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FAMILIE : Der Fels in der Brandung

Ihr Bild und ihre Aufgaben haben sich gewandelt. Ihre Bedeutung für unser Wohlbefinden bleibt groß

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
5 Min

Sie wurde schon oft totgesagt und denkt doch gar nicht daran, sich kleinkriegen zu lassen - die Familie ist eine Institution, die unser aller Leben prägt. Wahr ist aber auch: Ihr Gesicht hat sich verändert.

Dass unser heutiges Konzept von Familie so gut wie nichts mehr mit dem Ursprung des Begriffs zu tun hat, zeigt schon ein Blick auf die Wortbedeutung. Der lateinische Begriff "familia" steht für die Hausgemeinschaft und leitet sich von dem Wort "famulus" ab - das bedeutet "der Haussklave". Ursprünglich bezeichnete Familie also den Besitz eines Mannes: Weib, Kinder, Sklaven und Vieh. "Familia" und "pater familias" benannten nicht die Beziehungen miteinander verwandter Menschen, sondern waren Herrschaftsbezeichnungen.

Mit der Sprache veränderte sich auch der Inhalt dessen, was wir unter einer "typischen" Familie verstehen, die auch gern als "Keimzelle der Gesellschaft" bezeichnet wird. In der Antike meinte "Familie" eine Rechtsform, in der Verwandte verschiedener Generationen mit ihren Sklaven unter dem Schutz eines Hausherren zusammenlebten, der über alle Belange entschied. Die "Große Haushaltsfamilie" des Mittelalters stellte sich ähnlich dar. Erst in der Vormoderne entstand die "bürgerliche" Familie: Anders als bei Handwerkern oder Bauern gehörten hier Dienstboten und Gesinde nicht mehr zum inneren Kern, zu ihnen wurde zunehmend Distanz gewahrt. Stärker als bei Kaufleuten und ähnlich gut gebildeten Menschen waren im Milieu der Handwerker- und Bauernfamilien der vorindustriellen Zeit Familien vor allem Wirtschaftsgemeinschaften: Produktion, Konsum und Familienleben waren kaum voneinander getrennt.

Entstehung der »Kernfamilie « Erst im Zuge der Industrialisierung bildete sich die "Kernfamilie" heraus, wie wir sie heute kennen: Ehegatten mit Kindern, die gemeinsam ein privates Gegenstück zur Arbeitswelt bilden. Hier kam es erstmals zu einer ausgesprochen scharfen Trennung der Zuständigkeiten beider Geschlechter: Während die Väter für das Geldverdienen in einer zumeist männlichen Arbeitswelt zuständig waren, kümmerten sich die Frauen um den Haushalt und die Erziehung der Kinder. Mit einer wachsenden sozialen Mobilität, der steigenden Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben und sich verändernden sozialen Normen weichte diese strikte Trennung zunehmend auf: Soziologen sprechen dabei von "Individualisierungsschüben" und einer "Enttraditionalisierung der Lebensformen".

Stehengeblieben ist der Wandel der Familie damit jedoch nicht: Forscher arbeiten heute mit dem Begriff der "postmodernen Familie", in der die Eltern in einer Familie nicht mehr zwangsläufig miteinander verheiratet sind und Wohngemeinschaften, Partnerschaften, Eineltern-Familien, Regenbogen- und Patchwork-Familien gleichermaßen unter ein Dach gebracht werden. Die kürzeste Familiendefinition lieferte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, der seine Regierungserklärung im Frühjahr 2002 unter den Titel stellte: "Familie ist, wo Kinder sind."

Akzeptanz anderer Modelle Die Familie erfreut sich bei aller Wandelbarkeit stetiger Beliebtheit; kaum einer Institution bringen die Menschen mehr Vertrauen entgegen. Das belegen Erhebungen immer wieder aufs Neue. So sagen laut dem Familienreport des Familienministeriums aus dem Jahr 2014 mehr als 80 Prozent der 20- bis 39-Jährigen in Deutschland, dass es ihnen wichtig ist, eine eigene Familie mit Kindern zu haben. Familie bedeutet für die meisten Menschen Vertrauen. Sie stellt einen Rückzugsort da, ist Quelle des Glücks und der Erholung. Erst in diesem Frühjahr ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest, dass 92,8 Prozent der Deutschen ihren unmittelbaren Familienangehörigen vertrauen.

