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SOZIALES : Durch den Dschungel

Ein Gesetz soll die Hartz-IV-Gesetzgebung einfacher und durchsichtiger machen. Grüne und Linke kritisieren, dass das Thema Sanktionen unter den Tisch fällt

18.04.2016
2023-08-30T12:29:59.7200Z
3 Min

Wenn selbst der Chef der Bundesagentur für Arbeit sagt, Hartz IV sei kaum noch zu durchschauen, dann muss es ernst sein. So ernst immerhin, dass im Sommer 2013 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Leistungsrechts in der Grundsicherung für Arbeitssuchende eingesetzt wurde. Seit Jahren klagten zu dieser Zeit die Sozialgerichte schon über eine nicht mehr zu bewältigende Zahl von Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide. Zahlen für 2014 (aktuellere liegen noch nicht vor) belegen, dass es allein in diesem Jahr fast 57.000 erfolgreiche Widersprüche gegeben hat und die Gerichte in knapp 41 Prozent der Fälle den Klagen stattgegeben haben.

Damit soll nun Schluss sein. So zumindest die Hoffnung der Bundesregierung. Es ist zwar nicht die erste Änderung an den Regelungen des SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch), aber doch eine der umfangreichsten. Auf Basis der Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte das Bundeskabinett im Februar diesen Jahres ein entsprechendes Vorhaben abgesegnet. Letzte Woche beriet der Bundestag in erster Lesung über den Entwurf (18/8041) eines neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II - ein "lernendes Gesetz" wie Karl Schiewerling, der Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion, angesichts dessen anmerkte. Ein diskriminierendes und auch mit den geplanten Änderungen viel zu kompliziertes Gesetz nannten es dagegen Grüne und Linke, die deshalb eigene Vorschläge (18/8077; 18/8076) einreichten.

Ziel der Bundesregierung ist es, die Leistungen der Grundsicherung einfacher zu strukturieren, um sowohl die Jobcenter als auch die Leistungsberechtigten zu entlasten. So soll unter anderem der Bewilligungszeitraum von sechs auf zwölf Monate verlängert werden. "Dadurch fallen pro Jahr 2,5 Millionen Anträge weg", freute sich der Sozialdemokrat Markus Paschke. Aber nicht nur das. An über 30 Stellen werde das Leistungsrecht geklärt und vereinfacht, erläuterte eine zufriedene Gabriele Lösekrug-Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Zuschuss für Privatversicherte Die Reformen betreffen unter anderem die Einkommensanrechnung und Leistungsgrundsätze, die Beratung der Leistungsberechtigten durch Änderungen bei der Eingliederungsvereinbarung und verbesserte Möglichkeiten der Ausbildungsförderung.

Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG II), die privat oder in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert sind, sollen für die Dauer des Leistungsbezugs künftig einen Zuschuss zu diesem Versicherungsbeitrag erhalten.

In den Bereich Unterkunft und Heizung fällt die Einführung einer sogenannten Gesamtangemessenheitsgrenze (Bruttowarmmiete), die beide Bereiche umfasst. Zieht ein ALG-II-Bezieher ohne vorherige Zustimmung des für ihn zuständigen Trägers um, sollen künftig nur noch die bisherigen Aufwendungen erstattet werden.

Neu aufgenommen wird der Tatbestand der vorläufigen Entscheidung über Grundsicherungsleistungen. Vorschuss und vorläufige Entscheidung werden in einer Vorschrift zusammengefasst. Auch bei einer vorläufigen Entscheidung muss demnach die Bedarfsdeckung sichergestellt sein. Einnahmen in Geldeswert werden nicht mehr als Einkommen berücksichtigt und ausschließlich dem Vermögen des Leistungsberechtigten zugeordnet. Wertgutscheine oder Sachbezüge sollen damit grundsätzlich anrechnungsfrei sein.

Außerdem soll es künftig für Auszubildende möglich sein, aufstockend ALG II unter Anrechnung von Ausbildungsvergütung und Ausbildungsförderung zu erhalten. Auch wenn kein Anspruch auf Ausbildungsförderung besteht, kann künftig ALG II beantragt werden. Dadurch soll die Aufnahme einer Ausbildung erleichtert werden. "Damit erreichen wir Zielgruppen, die bisher durch alle sozialen Raster gefallen sind und zeigen, dass wir niemanden verloren geben", betonte Karl Schiewerling.

Bürokratischer Kleinkram Was - sehr zum Missfallen von Katja Kipping - nicht wegfällt, sondern noch ergänzt wird, ist der Paragraf 34 des SGB II, der "Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten" regelt, also Fälle, in denen Leistungsbezieher die an sie gezahlten Leistungen dem Träger zurückerstatten müssen. "Anstatt Sanktionen abzuschaffen, plant die Bundesregierung neue Repressionsinstrumente." Es gehe hier nicht um Minderung alltäglicher Nöte, sondern nur um einen reibungslosen Ablauf, kritisierte die Parteivorsitzende der Linken.

Ähnlich verärgert äußerte sich Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen). Der Entwurf sei kein großer Wurf, sondern ein "Bündel von bürokratischem Kleinkram, der die Jobcenter nur neu belastet". Eine Möglichkeit, die Jobcenter zu entlasten, sei die Aussetzung der Sanktionen. Auch gebe es bei den Kosten für Unterkunft und Heizung immer noch zu viele Sonderregeln. "Das ist keine Rechtsvereinfachung, sondern eine Rechtsverschärfung", so der Grüne.

Dass auch die SPD-Fraktion die Sanktionsregeln kritisch sieht, machte Markus Paschke klar. Die Haltung der CSU, die eine Abschaffung der Sondersanktionen für unter 25-Jährige strikt abgelehnt habe, verhindere leider bis heute eine "faire Lösung", sagte Paschke.