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FALL AMRI : Klingeln beim Gefährder

Wie Berlins Polizei 2016 ein Attentat vereitelte

22.06.2020
2023-08-30T12:38:19.7200Z
2 Min

Wer hätte das ahnen können? Hoch explosives Tri-Aceton-Tri-Peroxid, kurz TATP, womöglich kiloweise. Nie und nimmer hätte man Kollegen einem solchen Risiko ausgesetzt. Aber es ahnte eben niemand etwas, als am 26. Oktober 2016 zwei uniformierte Streifenbeamte im dritten Obergeschoss eines Hauses im Berliner Stadtteil Buch bei Magomet Ali Chamagow klingelten.

Dabei war dieser Chamagow den Behörden als islamistischer Gefährder längst bekannt, was ihm letztlich auch den unangekündigten Besuch eingetragen hatte. Dass jedoch Chamagow, als die Polizei bei ihm vor der Tür stand, gemeinsam mit seinem Kumpel Clément Baur und dem späteren Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri damit beschäftigt war, einen Anschlag auf das Gesundbrunnen-Center zu planen und in seiner Wohnung wahrscheinlich schon den Sprengstoff hortete, wurde erst anderthalb Jahre später durch einen Hinweis aus Frankreich in Berlin bekannt.

Kriminalhauptkommissar R.W., der dem Amri-Untersuchungsausschuss in der vorigen Woche die Umstände des Besuchs bei Chamagow schilderte, leitet im Landeskriminalamt eine für verdeckte Observationen zuständige "Mobile Einsatzgruppe". Dass seine Leute im Oktober 2016 zwei Tage in Buch verbrachten, erklärt sich mit einem besonderen "Gefährderkonzept" der Berliner Behörden. Es besagt, dass die Polizei erkannte Verdachtspersonen in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder diskret in den Blick nimmt. Im Fachjargon sei, erläuterte der Zeuge W., von "legendierten Kontrollen" die Rede.

So stand seit dem 25. Oktober ein Wagen mit Beamten in Zivil vor Chamagows Wohnhaus, wo zudem eine Videokamera installiert war. Den ersten Tag über ließ sich Chamagow indes nicht blicken, und auch am 26. Okober bekamen die Überwacher ihn zunächst stundenlang nicht zu sehen. Weiter ausharren, hieß das, denn, so erklärte der Zeuge, für den Erfolg einer "legendierten Kontrolle" sei die Sichtung der Zielperson unabdingbar.

Schließlich tauchte Chamagow auf, begleitet von einem Unbekannten. Ein Beamter schlüpfte mit den beiden ins Haus und stellte fest, dass sie in Chamagows Wohnung verschwanden. Der Auftrag war damit eigentlich erledigt, doch hätte Einsatzleiter W. gerne noch den Begleiter identifiziert und entschloss sich deshalb, Chamagow nochmals aus der Wohnung locken zu lassen. Dieser machte artig auf, als die Streifenbeamten unter dem Vorwand, ruhestörendem Lärm nachgehen zu müssen, bei ihm klingelten. Den zweiten Mann bekamen sie aber nicht zu Gesicht.

Hätte er geahnt, dass die Wohnung womöglich ein Sprengstofflager beherbergte, nie hätte er den Einsatz angeordnet, sagte W.. Ein Fehler also? Heute weiß man, dass das Erscheinen der Polizei auf Clément Baur einen so gravierenden Eindruck machte, dass er sich in Panik nach Frankreich absetzte. Die Attentatsplanung für das Gesundbrunnen-Center hatte sich erledigt. Insgesamt doch keine schlechte Bilanz, meinte der Zeuge: "Wir vermuten, dass wir durch die Flucht des Herrn Baur einen Anschlag in Berlin nebenbei verhindert haben."