Dabei gibt es einen deutlichen Wandel, wie insbesondere Eltern mit Kindern zusammenleben: Nach dem Datenreport des Statistischen Bundesamts für 2016 wurden im Jahr 2004 noch 6,7 Millionen Ehepaare mit minderjährigen Kindern gezählt. 2014 war ihre Zahl um 17 Prozent auf nur noch 5,6 Millionen gesunken. Gleichzeitig ist seit 2004 die Zahl der Alleinerziehenden um vier Prozent auf 1,6 Millionen angestiegen. Dennoch wachsen bis heute rund drei Viertel aller Kinder bei Eltern auf, die miteinander verheiratet sind. Die Ehe hat als Erfolgsmodell also längst nicht ausgedient, auch wenn andere Familienformen gesellschaftlich immer stärker akzeptiert werden. Die Ehe heute ist schlicht nicht mehr, was sie noch vor 50 Jahren war: Sie wurde von einer auf Schutz basierenden Sozialform, die unter starker sozialer Normierung stand, zu einer individuell gestaltbaren Partnerschaft. Gleiches gilt für die innerfamiliären Strukturen: Machtgefüge, in der ein männlicher Haushaltsvorstand die Entscheidungen trifft, sind selten geworden.

Norbert Schneider, der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden, konstatiert, dass sich trotz aller Veränderungen "das ausgeprägte Bestreben der Menschen, in einer Partnerschaft zu leben und nicht etwa allein oder polygam" nicht verändert habe. Auch die hohe Bedeutung, "die das Familienleben für das allgemein empfindende Lebensglück der Menschen hat", sei bemerkenswert stabil: "Nicht etwa Erfolg im Beruf, Spaß in der Freizeit oder intensive Konsummöglichkeiten werden für das subjektive Wohlbefinden am höchsten bewertet, sondern eine gute Partnerschaft und ein glückliches Familienleben." Dieser Befund sei "ein wichtiger Beleg für die fortbestehende hohe Wertschätzung der Familie in unserer Gesellschaft", so Schneider.

Prägender Einfluss Versuche, die Familie abzuschaffen, wie im kommunistischen Russland Anfang des 20. Jahrhunderts oder in den israelischen Kibbuzim, scheiterten komplett. "Blut ist dicker als Wasser", so lautet der alte Spruch, der auf die besondere Bedeutung familiärer Beziehungen abhebt. Denn Familie prägt, hier erhalten Menschen ihre Sozialisation. Erhebungen wie die Life-Studie, eine Längsschnittstudie der Universitäten Potsdam, Zürich und Konstanz, sehen eindeutig enge Zusammenhänge zwischen der Herkunftsfamilie und den Einstellungen der Menschen. Neben ihren Genen reichen Eltern auch Einstellungen, Verhaltensweisen oder Lebenschancen an ihre Kinder weiter. Experten nennen das Transmission. Der familiäre Alltag mit seinen Abläufen, Ritualen und Gewohnheiten macht aus uns, wer wir sind. Allein aufgrund der Fülle der Aufgaben, die sie übernimmt, ist eine Welt ohne Familie für die meisten Menschen nicht denkbar. Denn sie ist auch der Ort, an dem Vertrauen überhaupt entsteht. Neurologen zufolge entwickeln Menschen in ihren ersten Lebensmonaten die Fähigkeit, anderen zu vertrauen. Nur über diese emotionale Sicherheit sei es möglich, Selbstsicherheit und die Fähigkeit, zu lieben zu entwickeln. Die Fähigkeit zu vertrauen ist mithin abhängig von der verlässlichen und liebevollen Zuwendung von "Dauerpflegepersonen" - meist der Eltern: Familie ist also auch, was sicher macht. Egal, wie sie aussieht.

Die Autorin ist freie Journalistin in Dresden.