiane Thömmes, Leiterin des Europabüros der bayerischen Kommunen, dass die Kommission trotzdem sehr offen sei für deren Anliegen: "Weil wir die Auswirkungen von Gesetzen an konkreten Beispielen belegen können, sind wir gern gesehene Ansprechpartner." Die Kommunen müssten aber beweisen, dass sie direkt betroffen sind, was jedoch oft der Fall ist: In der Vergangenheit interessierte sich die EU-Kommission sogar für die Zuschüsse für lokale Fußballclubs, weil sie unerlaubte Beihilfen witterte.

Streit um Müll Aktuell ist für die Kommunen das Kreislaufwirtschaftsgesetz ein wichtiges Thema. Die EU-Kommission hat dafür im Dezember einen Vorschlag vorgelegt, der vorsieht, dass die Gemeinden bis 2030 insgesamt 65 Prozent ihres Mülls wiederverwerten sollen. Doch viele von ihnen betreiben Müllverbrennungsanlagen, die sie ausgelastet sehen wollen. Das Problem: Sie sind beileibe nicht die einzigen Akteure, die in Brüssel ihre Interessen vertreten. Gerade beim Thema Müll treten auch viele Unternehmen auf den Plan.

Im Wechselspiel zwischen EU und Kommunen geht es aber nicht immer um so strittige Themen. Manchmal klingelt bei den Kommunalvertretern in Brüssel auch nur das Telefon, weil ein Bürgermeister für die freiwillige Feuerwehr einen Austauschpartner in Irland sucht. Silke Wettach

Die Autorin ist Korrespondentin der Wirtschaftswoche in Brüssel.