"Die Würde des Menschen ist unanantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani bezeichnete Artikel 1 des Grundgesetzes in seiner bemerkenswerten Rede zum 65. Jubiläum der deutschen Verfassung am 23. Mai 2014 vor dem Bundestag als "sprachlich vollkommen". Und doch stelle diese "empathische Prämisse" des Grundgesetzes ein Paradoxon dar. Denn wäre die Würde des Menschen unantastbar, "dann müsste der Staat sie nicht achten und schon gar nicht schützen", sagte Kermani.
Auch Dietmar von Pfordten, er lehrt Rechts- und Sozialphilosophie an der Georg-August-Universität Göttingen, geht diesem vermeintlichen Widerspruch und anderen Fragen in dem schmalen, kompakten Band aus der "Wissen"-Reihe des Beck-Verlages nach. Der Wissenschaftler zeichnet nach, wie sich die Menschenwürde zum zentralen Wert in den Vorstellungen von Recht und Ethik entwickelt,
angefangen in den römisch-griechischen Antike über die Denker des Christentums und der frühen Neuzeit bis zur Formulierung der UN-Charta, des Grundgesetzes und der Europäischen Grundrechtecharta.
Neben historischen und rechtsphilosophischen Betrachtungen liefert von Pfordten aber auch ganz handfeste Antworten auf Fragen, denen sich moderne Gesellschaften aktuell stellen müssen. Etwa, ob und wie sich medizinische Forschung - etwa in der Präimplantationstechnik, der Gentechnik oder beim Klonen - mit der Menschenwürde vereinbaren lässt. Oder auf die Fragen, ob der Staat zum Schutz von Bürgern und Gesellschaft Lügendetektoren und Folter einsetzen oder ein entführtes Passagierflugzeug entführen darf.
Dietmar von Pfordten stellt auch klar, dass der Angreifer auf die Menschenwürde zugleich seine eigene Menschenwürde mindert oder gar verliert. Diese Botschaft ist auch an all jene gerichtet, die Frauen sexuell belästigen oder Flüchtlinge mit hasserfüllten Parolen beschimpfen.
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