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NSU-Ausschuss : Seltsame Spuren

Die Abgeordneten verlangen eine neue Auswertung der Beweismittel speziell im Fall Kiesewetter

24.10.2016
2023-08-30T12:30:09.7200Z
4 Min

Mit der jüngsten Spur zum Fall Peggy hat der Fallkomplex um die rechte Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) eine neue, spektakuläre Wendung genommen. Unlängst war bekannt geworden, dass eine DNA-Spur des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt am Fundort der Leiche von Peggy Knobloch gefunden wurde. Völlig abwegig scheint die Verbindung nicht. Böhnhardt war in den 1990er Jahren schon einmal Verdächtiger in einem Kindsmordfall. Zudem fanden Ermittler 2011 auf einem Computer in der Zwickauer Wohnung des NSU-Trios Kinderpornografie. Inwieweit Böhnhardt tatsächlich etwas mit dem Mord an der neunjährigen Peggy zu tun hat, ist aber noch völlig offen. Unklar ist auch, inwieweit der Fall relevant für den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages werden könnte. Man müsse nun erst einmal den bayerischen Behörden die nötige Zeit einräumen, um gründlich zu ermitteln, erklärte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) vergangene Woche.

DNA-Spuren Seit Monaten fordern Binninger und seine Kollegen, die Ermittlungen zu den DNA-Spuren im NSU-Verbrechenskomplex noch einmal neu aufzurollen. Der Wunsch des Ausschusses dürfte nun endlich Gehör finden. In mehreren Bundesländern wurden jetzt Sonderkommissionen eingerichtet, die ungeklärte Fälle von Kindstötungen seit den 1990er Jahren untersuchen sollen. Dabei werden sicherlich auch DNA-Abgleiche mit den drei mutmaßlichen NSU-Haupttätern - Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe - sowie mit anderen Beschuldigten im Umfeld des Terrortrios eine Rolle spielen.

Dass DNA-Spuren grundsätzlich mit Vorsicht zu behandeln sind, hat der mutmaßliche NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter gezeigt. Hier waren die Ermittler aufgrund einer vermeintlich heißen DNA-Spur jahrelang einem Phantomtäter nachgejagt. Am Ende stellte sich heraus: Die Spur war durch eine Verunreinigung zustande gekommen und stammte von einer Mitarbeiterin der Firma, die die Spurensicherung mit Wattestäbchen beliefert. Die Hintergründe im Mordfall Kiesewetter sind noch immer ungeklärt.

Offene Fragen Neue Untersuchungen zu alten Spuren forderte der NSU-Ausschuss deshalb auch in diesem Mordfall. Die Polizistin Kiesewetter und ihr Kollege Martin Arnold waren am 25. April 2007 in Heilbronn mutmaßlich von Böhnhardt und Mundlos überfallen und aus kurzer Distanz in den Kopf geschossen worden. Arnold überlebte schwer verletzt, Kiesewetter starb noch am Tatort. Im Zentrum der Untersuchungen des NSU-Ausschusses stehen unter anderem die Fragen, wie viele Täter an dem Mord beteiligt waren und ob Kiesewetter, wie bisher angenommen, ein Zufallsopfer war.

Nach wie vor gibt es keinen unmittelbaren Augenzeugen von der Tat. Mehrere Zeugen wollen aber bis zu sechs Tatverdächtige gesehen haben, die zum Teil blutverschmiert waren und Hals über Kopf vom Tatort geflüchtet sind. Für die Auswertung der damaligen Zeugenbefragung war LKA-Ermittler Klaus Brand zuständig. Der Ausschuss ging mit ihm noch einmal detailliert fünf Zeugenaussagen durch und versuchte den Tathergang zu rekonstruieren. Die fünf Zeugen seien alle glaubwürdig gewesen, auch wenn sie sich teilweise in zentralen Punkten wie der Beschreibung der Fluchtfahrzeuge und Täter widersprochen hätten, sagte Brand. Füge man die Zeugenaussagen zusammen, komme man allerdings auf sechs Täter. Auch der Ausschuss vermutet mittlerweile, dass Böhnhardt und Mundlos in diesem Fall mehrere Komplizen hatten. Die Bundesanwaltschaft, die im NSU-Prozess in München die Anklage führt, geht dagegen weiterhin von zwei Tätern aus.

Vieles spreche dafür, dass die Täter gezielt Polizisten ermorden wollten, sagte der Zeuge Brand. Er sei aber überzeugt, dass Kiesewetter und Arnold dabei Zufallsopfer gewesen seien. Denn Kiesewetter habe ihre Schicht wenige Tage vorher mit einem Kollegen getauscht und sei rein zufällig am Tatort gewesen.

Einen Kollegen von Brand, Wolfgang Fink, befragten die Abgeordneten zur Auswertung der Mobilfunkzellen rund um den Tatort. Laut Fink ergab die Auswertung zwar zahlreiche Hinweise, aber keinen Durchbruch bei den Mordermittlungen. Eine Kommunikation der Täter per Handy habe man nicht entdecken können.

Kritische Nachfragen Armin Schuster (CDU) rügte: "Sie haben jetzt jahrelang erfolglos mit der These ,Zufallstat´ ermittelt und ich frage, wurde das Szenario ,geplante Tat´ ebenso professionell geprüft?" Fink räumte ein, dies sei nicht der Fall gewesen. Man habe zunächst nur nach Telefonnummern von aktenkundigen Straftätern gesucht. Auch seien die Verbindungsdaten vom Nachmittag nicht mit denen vom Vormittag abgeglichen worden. Irene Mihalic (Grüne) sagte, es sei nicht auszuschließen, dass die Täter den Tatort am Vormittag ausgekundschaftet und am Nachmittag zugeschlagen hätten.

Binninger stellte weitere Versäumnisse fest. So habe Kiesewetter kurz vor Ihrem Tod sieben SMS erhalten. Als Absender sei jeweils die SMS-Zentrale des Netzbetreibers vermerkt gewesen. Dies sei äußerst ungewöhnlich und nicht zufriedenstellend aufgeklärt worden. Der Ausschuss fordert nun - wie schon bei den offenen DNA-Spuren - eine Generalrevision der Funkzellenauswertung.