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Einfach und gerecht

Länderfinanzausgleich Das alte System ist intransparent. Jetzt gibt es erste Vorschläge für eine Reform

07.03.2016
2023-08-30T12:29:57.7200Z
5 Min

Der Zeitdruck ist allgegenwärtig. Die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sowie den Bundesländern untereinander müssen bis 2019 neu geordnet werden. Ein wesentlicher Punkt bei den Verhandlungen ist auch die Verteilung der Gelder von den Ländern an die Kommunen, die allerdings nicht am Verhandlungstisch sitzen. 2019 laufen sowohl der umstrittene Länderfinanzausgleich als auch der Solidarpakt II für den Aufbau Ost aus. Zudem packt 2020 die große Schuldenbremse: Bund und Länder dürfen spätestens ab dem Jahr keine neuen Schulden mehr aufnehmen, bloß um ihre Haushaltslöcher zu stopfen.

2019? 2020? Was für Laien so fern klingt, treibt Politikern die Schweißperlen auf die Stirn. Denn beginnend mit dem 13. März 2016 sind bis Ende September 2017 sieben Landtage und der Bundestag neu zu wählen. Allerspätestens zur Jahresmitte schließt sich das Zeitfenster für eine große, substantielle Reform der Staatsfinanzen. Der neu gewählte Bundestag müsste sonst im Eilverfahren entscheiden.

Über und - vor allem - gegen das bisherige System des Länderfinanzausgleichs wird geklagt. Bayern und Hessen reichten ihre Klageschriften gegen das Finanzgeflecht zwischen den staatlichen Hierarchieebenen 2013 beim Bundesverfassungsgericht ein. Mit Baden-Württemberg und manchmal Hamburg wollen sie nicht länger Alleinzahler für die Republik sein. Spätestens wenn an dieser Stelle das Land Nordrhein-Westfalen aufspringt und auf den Umsatzsteuervorwegausgleich hinweist, durch den auch NRW Geber und nicht etwa Netto-Empfänger von Geldern aus dem Länderfinanzausgleich ist, wird eines deutlich: Die Sache ist kompliziert.

Wie läuft der Länderfinanzausgleich bisher? Ausgangspunkt ist die im Grundgesetz verankerte Forderung nach der "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" (Artikel 72,2). Bereits an dieser Stelle schleicht sich ein erster Interpretationsfehler in die politische Diskussion ein. Denn bis zur Verfassungsreform im Jahr 1994 im Anschluss an die deutsche Wiedervereinigung war in dieser Grundgesetzpassage von der "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" die Rede. Dass die aktuell gültige "Gleichwertigkeit" etwas anderes ist, hat sich nach 40 Jahren "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" als Erkenntnis noch nicht durchgesetzt. Fest steht: Jedes Bundesland hat geografische, regionale, wirtschaftliche Besonderheiten - die unmittelbar auf die Einnahmen durchschlagen. Der Länderfinanzausgleich soll die Lebensverhältnisse von Arm und Reich einander annähern. Dazu wurden 2014 rund 16,8 Milliarden Euro zwischen Bund und Ländern verschoben.

Dies geschieht derzeit in drei Stufen, die nacheinander zu erklimmen sind. Stufe Nummer eins ist der "Umsatzsteuervorwegausgleich". Vom Anteil der Länder an der Umsatzsteuer werden dazu maximal 25 Prozent verwendet. Damit soll die durchschnittliche Finanzkraft der Länder einander angenähert werden. Ist der Unterschied groß, werden 95 Prozent dieser Differenz ausgeglichen; ist der Unterschied klein, sinkt die Ausgleichszahlung auf 65 Prozent der Differenz zum Durchschnitt aller Bundesländer. Im Jahr 2014 wurden in dieser Stufe 7,86 Milliarden Euro zwischen den Bundesländern bewegt.

»Ausgleichsmesszahl« Stufe zwei: der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne. Hierzu werden die tatsächlichen Einnahmen - geronnen zu einer Finanzkraftmesszahl der "Ausgleichsmesszahl" gegenübergestellt. Die Ausgleichsmesszahl besteht zum einen aus einer Multiplikation der durchschnittlichen Einnahmen aller Bundesländer je Einwohner mit der tatsächlichen Einwohnerzahl. Zugleich fließen Gewichtungsfaktoren in die Ausgleichsmesszahl ein. So werden unter dem Begriff "Stadtstaatenprivileg" Berliner, Hamburger und Bremer "veredelt" - die Einwohner dort bekommen einen höheren Wert, weil Stadtstaaten ein höheres Ausgabevolumen unterstellt wird. Auch die "Aufbauhilfe Ost" wird auf diesem Weg der "Einwohnerveredelung" berechnet. Aus der Gegenüberstellung von Wunsch (der "Ausgleichsmesszahl") und Wirklichkeit (der "Finanzkraftmesszahl") ergibt sich der Finanzausgleich. Das Volumen im Jahr 2014: 9,05 Milliarden Euro.

