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EUROPARAT : Reise nach Damaskus

Die Türkei steht nun unter verschärfter Beobachtung des Staatenbundes. Eine bizarrer Korruptionsfall stellt den Beschluss allerdings in den Schatten

02.05.2017
2023-08-30T12:32:20.7200Z
3 Min

Schon Tage vor der Frühjahrssession der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zirkulierten im Palais de l'Europe Gerüchte über einen "Putsch" und einen "Sturz". Der Aufstand gegen den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Pedro Agramunt, wegen einer von Syrien finanzierten und von Moskau unterstützten Reise des Spaniers nach Damaskus sowie wegen dessen Umgang mit einer Korruptionsaffäre in den Reihen des Straßburger Parlaments beherrschte dann die gesamte Sitzungswoche. Selbst der brisante Beschluss, die Türkei wegen autokratischer Tendenzen der Kontrolle durch die Europaratsabgeordneten zu unterwerfen, geriet in den Schatten des bizarren Showdowns um Agramunt.

Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war der Christdemokrat zwar noch im Amt, einen Rücktritt verweigerte er. Doch am letzten Tag der denkwürdigen und turbulenten Sitzung entzog ihm das Parlamentspräsidium demonstrativ das Vertrauen: Der Spanier darf keine offiziellen Reisen mehr unternehmen und keine Erklärungen im Namen der Versammlung abgeben - ein in der Geschichte des Europarats beispielloser Vorgang.

Schon bei der Auftaktsitzung brach in hitziger Atmosphäre über Agramunt der Zorn vieler Parlamentarier wegen der ominösen Reise nach Syrien samt Gespräch mit Diktator Assad herein. Begleitet worden war Agramunt von den Liberalen Alain Destexhe aus Belgien und Jordi Xucla aus Spanien. Die Demission des Präsidenten verlangte unverblümt der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, der Italiener Michele Nicoletti. Axel Fischer (CDU), Vorsitzender der EVP-Fraktion: "Wir verurteilen die Reise nach Syrien." Der holländische Christdemokrat Peter Omtzig warf dem Spanier vor, in einer russischen Maschine nach Damaskus geflogen zu sein.

Agramunt musste sich sogar demütigend bei einer spontan einberufenen Anhörung rechtfertigen. Omtzig brachte ein Misstrauensvotum des Plenums gegen den Präsidenten ins Spiel, doch so etwas sieht das Reglement des Parlaments bislang nicht vor. Prompt rief dessen Geschäftsordnungsausschuss dazu auf, künftig ein solches Misstrauensvotum oder ein Verfahren zur Absetzung des Präsidenten zu ermöglichen. Agramunt räumte ein, die Reise nach Damaskus sei ein "Fehler" gewesen, wofür er sich entschuldigte.

Genährt wird die Wut auf Agramunt auch durch den Korruptionsskandal. Es geht um die "Kaviardiplomatie" Aserbaidschans, das nicht nur mit klassischem Lobbying, sondern auch über die Bestechung von Parlamentariern mit Geld, Reisen ans Kaspische Meer und teuren Geschenken versucht haben soll, in Straßburg Entscheidungen zu beeinflussen. Auf diese Weise soll etwa ein kritischer Bericht zu politischen Gefangenen in Aserbaidschan verhindert worden sein. Mailänder Staatsanwälte ermitteln inzwischen gegen den Ex-Chef der EVP-Fraktion, den Italiener Luca Volontè, wegen des Verdachts, 2,4 Millionen Euro erhalten zu haben, um beim Europarat im Sinne Aserbaidschans zu agieren. Wie andere Abgeordnete soll auch Agramunt gratis nach Baku gereist sein.

Ein Beschluss über die von über 100 Abgeordneten in einer Petition unterstützte Forderung nach Aufklärung des Korruptionsskandals wurde vom Präsidium mehrfach verschoben. Bei der Frühjahrssitzung betonte Europarats-Generalsekretär Thorbjörn Jagland (Norwegen): "Die Parlamentarische Versammlung muss mit 100 Prozent Integrität handeln." Vergangene Woche beschloss die Parlamentsspitze endlich die Einsetzung einer unabhängigen Kommission. Über die personelle Zusammensetzung des dreiköpfigen Gremiums wird das Plenum aber erst bei der Sitzung Ende Juni entscheiden.

Ohne den Wirbel um Agramunt hätte wohl der mit großer Mehrheit gefasste Beschluss, die Türkei einem Monitoring zu unterwerfen, im Vordergrund der Session gestanden. Bei diesem Verfahren, die schärfste Maßnahme der Europaratsabgeordneten, wird überprüft, ob ein Mitgliedsland freiheitlich-rechtsstaatliche Standards einhält. Gegen Proteste der türkischen Delegierten wurde das Monitoring wegen der Repressalien gegen Oppositionelle nach dem gescheiterten Putschversuch und wegen des Verfassungsreferendums eröffnet.

Aus Sicht des SPD-Abgeordneten Frank Schwabe werden in der Türkei demokratisch-rechtsstaatliche Prinzipien "massiv in Frage gestellt". Nach dem Putschversuch wurden viele Oppositionspolitiker und Journalisten inhaftiert, manche Medien sind verboten, es herrscht ein Klima der Einschüchterung und Angst. Just während der Tagung des Europaratsparlaments wurden erneut Tausende, unter ihnen auch zahlreiche Polizisten, entlassen oder verhaftet. Straßburg moniert auch die vom Referendum ermöglichten autoritären Tendenzen. Schwabe fürchtet eine "Autokratie".

Das türkische Außenministerium kritisierte das Monitoring-Votum scharf. Man werde die Beziehungen zum Straßburger Parlament überprüfen. Zum nächsten Showdown könnte es schon bald kommen, nämlich dann, wenn Ankara die Todesstrafe einführen sollte. Bei der Sitzungswoche betonten mehrere Abgeordnete, dass in diesem Fall die Türkei nicht mehr Mitglied des Europarats sein könne.