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Verkehr : Das Experiment

Die Abgasversuche der Automobilindustrie an Menschen und Tieren stoßen auf Empörung im Bundestag

05.02.2018
2023-08-30T12:34:24.7200Z
4 Min

Abgas-Versuche am Tier - und dann gar noch an Menschen: "Wie verkommen müssen Verantwortliche in den Unternehmen sein?", fragte Oliver Krischer (Grüne). Entsprechend lautete die Überschrift, unter der seine Fraktion eine Aktuelle Stunde im Bundestag verlangt hatte: "Haltung der Bundesregierung zu Abgasversuchen an Menschen und Affen." Beides in Zusammenhang zu bringen: Ins dieses Horn stieß freilich nur noch die Linksfraktion. Überwiegend ging es in den Debattenbeiträgen am Freitag um eine differenzierte Betrachtungsweise.

Einhellig fiel die Empörung aus über den Versuch an Affen in den USA - in Auftrag gegeben von der (inzwischen aufgelösten) Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT), einer von VW, Daimler und BMW getragenen Institution. Das Vorgehen sei eine "absolut inakzeptable ethische Entgleisung" gewesen, betonte der geschäftsführende Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU). Ihm fehle dafür "jedes Verständnis". Der Automobilindustrie riet er "dringend" dazu, "schleunigst eine Trendwende" einzuleiten und "Vertrauen durch Transparenz zurückzugewinnen".

Krischer nannte die Versuche "widerlich" und "skrupellos". Und hob mit diesem Befund auf den Versuch mit den Primaten ab, aber auch auf die von der EUGT mitfinanzierte Studie der Technischen Universität Aachen mit Menschen. Krischer hielt der Bundesregierung vor, es sei "bigott", wenn sie sich über die Tierversuche empöre, aber zulasse, dass die Automobilindustrie "mit Tricksen und Täuschen" in Deutschland ein "Realexperiment mit 80 Millionen Menschen" durchführe. Die Regierung müsse die Hersteller dazu drängen, dass auf ihre Kosten sieben bis acht Millionen Dieselfahrzeuge, die die Grenzwerte nicht einhalten, nachgerüstet werden. Zudem sei die Einführung der blauen Plakette notwendig, damit die Kommunen endlich handeln könnten.

Tiere gequält Kirsten Lühmann (SPD) gab zu bedenken, dass bei der Festlegung der vorgeschriebenen Grenzwerte auch wissenschaftliche Befunde zugrunde gelegt worden seien, die auf Tierversuchen etwa mit Ratten fußten. Der "Skandal" bei dem Versuch an Affen sei, dass die Tiere "ohne Erkenntnisgewinn gequält" worden seien. Versuche mit Erkenntnisgewinn seien jedoch legal und müssten weiter möglich sein, meinte sie mit Verweis auf die notwendige Freiheit von Lehre und Forschung. Dabei müssten Entscheidungen über Grenzfälle genau abgewogen werden - etwa, ob es auch andere Möglichkeiten gebe. Sie setzte sich für eine "öffentlich zugängliche Datenbank" über Tierversuche ein, damit Doppelungen vermieden würden. Lühmann hielt es als Sofortreaktion auf die angeprangerten Versuche für "sehr effektiv", wenn es zu "mehr Transparenz beim Lobbying" durch ein Lobbyregister komme. Wenn in Berichten über Versuche von vornherein mitgeteilt werde, wer sie finanziert hat, könne ein PR-Effekt vermieden werden.

Detlev Spangenberg (AfD) hielt den Grünen vor, sie hätten die Debatte unter einen "reißerischen Titel" gestellt und dabei "zwei Sachverhalte vermischt". Ausgangspunkt der Untersuchung in Aachen sei es gewesen, über Grenzwerte für die Stickoxid-Belastung an Arbeitsplätzen zu forschen. 25 Personen seien unterhalb der gültigen Grenzwerte eine Stunde lang reinem Stickoxid ausgesetzt worden: "Es waren keine Abgase. Es war Gas." Die Ethikkommission habe dem Versuch zugestimmt, weil damit keine gesundheitlichen Schäden für die - freiwilligen - Teilnehmer verbunden gewesen seien. Den Kritikern des Versuchs hielt er vor, "einen Skandal aufzubauen, der ohne Substanz ist". Das Aachener Vorgehen sei legal gewesen: "So ist die Rechtslage."

Judith Skudelny (FDP) machte "bei aller berechtigten Empörung" durchaus "politischen Beifang" aus, nämlich im Fall Aachen die "Kritik an der Wissenschaft- und Forschungsfreiheit". Es sei beim Aachener Versuch um "zusätzlichen Gesundheitsschutz" gegangen - eben mit Genehmigung der Ethikkommission. Ein Versuch könne "nicht schon deshalb unethisch sein, weil er von der Privatwirtschaft finanziert wird". "Weder ethisch nachvollziehbar noch duldsam" sei demgegenüber der Versuch an den Affen gewesen, meinte sie. Und fragte: "Warum schon wieder VW?" Das Unternehmen habe aus dem Abgasskandal "nichts dazugelernt". Vorstandschef Matthias Müller müsse sich auch von den Aktionären fragen lassen: "Kann er es nicht oder will er keine Transparenz herstellen?" Die Zukunft Deutschlands liege in Fortschritt und Forschung. Sie gelte es zu verteidigen.

Ingrid Remmers (Linke) nannte die Versuche an Tieren und Menschen "erbärmlich". Der Bundesregierung hielt sie "Ignoranz" gegenüber den Herstellern vor: "Wir alle werden zu Versuchstieren in Abgas-Untersuchungen gemacht". Die Folge seien Asthma, Krebs und Kreislauferkrankungen. Die Industrie setze die Menschen "bewusst" den gesundheitlichen Risiken aus. Das sei "strafbar". Entsprechende gesetzliche Regelungen seien unverzichtbar: "Hören Sie auf, mit der Autoindustrie zu kuscheln." Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Automobilindustrie stehe über dem Gesetz.

Steffen Bilger (CDU) machte geltend, die Wissenschaft müsse bei Einhaltung ethischer Grundsätze der Wahrheitsfindung dienen und dürfe "nicht zu Werbung oder Marketingzwecken missbraucht" werden. Doch "Hysterie" sei "völlig unangemessen" und werde wohl erzeugt "weil sie ins politische Konzept passt". Die gerade veröffentlichten Ergebnisse mit einem Rückgang der Stickoxid-Belastung in Städten zeige: "Wir sind auf einem guten Weg."

Die Union grenzte Bilger zu den Grünen ab: "Wir sind für alle Menschen da" - für Pendler, Handwerker, den Erhalt der Arbeitsplätze. Die blaue Plakette sei nur ein "anderer Begriff für ganzjähriges Fahrverbot für Millionen von Autofahrern". Er rief zu allen Anstrengungen auf, neue Wege in der Mobilität zu gehen. Sie müssten auf "festen moralischen und ethischen Grundpfeilern ruhen".