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Rückblick : Pfui-Rufe, Heiterkeit und Familiengeschichten

Mal spannend, mal langweilig: ein Streifzug durch 15 Bundesversammlungen. Kandidatinnen standen stets auf verlorenem Posten

30.01.2017
2023-08-30T12:32:15.7200Z
4 Min

Für eine mögliche zweite Amtszeit hat Bundespräsident Joachim Gauck aus Altersgründen nicht zur Verfügung stehen wollen, die erste aber absolviert er bis zum 17. März über die volle Distanz von fünf Jahren. Das mag beim Blick auf die Gesamtheit seiner zehn Vorgänger nicht ungewöhnlich sein, war aber zuletzt die Ausnahme: Als ihn die 15. Bundesversammlung 2012 zum Nachfolger des zurückgetretenen Christian Wulff kürte, lag dessen Wahl zum Staatsoberhaupt erst etwas mehr als 20 Monate zurück, und nur gut 13 weitere Monate waren zuvor vergangenen, seit der später gleichfalls demissionierte Horst Köhler im höchsten Staatsamt bestätigt worden war. Drei Bundesversammlungen in weniger als drei Jahren - das hatte es bis dahin noch nicht gegeben: Heinrich Lübke, vor Köhler der einzige zurückgetretene Bundespräsident, hatte von seiner zweiten Amtszeit schon mehr als vier Jahre absolviert, als er 1968 seinen vorzeitigen Abschied zum 30. Juni 1969 ankündigte, zehn Wochen vor Ablauf der regulär fünfjährigen Amtsdauer.

Eine andere Premiere bot Köhlers Wiederwahl 2009, als mit ihm und seiner SPD-Herausforderin Gesine Schwan erstmals zwei Kandidaten antraten, die bereits bei der vorherigen Präsidentenwahl aufeinandergetroffen waren. Wie 2004 setzte sich Köhler auch 2009 - jeweils von Union und FDP nominiert - im ersten Wahlgang gegen seine Kontrahentin durch.

Zugleich erinnerte die Konstellation von 2009 an die spannendste aller bisherigen Bundespräsidentenwahlen: die vom 5. März 1969. Damals regierten wie im Mai 2009 Union und SPD in einer Großen Koalition die Bundesrepublik. In der Bundesversammlung aber ließen sie zwei Kabinettsmitglieder gegeneinander antreten. Für die Union kandidierte Gerhard Schröder (nur nahmensgleich mit dem späteren Kanzler), erst Innen-, dann Außen-, schließlich Verteidigungsminister. Für die SPD bewarb sich Justizminister Gustav Heinemann, einst selbst CDU-Innenminister und mittlerweile Sozialdemokrat.

In den zwei ersten Wahlgängen verfehlten beide die erforderliche absolute Stimmenmehrheit, wobei Heinemann knapp vor seinem Kabinettskollegen lag. Im dritten Wahlgang, bei dem die relative Mehrheit reicht, gewann er mit 50,0 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ausschlaggebend war die FDP, die den ersten SPD-Politiker ins höchste Staatsamt wählte - ein Vorbote der sozialliberalen Koalition.

Nicht jede Bundesversammlung bot einen solchen Krimi. 1979 und 1984 etwa war das Ergebnis von vornherein klar, da die Union die absolute Mehrheit in dem Gremium hatte. Da half es der SPD 1979 nichts, mit Ex-Bundestagspräsidentin Annemarie Renger erstmals eine Frau ins Rennen zu schicken. Renger, die dem CDU-Mann Karl Carstens unterlag, war dabei für ihre Partei nur "zweite Wahl": Ursprünglich hatte die SPD die Kandidatur dem Physiker und Philosophen Carl-Friedrich von Weizsäcker angetragen, der indes abwinkte. Sonst hätte er wohl mit seinem Bruder Richard die Erfahrung einer Niederlage in der Bundesversammlung geteilt.

