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sTÄDTEPARTNERSCHAFT : Als wäre Satonévri der Ort nebenan

Das hessische Viernheim kooperiert seit Jahren eng mit einer Gemeinde in Burkina Faso und sieht darin auch einen Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen

07.03.2016
2023-08-30T12:29:57.7200Z
4 Min

Es begann mit einer Zugfahrt. 1989 traf der damalige Bürgermeister der südhessischen Stadt Viernheim zufällig auf seinen Amtskollegen aus Ladenburg. Der erzählte ihm von einer Städtepartnerschaft, die er gerade im afrikanischen Burkina Faso begonnen hatte. Spontan tauschten beide Kontakte und Ideen aus. Kurz darauf reiste ein erster Brief von Viernheim zu einem Dorf in Burkina Faso. Die Bewohner von Satonévri, das 150 Kilometer südlich der Hauptstadt Ouagadougou liegt, hatten schon länger nach einer deutschen Partnerstadt gesucht. In Viernheim fanden sie eine. 1990 machte sich der damalige Stadtjugendpfleger Bernhard Finkbeiner auf nach Satonévri, um die Situation vor Ort zu erkunden. Begeistert und voller Tatendrang kehrte er aus Afrika zurück und gründete den "Afrikaclub", der später in FOCUS ("Freundschaft, Offenheit, Cooperation, Unterstützung für Satonévri") umbenannt wurde. In ersten Aktionen wurde Geld für den Bau von drei Brunnen in Satonévri gesammelt. "Das bürgerschaftliche Engagement begann schon vor der eigentlichen Städtepartnerschaft", erzählt Finkbeiner. "Nur die Urkunde musste noch unterschrieben werden." Das geschah 1994. Seitdem hängt sie im Rathaus neben denen der drei anderen Partnerstädte Viernheims: Franconville in Frankreich, Potters Bar in Großbritannien und Rovigo in Italien.

Städte- und Gemeindepartnerschaften, sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein wichtiges Instrument kommunaler Außenpolitik; enge Beziehungen zwischen deutschen und anderen europäischen Städten sollten die Verständigung und Aussöhnung untereinander fördern. Später schlossen deutsche Städte auch immer mehr Partnerschaften außerhalb Europas, viele von ihnen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Die Begeisterung der Viernheimer für ihre Partnerschaft mit Satonévri ist auch nach 22 Jahren noch groß. "Wir sind beschenkt mit sehr engagierten Bürgern", freut sich Bürgermeister Matthias Baaß (SPD). Gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise fühlten viele sich bestärkt in ihrem Engagement für das bitterarme afrikanische Land. "Es wird immer gefordert, die Bedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu verbessern", sagt Baaß. "Viernheim macht das schon lange."

Den Kontakt zur Partnergemeinde hält der Verein. Er organisiert Besuche, sammelt Spenden und setzt Hilfsprojekte um. "Ich als Bürgermeister werde nur ins Boot geholt, wenn es nötig ist", erklärt Baaß. Den Verein leitet heute Klaus Hoffmann. "Anfangs wollten wir einfach helfen", erzählt er. "Dann hat sich unsere Arbeit professionalisiert, die Hilfe wurde zielgerichtet." Die Viernheimer bauten Wasserrückhaltebecken, gründeten Schulen und statteten sie mit Bänken und Büchern aus. Sie animierten die rund 4.000 Menschen in Satonévri dazu, Mädchen zur Schule zu schicken, bauten Gesundheitsstationen, kauften Verbandszeug. Eines war ihnen dabei immer wichtig: "Wir überweisen nicht nur Geld. Wir sind vor Ort und diskutieren über Projekte, die erst verwirklicht werden, wenn es einen Konsens gibt", sagt Bernhard Finkbeiner. "Es ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe."

Besonders eindrücklich zeigt sich das beim bisher größten gemeinsamen Projekt: einem Ausbildungszentrum für Landwirte in Satonévri. 27 Jugendliche haben dort bisher die Theorie und Praxis von Ackerbau- und Viehzucht und das achtsame Nutzen der Ressourcen gelernt. Einer von ihnen ist Theophile Kaba. Während viele junge Menschen in Burkina Faso auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat verlassen, will er bleiben: "Was FOCUS hier investiert hat, beeindruckt mich. Ich glaube an eine gute Zukunft", sagt Kaba.

Doch nicht nur Satonévri profitiert von der Partnerschaft. "Es ist auch für Viernheim eine Bereicherung", sagt Bürgermeister Baaß. Regelmäßig besuchten Bürger von dort Viernheimer Schulen, Kirchen oder Vereine. "Dadurch ist es fast so, als wäre Satonévri der Ort nebenan." Vereinsmitbegründer Finkbeiner ist überzeugt: "Das verändert was in den Köpfen."

Viele Spenden Der Verein erweitert meinen Horizont", sagt etwa der 28-Jährige Fabian Klindt. Das Ehepaar Steindl schätzt besonders die Transparenz der Spendenverwendung: "Wir wissen, dass die Geldmittel nicht in Verwaltungsbürokratien hängenbleiben." Der Viernheimer Manfred Brandmüller engagiert sich aus politischen Gründen: "Damit Flüchtlingsursachen bekämpft und Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden kann." Die Begeisterung der Viernheimer schlägt sich in vielen Spenden nieder. Darüber hinaus beantragt der Verein jedes Jahr erfolgreich Fördergelder beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und wird von Stiftungen und großen Firmen unterstützt. Seit sieben Jahren zahlt die Stadt dem Verein außerdem jährlich 33.000 Euro, einen Euro pro Einwohner. Mühsam spart der Bürgermeister den Betrag in Zeiten leerer Kassen zusammen und will doch keinen Cent davon streichen. Denn erst mit dieser verlässlichen Summe im Rücken traut sich FOCUS an große Projekte wie das Ausbildungszentrum heran. "So lässt sich zukünftige Flüchtlingsnot verhindern", ist der Bürgermeister überzeugt. "Das sollte eine Pflichtaufgabe für alle Städte in Deutschland sein."

Baaß war gerade selbst zum ersten Mal in Satonévri. Wieder wurde eine Urkunde unterzeichnet: Die Städtepartnerschaft gilt jetzt für ein ganzes Département mit 32 Dörfern. "Es war zutiefst beeindruckend", sagt der Bürgermeister. "Ich hatte Tränen in den Augen, wegen der Armut und der Herzlichkeit." Ein Ende der Partnerschaft ist für ihn nicht nur wegen der Flüchtlingskrise undenkbar. "Die Projektideen für unsere Partnergemeinden gehen uns erst mal nicht aus."

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin.