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Finanzen : Unüberschaubare Zusatzkosten

Trotz leerer Kassen müssen die Kommunen nun noch die Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge bewältigen

07.03.2016
2023-08-30T12:29:57.7200Z
4 Min

Am Zustand von Schulen und Straßen lässt sich die Finanzlage von Kommunen sofort erkennen. Zugespitzt formuliert: Jedes Schlagloch ist ein Finanzloch. Diesen Hinweis gab das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW. "Die armen Kommunen geraten immer mehr in eine Abwärtsspirale", sagt der DIW-Präsident Marcel Fratzscher mit Blick auf den von Jahr zu Jahr größer werdenden Reparaturbedarf.

Nur die reichen Städte und Gemeinden schaffen es, ihre Substanz zu erhalten. Im Jahr 2014 investierte München je Einwohner 724 Euro in die öffentliche Infrastruktur, das niedersächsische Wilhelmshaven gab 35 Euro pro Bürger aus. Die Förderbank KfW - Kreditanstalt für Wiederaufbau - registrierte einen Rückgang der Investitionen in öffentliche Bauten um 15 Prozent gegenüber dem, was im Jahr 2000 ausgegeben wurde und beziffert das Gesamtvolumen des Investitionsstaus allein bei den Kommunen auf 132 Milliarden Euro. "Die kommunale Infrastruktur fährt auf Verschleiß", stellen die Ökonomen des DIW fest. Die aktuelle Flüchtlingskrise kommt noch oben drauf.

Die 11.086 deutschen Gemeinden driften extrem auseinander. In Lünen bei Unna hat Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns Ende 2015 seinen Dienstwagen verkauft, den Erlös von 9.200 Euro auf die Habenseite der Kommune buchen lassen und ist auf ein Fahrrad umgestiegen. Das rheinland-pfälzische Hermeskeil ließ sich ein "Feuerwehrerlebnismuseum" mit 4,8 Millionen Euro drei Mal so viel kosten wie ursprünglich veranlagt - und rutschte damit immerhin ins Schwarzbuch der Verschwendung, herausgegeben von Bund der Steuerzahler.

Das war bisher das Grundrauschen. Nun kommen die Flüchtlinge gewissermaßen hinzu. Experten veranschlagen zwischen 15.000 und 17.200 Euro an Kosten pro Neuankömmling im Jahr. Der durch den vieltausendfachen Einsatz von Ehrenamtlichen eingesparte Betrag wird nirgendwo auch nur ansatzweise in einer Euro-Summe geschätzt. Die Ziffern gelten für die pure Daseinsfürsorge.

Die Kosten für Maßnahmen zur Integration stehen auf einem anderen Blatt. Genau an dieser Stelle setzen all jene an, die aus der Situation politisches Kapital schlagen wollen. Dass bisher niemand auf Hartz IV oder eine Sozialwohnung verzichten musste, wird dabei unterschlagen. Doch auch nüchterne Planer brauchen eine Antwort auf die Frage, was die Flüchtlinge Deutschland kosten werden.

Von den Experten aus der Finanzwissenschaft gibt es darauf zahlreiche Antworten mit jeweils eigenen Zahlen. Das liegt unter anderem an den allzu sehr schwankenden Angaben darüber, wie lange die Flüchtlingsbewegung andauern wird und wie viele Personen tatsächlich in den Kommunen ankommen.

Als Bund und Länder im September 2015 über zusätzliche Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen verhandelten, gingen die Unterhändler von 800.000 Frauen, Kindern und Männern aus, die in Deutschland 2016 Zuflucht suchen würden. Experten schätzen die tatsächliche Zahl auf mehr als eine Million - auch jeweils für die kommenden zwei bis drei Jahre.

Expertenschätzung Besonders plakativ stellte das Institut der deutschen Wirtschaft eine Zahl ins Schaufenster: 50 Milliarden Euro müssten Bund und Länder allein für 2016 und 2017 berappen. Auf Nachfrage erklärten die Macher der Studie, sie hätten allein die Kostenseite betrachtet. Dass diese Gelder bei Firmen und Privatleuten in Deutschland für Einkommen sorgen, versteuert werden und so wie ein staatliches Konjunkturprogramm wirken, blieb in dieser Rechnung außen vor. Das Institut für Wirtschaftsforschung sagte für das Jahr 2022 keine exakte Summe, sondern eine große Spannbreite voraus: 19,7 bis 55 Milliarden Euro betrügen die Flüchtlingskosten, abhängig unter anderem von der tatsächlichen Zahl der neuen Nachbarn.

Einzig das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung versuchte in seiner Betrachtung über die Kostenseite hinaus zu blicken und die positiven Effekte der Flüchtlinge auf die deutsche Wirtschaftsleistung zu erfassen - mit einem guten Ergebnis: Je nach Szenario werden danach die Flüchtlinge dem Land ab 2020 im Normalfall, wenn es schlecht läuft ab 2025 mehr nutzen als schaden, hieß es.

Das hilft den klammen Kommunen allerdings aktuell nicht weiter, wie der Deutsche Städtetag feststellte. Es müssten drei Arten von Ausgaben möglichst akkurat berechnet werden: Da sind zunächst die Kosten für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge für die Dauer des Asylverfahrens. Zweitens wären die Kosten der Integration zu beziffern. Drittens rechnen die Städte und Gemeinden mit "Kosten für den allgemeinen Bevölkerungszuwachs sowie die Abfederung von Belastungen sozial schwacher Gruppen".

Abhängig von der tatsächlichen Zahl der Flüchtlinge rechnet der Städtetag damit, dass im laufenden Jahr zwischen sieben und 16 Milliarden Euro auf die öffentlichen Kassen zukommen. Bei Berücksichtigung der bisher vom Bund zugesagten Mittel bedeute dies einen Finanzierungsbedarf von drei bis 5,5 Milliarden für Länder und Kommunen bei Zahlungen des Bundes von vier bis 10,5 Milliarden Euro.

Haushalte unter Druck Das Problem aus Sicht des Städtetages: Diejenigen, die Flüchtlinge empfangen und versorgen, sitzen bei den Verhandlungen um die Mittel gar nicht am Tisch. Von den zusätzlichen Geldern, die die Bundesebene bereitstelle, komme nicht alles bei den Kommunen an, lässt der Städtetag durchblicken. Da die Bundesländer Erstaufnahmeeinrichtungen betreiben und zudem die Flüchtlinge verwalten müssten, würden die Länder Mittel festhalten, die eigentlich in den Städten gebraucht würden. Im nächsten Absatz allerdings erfolgt eine Einordnung: Die Haushalte "einzelner Gebietskörperschaften seien aufgrund der Flüchtlinge in ihrer Stabilität bedroht", nicht aber "die fiskalische Stabilität des Gesamthaushaltes".