Richard von Weizsäcker nämlich stand 1974 als Unions-Bewerber auf verlorenem Posten gegen den sozialliberalen Mehrheitskandidaten Walter Scheel. Dafür bekam er dann 1984 auch zahlreiche SPD-Stimmen und 80,9 Prozent. Bei seiner Wiederwahl 1989 gab es zum einzigen Mal keine Gegenkandidaten: Der Amtsinhaber wurde mit 86,2 Prozent bestätigt - ein Wert, den nur Gründungspräsident Theodor Heuss bei seiner Wiederwahl 1954 mit 88,2 Prozent übertraf. Heuss hatte dabei ebenfalls die Zustimmung auch der meisten Sozialdemokraten gefunden. Bei seiner ersten Wahl 1949 konnte er sich dagegen erst im zweiten Wahlgang gegen SPD-Chef Kurt Schumacher durchsetzen.

"Pfui"-Rufe gab es bei seiner Wiederwahl 1954 bei Bekanntgabe des Wahlergebnisses, als sich eine Stimme für den noch als Kriegsverbrecher inhaftierten Karl Dönitz fand, 1945 kurzzeitiger Nachfolger Hitlers als Reichspräsident. Dass auf einem weiteren Stimmzettel der damalige Chef des Hauses Hohenzollern als Staatsoberhaupt gewünscht wurde, erregte 36 Jahre nach Ende der Monarchie nur noch Heiterkeit. Auch auf Konrad Adenauer entfiel 1954 eine Stimme, obwohl er wie Dönitz und der Kaiser-Enkel gar nicht nominiert war. Eng verknüpft ist der Name des ersten Bundeskanzlers mit der folgenden Präsidentenwahl von 1959, für die er zunächst seine Bewerbung angekündigt hatte.. Drei Wochen vor der Wahl machte Adenauer einen Rückzieher, um weiter die "Richtlinien der Politik" bestimmen zu können. Heuss-Nachfolger wurde stattdessen Heinrich Lübke (CDU). Bei dessen Wiederwahl 1964 verzichtete die SPD - anders als die FDP - auf einen Gegenkandidaten: Die erste Große Koalition kündigte sich an.

Mit vier Gegenkandidaten hatte es dagegen 1994 Roman Herzog zu tun. Als Unions-Bewerber für deren ursprünglichen, dann aber zurückgezogenen Kandidaten Steffen Heitmann aus Sachsen angetreten, konnte sich Herzog gegen den SPD-Mann Johannes Rau erst im dritten Wahlgang behaupten - mit Untersützung der FDP, die ihre Bewerberin Hildegard Hamm-Brücher nach dem zweiten Wahlgang aus dem Rennen genommen hatte.

Rau gelang fünf Jahre später der Sprung an die Staatsspitze. Verheiratet mit der Enkelin seines politischen Ziehvaters Heinemann, musste er sich dabei auch gegen dessen von der damaligen PDS nominierten Tochter Uta Ranke-Heinemann durchsetzen, der Tante seiner Frau. Der zweite Sozialdemokrat im höchsten Staatsamt nahm es launig: "An dem Wort ,Familienbande' ist viel Wahres dran", bemerkte Rau - nach seiner Wahl, wohlgemerkt.

Wie Rau und Weizsäcker fand auch der amtierende Bundespräsident Gauck erst im zweiten Anlauf 2012 eine Mehrheit der Bundesversammlung, bei dem er als schwarz-rot-gelb-grüner Kandidat ins Rennen ging: 79,9 Prozent langten ihm schon im ersten Wahlgang. 2010 dagegen musste sich Gauck, damals von SPD und Grünen nominiert, noch Wulffs Mehrheit von Union und FDP beugen, wenn auch erst im dritten Wahlgang.

Mit einer breiten Mehrheit kann am 12. Februar auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier rechnen, auf dessen Nominierung sich Union und SPD verständigt haben. Er wäre nicht nur (nach dem FDP-Mann Scheel) der zweite Außenamtschef, der ins Präsidentenamt wechselt, sondern auch der zweite Sozialdemokrat, der 2009 so wie Rau 1987 als Kanzlerkandidat seiner Partei eine Niederlage einstecken musste, um dann mit dem höchsten Staatsamt einen anderen Karrieregipfel zu erklimmen.