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GÜLEN-Bewegung : Vom Freund zum Feind

Den Machtkampf mit Erdogan hat das islamische Netzwerk verloren. Auch im Ausland gerät es immer mehr unter Druck

27.02.2017
2023-08-30T12:32:16.7200Z
4 Min

Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung sind überzeugt: Die Gülen-Sekte ist verantwortlich für die Ereignisse des 15. Juli 2016. Seit dem Putschversuch sitzen offiziell rund 44.000 Personen in Haft. Sie werden beschuldigt, entweder aktiv daran teilgenommen oder ihn durch Beziehungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben.

Hatte es schon zuvor massive Repressionen gegen die Bewegung gegeben, so wurde nachdem 15. Juli eine regelrechte Hexenjagd entfacht. Noch in der Putschnacht ließ Erdogan 3.000 Richter, Staatsanwälte und andere Justizangehörige, denen eine Nähe zur Gülen-Bewegung unterstellt wird, aus ihren Ämtern entfernen. Bis heute wird fast täglich ein angeblicher Sympathisant aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Betroffen sind vor allem der Justizapparat, Polizei und Geheimdienst, das Militär und der gesamte Bildungsbereich.

Es reicht, ein Konto bei einer Bank unterhalten zu haben, die angeblich von Gülen-Anhängern gemanagt wurde, um seinen Job zu verlieren. Wer eine bestimmte Kommunikations-App namens Bay Look nutzt, wird zum inneren Kreis der Putschisten gezählt und landet im Gefängnis.

Die Kampagne zielt klar darauf ab, einen politischen Gegner zu beseitigen, den Erdogan und seine AKP sehr gut kennen und dessen Macht ihnen zuletzt als größte Bedrohung erschien.

Erdogan weiß um den Einfluss der Sekte, weil Gülen und seine Bewegung über zehn Jahre seine engsten Verbündeten waren. Als seine neu gegründete AK-Partei bei den Wahlen im November 2002 überraschend die absolute Mehrheit gewann und die alleinige Regierung stellen konnte, war sie hilflos einer überwiegend vom politischen Gegner geprägten Bürokratie ausgeliefert und brauchte dringend Unterstützung. Das war die Stunde von Gülen.

Die Bewegung, die in der Türkei zumeist nur "Cemaat" Gemeinde genannt wird und sich selbst "Hizmet" ("Die Dienenden") nennt, war bereits in den 1990er Jahren die einflussreichste islamische Sekte der Türkei. Ihr Gründer und unumschränkter Chef ist der Prediger Gülen. Er stammt aus der erzkonservativen Stadt Erzerum im Osten des Landes, war zunächst ein staatlicher Imam, verließ aber in den 1970er Jahren den Staatsdienst und widmete sich ganz dem Aufbau seiner Bewegung. Er entwickelte ein Lehrgebäude, in dem Wissenschaft und Glauben miteinander kompatibel sind und Wissen einen hohen Stellenwert hat. Trotzdem vertritt Gülen einen konservativen Islam, in dem Koran und Scharia sehr traditionell ausgelegt werden, die Gleichheit der Geschlechter verneint und Homosexualität verdammt wird. Ihr Wissen soll die Muslime der Türkei dazu befähigen, nach und nach die Macht im Land von den säkularen Kemalisten zurückzuerobern. Gülen gründete Nachhilfe-Schulen und Internate, in denen begabte muslimische Kinder gefördert werden. Daraus entwickelte sich mit den Jahren ein ganzes Bildungsimperium, von Privatschulen bis zu eigenen Universitäten. Die Netzwerke der Absolventen wurden ihr Rückgrat, Firmen die von Gülen-Schülern geleitet werden, spenden regelmäßig große Summen, mit denen unter anderem Medien aufgebaut werden, die die Botschaft Gülens unter die Leute brachten.

Gülen wollte die Macht durch den Marsch durch die Institutionen erobern. Ende der 1990er Jahre wurde jedoch ein Video publik, in dem Gülen seine Anhänger aufforderte, Schlüsselpositionen im Militär und der Polizei anzustreben, um den Kemalisten etwas entgegensetzen zu können. Gülen wurde angeklagt, setzte sich aber vor Prozessbeginn in die USA ab, wo er bis heute lebt.

Wie gut das Netzwerk im Staatsapparat war, zeigte sich, als die AKP an die Macht kam. Mithilfe von Gülen gelang es der Partei, den Staatsapparat, die Justiz, die Polizei und auch Teile des Militärs unter ihre Kontrolle zu bringen. In großen Schauprozessen wurden von 2008 bis 2011 säkulare Militärs, kemalistische Intellektuelle und Geschäftsleute als Putschisten von Gülen nahen Staatsanwälten angeklagt, ins Gefängnis gesteckt und entmachtet.

Doch die erfolgreiche Zusammenarbeit zeigte 2012 erste Risse. Nachdem die gemeinsamen Gegner weitgehend ausgeschaltet waren, begann ein Machtkampf im Innern. Erdogan wurden die Forderungen der Gülen-Leute zu dreist und die Gülen-Bewegung wollte Erdogan loswerden, um auch die AKP unter ihre Kontrolle zu bekommen. Heute muss man feststellen, dass die Sekte den Kampf zumindest in der Türkei verloren hat. Ihre Leute sitzen im Gefängnis oder sind ins Ausland geflohen. Doch sie ist längst international aufgestellt. Sie hat hunderte Schulen in Europa, in den USA, in Zentralasien und Afrika.

In Deutschland und den USA gibt die Bewegung sich tolerant und hat sich das Image erworben, sie stünde für den Dialog der Religionen. Doch auch im Ausland stehen die Gülen-Leute immer mehr unter Druck. In Deutschland werden sie von den zahlreichen Erdogan-Anhängern innerhalb der türkischen Community angefeindet und bekämpft. In den USA haben sie im Präsidentschaftswahlkampf mit Großspenden auf Hillary Clinton gesetzt und fürchten nun, dass die Trump-Administration Fethullah Gülen an die Türkei ausliefern könnte.

Der Autor ist Korrespondent der "taz" in der Türkei.