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Erich Honecker : Der Unbeirrte

Der Historiker Sabrow durchleuchtet das Leben des jungen Kommunisten vor seinem steilen Aufstieg

19.12.2016
2023-08-30T12:30:12.7200Z
3 Min

Lebensläufe von Spitzenfunktionären waren in Staaten wie der DDR parteiamtlich betreute Narrative, in denen die Treue des Genossen zur kommunistischen Sache beschworen wurde. In solchen Kontinuitätsbiografien durfte es keine Abweichungen von der Parteilinie geben, weil sonst die Vorbildfunktion des Spitzengenossen in Frage gestellt und "gegnerischen Angriffen" Munition geliefert werden konnte. "Proletarische Herkunft, makellose Gesinnung, heroischer Antifaschismus, unbedingte Verlässlichkeit, vielseitige Verwendung, angemessene Ehrung", das mussten die Ingredienzien offizieller Lebensläufe der Generation der Altkommunisten sein, die in der DDR politische Spitzenfunktionen ausübten, schreibt Martin Sabrow in seiner Biografie über den jungen Erich Honecker. Dessen erste dramatische Lebenshälfte ist zu Unrecht weitgehend vergessen. Sabrow schreibt weder eine Helden- noch eine Schurkengeschichte.

Der Berliner Historiker und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam unterzieht erstmals wissenschaftlich den "über Jahrzehnte gebildeten und geschützten Heiligenschein" von Honeckers Lebensgeschichte einer Überprüfung. "Nicht als Biografie eines Bedeutenden lohnt die Betrachtung von Honeckers Lebensweg vor seiner Nachkriegskarriere", so Sabrow, "sondern wegen der Bedeutung des Biographischen in der Machthierarchie des SED-Staates."

Er weist nach, dass in Honeckers 1980 erschienenen Memoiren "Aus meinem Leben" Ghostwrighter und SED-Historiker kräftig retuschiert, weggelassen und geradegebogen haben, was nicht stimmig war. Allerdings gab es wohl keine schweren Makel, die den Aufstieg des späteren DDR-Partei- und Staatschefs ernsthaft gefährden konnten. Während sich den Menschen in den letzten Jahrzehnten von Honeckers Leben bis zum Tod 1994 im chilenischen Exil das Bild des grauhaarigen, maskenhaften Apparatschiks mit Hornbrille und leiernder Rhetorik eingeprägt hatte, schildert Sabrow den jungen Sprössling einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus dem Saarland als stürmisch, jung, gutaussehend und mutig. Langweilig war er nicht.

Gefährliche Mission Als Chef des kommunistischen Jugendverbands an der Saar galt der 1912 geborene Honecker als redegewandt und talentiert. Er wurde deshalb von der KPD 1930/31 als hoffnungsvoller Nachwuchskader zur Lenin-Schule nach Moskau geschickt. Nach 1933 wurde der getreue Parteisoldat an die Ruhr und in den Südwesten entsandt, um dort im gefährlichen Auftrag im nationalsozialistischen Deutschland die KP-Jugend im Untergrund zu führen. Im "Saarkampf" agitierte er gegen den Anschluss seiner Heimat an Hitler-Deutschland. Als er Ende 1935 in Berlin aktiv wurde, wurde er verhaftet und 1937 vom Volksgerichtshof, der Honecker als "überzeugten und unbelehrbaren Kommunisten" bezeichnete, zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Bis April 1945 saß er die Haft im Zuchthaus Brandenburg/Havel fast vollständig ab.

Zu Sabrows Verdiensten gehört, dass er sich intensiv mit den nach 1945 wabernden Gerüchten auseinandersetzt, Honecker habe der Gestapo entgegen seiner antifaschistischen Legende Genossen verraten. Das wird widerlegt. Als Unebenheit bleibt seine Beziehung zu einer NS-Gefängniswärterin, die er 1945 bei einem Arbeitseinsatz in Berlin kennengelernt und Ende 1946 sogar geheiratet hatte. Sie starb schon 1947. So konnte er die Frau ganz aus seinen Biografien verbannen.

Klar wird, dass Honeckers späterer Starrsinn, gegen den auch Sowjet-Präsident Gorbatschow 1989 mit seinem Ruf "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" nicht ankam, aus der Zeit bis 1945 herrührte. "Sein politischer Zielkatalog", so der Autor, "änderte sich nie, und er formulierte 1990 nicht anders, als er es 1930 getan hätte." Sabrow spricht vom "eingefrorenen Erfahrungsschatz", bei dem Leitbilder die fehlende Bildung (selbst die 1928 begonnene Dachdeckerlehre hatte der Jungkommunist Honecker nach zwei Jahren abgebrochen) ersetzten: Thälmann, Wehner - Anführer während des "Saarkampfs" -, Stalin, Ulbricht waren für Honecker lebenslang Leitbilder. Ex-Politbüromitglied Hermann Axen sagte nach der Wende: "Erich hat noch im Alter die Ideale aus den Dreißigerjahren gehabt: ein Dach überm Kopf, genug zu essen, warme Kleidung, genug Geld für eine Eintrittskarte zum Kino am Wochenende und ein Kondom."

Honecker wurde früh Berufsrevolutionär, der alles der Partei unterordnete. Sein Lebenssinn war laut Sabrow "nicht persönliches Fortkommen", sondern das "Selbstopfer für eine übergeordnete Sache". Das war nach 1933 der aussichtslose und teils selbstmörderische Kampf der Kommunisten gegen die Nazis. Nach 1945 deutete nichts darauf hin, dass der freigekommene Häftling, der zehn Jahre vom realen Leben abgeschnitten war, im entstehenden "deutschen Arbeiter- und Bauernstaat" als FDJ-Chef und später Generalsekretär des ZK der SED einmal eine Spitzenrolle spielen würde. Warum es Honecker trotz der ihm attestierten Mittelmäßigkeit nach 1945 möglich wurde, die Macht in der DDR zu erobern und diese 18 Jahre lang zu halten, will Sabrow im nächsten Band darlegen. Da kann man gespannt sein. .