Stufe drei sind die "Bundesergänzungszuweisungen" (BEZ); immer gerne genommen, um Paradoxien des deutschen Finanzsystems beispielhaft darstellen. Denn zehn von 16 Ländern bekommen eine "Bundesergänzungszuweisung für zu hohe Kosten der politischen Führung" - andernfalls könnten sie sich ihre Regierungsapparate nicht leisten. Die BEZ können von Berlin entweder zur freien Verfügung oder für einen konkreten Zweck zur Verfügung gestellt werden. Im Jahr 2014 betrug die Gesamtsumme der Bundesergänzungszuweisungen 3,5 Milliarden Euro.

Geber und Nehmer Der Argumentation der Bayerischen Landesregierung folgend verliert dieses System aus vertikalen und horizontalen Ausgleichszahlungen Jahr für Jahr an Rechtsboden. Und es wird schlicht immer teurer. Im Jahr 1995 zahlte Bayern gut 1,3 Milliarden Euro in den Ländertopf ein. Im Jahr 2014 waren es 4,85 Milliarden Euro. Statt die Länder tendenziell einander näher zu bringen, seien die Gräben zwischen immer weniger Gebern und immer mehr Nehmern nur noch tiefer geworden

In einem ersten Anlauf zur Reform wollten es sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) einfach machen. Sie schlugen vor, den Solidarzuschlag, der ebenfalls 2019 ausläuft, zur Einkommensteuer hinzuzurechnen. Derzeit nimmt der Staat rund 19 Milliarden Euro über den ungeliebten Soli ein. Doch diese Idee wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits im Ansatz verworfen. Denn das wäre eine Steuererhöhung gewesen. Der aktuell vorliegende Vorschlag stammt von den Bundesländern. Sie wollen einen einfachen, einstufigen Ausgleich ab 2020 - ohne eine Sonderrolle der Ostländer. Danach soll die Finanzkraft der Bundesländer künftig allein auf Basis der Umsatzsteuer ausgeglichen werden. Die Rechnung geht allerdings nur dann auf, wenn Schäuble mehr als eine Milliarde Euro nachschießt: 9,6 Milliarden Euro vom Bund wären nötig, 8,5 Milliarden Euro hatte Schäuble bisher in den Verhandlungen den Ländern angeboten.

Finanzkraft der Gemeinden Im neuen System soll der Umsatzsteuervorwegausgleich komplett entfallen. Für Bremen und das Saarland sollen pro Jahr jeweils 400 Millionen Euro für Zinszahlungen bereitgestellt werden. Die Sonderrolle der Ost-Länder entfällt - was eine Verfassungsänderung erforderlich machen würde. Bei der Umverteilung zwischen den Ländern soll die Finanzkraft der Gemeinden künftig stärker berücksichtigt werden - mit 75, statt bisher 64 Prozent. Länder mit solventen Kommunen bekämen demnach weniger Geld aus dem Ausgleichstopf. Das neue System soll frühestens 2030 kündbar sein - sofern mindestens drei Bundesländer dies wünschen.Auf Folien der Arbeitsgruppen sind die Auswirkungen auf den Euro genau dargestellt. Größter Gewinner wäre Berlin mit jährlich 532 Millionen oder 155 Euro je Einwohner mehr. Am zweitstärksten würde Bremen mit 93 Millionen Euro oder 142 Euro je Einwohner profitieren. Danach kommt Hamburg mit 193 Millionen Euro oder 110 Euro je Einwohner. Nordrhein-Westfalen soll 1,9 Milliarden Euro, was 109 Euro pro Kopf ausmacht.

Insgesamt würden die ostdeutschen Länder stärker profitieren. Während der Westen im Schnitt mit 94 Euro je Einwohner mehr zur Verfügung hätte, bekäme der Osten 114 Euro mehr - Berlin allerdings mit eingerechnet. Am unteren Ende steht Niedersachsen mit einem Plus von 75 Euro je Einwohner. Um Widerstand dort gar nicht erst aufkommen zu lassen, könnte der Anteil Niedersachsens an den Finanzhilfen für Hafenlasten aufgestockt werden - von derzeit zwei auf zwölf Milliarden Euro.

Damit sei das als "vereinfacht" in Aussicht gestellt System schon beim Start wieder kompliziert, kritisieren Experten. "Insgesamt ergibt sich insbesondere für die Empfängerländer keine spürbare Verbesserung der Anreizstruktur", sagt Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Auch das neue System enthalte zu wenig Wettbewerb. Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes, Horst Backes, sagt, dass eine demographische Komponente völlig fehle. Das Saarland sieht vom demografischen Wandel stärker betroffen als andere Bundesländer. Laut Vorhersage des Statistischen Landesamtes soll die Bevölkerung bis 2060 um ein Drittel, bei stetiger Zuwanderung um ein Viertel schrumpfen.