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Energiewende : Vom Atomstrom zum Grünstrom

Die großen Konzerne wandeln ihre Geschäftsmodelle. Klagewelle begleitet Rückzug aus der Kernenergie

15.08.2016
2023-08-30T12:30:05.7200Z
5 Min

Ablass zum Schleuderpreis, vernünftiger Kompromiss oder unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastung von Unternehmen? Die Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs werden ganz unterschiedlich beurteilt. 23,3 Milliarden Euro sollen demnach die vier Energiekonzerne in einen öffentlich-rechtlichen Fonds einzahlen und damit von ihrer Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls befreit werden. Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sollen dafür ihre angesparten Rückstellungen von 17,2 Milliarden Euro in den Fonds einbringen und zusätzlich einen Risikoaufschlag für mögliche Kostensteigerungen in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Stilllegung und Abriss der Atommeiler inklusive die endlagergerechte Verpackung der strahlenden Abfälle dagegen sollen in ihrer Verantwortung bleiben. Diese Empfehlung legte die 19-köpfige Kommission nach monatelangen Beratungen am 27. April vor. Basis der Vorschläge waren unterstellte Gesamtkosten für Abriss und Lagerung von 47,5 Milliarden Euro. Die in den Konzernen gebildeten Rückstellungen für die Altlasten wurden mit 38,3 Milliarden Euro beziffert

Faire Lösung? Damit seien "die Kosten für Zwischen- und Endlagerung des Atommülls sehr umfassend gedeckt und das Risiko für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler deutlich reduziert", argumentiert Jürgen Trittin (Grüne), neben Ole van Beust (CDU) und Matthias Platzeck (SPD) einer der Vorsitzenden. Durch die Fondslösung werde verhindert, dass die Atommüll-Rücklagen im Falle von Konkursen der wirtschaftlich angeschlagenen Energiekonzerne verloren gingen. Von einer "fairen Lösung" sprach von Beust. Er bezieht sich darauf auf zwei gegensätzliche Modelle, die zuletzt in der Diskussion waren: Einerseits die Erreichung einer Stiftung und die vollständige Entlastung der Konzerne aus der Verantwortung für den Atommüll. Und andererseits die Schaffung eines öffentlich-rechtlichen Fonds mit einer unbegrenzten Nachhaftung der Stromkonzerne für alle zukünftig anfallenden Kosten. Von beiden Konzepten habe man sich abgewendet und einen guten Kompromiss gefunden, unterstrich Platzeck.

Am 1. Juni sprach sich das Bundeskabinett einstimmig für die Umsetzung der Empfehlungen aus, um "die Finanzierung des Kernenergieausstiegs sicherzustellen". Hierzu bereite man eine entsprechende Gesetzesinitiative vor, ließ die Regierung wissen. Durch eine rückwirkende Geltung wolle man eine Umgehung von Zahlungen an den Fonds durch eine Abspaltung von Konzernteilen verhindern.

"Grundsätzlich ist die Rückstellung eine gute Idee", sagt Thomas Breuer, Leiter des Energie- und Klimateams von Greenpeace Deutschland. Doch "nach vielen fetten Jahren, in die AKW-Betreiber Traumrenditen und Milliardengewinne eingefahren haben, entlässt die Bundesregierung sie jetzt für einen unverschämt niedrigen Preis aus der Haftung für das Hochrisikogeschäft Atom" und nehme die Allgemeinheit in die Pflicht. Denn die Zwischen- und Endlagerung sei voraussichtlich wesentlich teurer als der von der Atomkommission ausgehandelte Kompromiss.

Beispiele für Kostenexplosionen deutscher Atomprojekte gebe es jedenfalls genug. Breuer verweist hierbei auf die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe, die 1990 außer Dienst gestellt wurde. Ihr Rückbau sollte nach ersten Schätzungen eine Milliarde Euro kosten. Der Betreiber DWK habe sich daran mit einer halben Milliarden Euro beteiligt. Die tatsächlichen Kosten beliefen sich allerdings auf gut drei Millionen Euro, wofür nun größtenteils der Steuerzahler geradestehen müsse. "Allein die Kosten für das Zwischenlager Asse sind inzwischen unerwartet auf bis zu zehn Milliarden Euro gestiegen", führt Breuer als weiteres Beispiel an. Bergung und Neudeponierung des Atommülls aus dem maroden Salzbergwerk seien ursprünglich mit einem Bruchteil der Ausgaben veranschlagt gewesen. Und das Problem sei dort längst nicht gelöst. Angesichts dessen, dass es derzeit weltweit noch kein Endlager für hochradioaktiven Müll gebe und dieser eine Million Jahre sicher verwahrt werden müsse, könne eh nicht seriös kalkuliert werden, welche Kosten künftig anfielen, legt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomkraft nach. Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, warf der Bundesregierung vor, die Kosten für den Atomausstieg mit unrealistischen Zinssätzen schöngerechnet zu haben. Bis zum Jahr 2010 könnten die Kosten auf geschätzte 169 Milliarden Euro ansteigen, ohne die Kosten für die Endlagerung.

Die betroffenen Energieunternehmen würden mit einem hohen Risikoaufschlag "über ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus" belastet, kritisierte dagegen Eon in einer Stellungnahme unmittelbar nach Veröffentlichung der Kommissionsempfehlung. Gleichlautende Mitteilungen gab es auch von RWE, EnBW und Vattenfall. Die Unternehmen betonten jedoch, dass sie selbstverständlich zu ihren Verpflichtungen für die Abwicklung der Kernenergie stünden. Doch mit einer Klagewelle von mehr als 20 Verfahren wehren sich die Energiekonzerne gegen den politisch beschlossenen Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Deutschland und fordern Entschädigungen in Milliardenhöhe. Allerdings bisher nicht sehr erfolgreich. So erlitt EnBW im April vor dem Landgericht Bonn eine juristische Schlappe mit seiner Klage gegen den Bund und das Land Baden-Württemberg wegen des AKW-Moratoriums von 2011. Das Unternehmen hatte 261 Millionen Euro Schadensersatz wegen der Abschaltung von zwei Reaktoren durchsetzen wollen.

Auch Eon hat nach einem Urteil des Landgerichts Hannover von Anfang Juli keinen Anspruch auf Entschädigung wegen des Atomausstiegs in Deutschland. Das Unternehmen hatte knapp 380 Millionen Euro Schadensersatz für die Stilllegung der Atomreaktoren Isar 1 und Unterweser verlangt. Das wichtigste Verfahren spielt jedoch seit Mitte März in Karlsruhe. Eon, RWE und Vattenfall klagen grundsätzlich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Atomausstiegsgesetz, weil sie sich in ihren Eigentumsrechten verletzt sehen. Das Gericht beschäftigt sich mit der Frage, ob dem Gesetzgeber etwas vorzuwerfen ist. Ein Urteil dazu steht noch aus. Je nach Ausgang könnte es den Unternehmen die Grundlage für weitere Klagen vor ordentlichen Gerichten bieten oder den Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichten. "Es geht uns im Ergebnis nicht darum, die politischen Entscheidungen in der Sache zu revidieren, sondern die wirtschaftlichen Interessen und Rechte von Unternehmen, Kunden, Mitarbeitern und Aktionären durch faire Entschädigungsregeln durchzusetzen", hatte Eon-Vorstandschef Johannes Teyssen bereits im Vorfeld erklärt.

Offensichtlich ist jedenfalls, dass die großen Energieversorger alle vor enormen Herausforderungen stehen und sich mit der Energiewende neu erfinden müssen. Unisono brachen in den vergangenen Jahren Umsätze und Gewinne ein, tausende von Mitarbeitern wurden entlassen. Das bisher wichtigste Geschäftsmodell, Strom aus großen Atom-, Kohle oder Gaskraftwerken zu verkaufen, funktioniert nicht mehr richtig. Die konventionellen Kraftwerke wurden durch dezentrale Wind- und Solarenergie aus dem Markt gedrängt. Seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima, als die Energiewende forciert wurde, stürzte der Strompreis im Großhandel von mehr als 50 Euro je Megawattstunde auf gerade noch 32 Euro Ende 2014 ab. Aktuell kostet im Terminmarkt die Megawattstunde Strom, die im kommenden Jahr geliefert werden soll, gerade noch knapp 25 Euro. Für 2018 und 2019 wird ein weiterer Preisverfall prognostiziert. Mit einer Kehrtwende zu erneuerbaren Energien und einer Umorganisation versuchen nun die Konzerne neue Geschäftsfelder zu erschließen. So gaben die Eon-Aktionäre Anfang Juni grünes Licht für die Aufspaltung des Konzerns. Eon konzentriert sich nun ganz auf Erneuerbare, Netze und Vertrieb (sowie wegen der Haftungsproblematik auf Atomkraft). Im neuen Unternehmen Uniper sind das konventionelle Kraftwerksgeschäft sowie der Energiehandel gebündelt. RWE behält das konventionelle Kraftwerksgeschäft, gliedert jedoch in einem neuen Unternehmen Innogy das Ökostromgeschäft, die Stromnetze und den Vertrieb aus.