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Maut-Untersuchungsausschuss : Unabhängig von persönlicher Verantwortung

Behördenleiter unterschrieb Vertrag trotz erheblicher Bedenken. Minister Scheuer reicht Mails spät nach

06.07.2020
2023-08-30T12:38:20.7200Z
3 Min

Im Mai 2019 stand Ekhard Zinke vor einer schwierigen Entscheidung. Ihm lag der Unterauftragnehmervertrag vor, mit dem das für die Erhebung der Pkw-Maut zuständige Konsortium die bundeseigene Toll Collect GmbH in das Projekt einbinden wollte. Doch der damalige Präsident des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) hatte Bedenken, ob er die Zustimmungsvereinbarung zu diesem Unterauftragnehmervertrag unterschreiben solle. Denn er habe, so berichtete Zinke in der letzten öffentlichen Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses ("Pkw-Maut") vor der parlamentarischen Sommerpause, das Verfahren für "vergaberechtlich nicht unbedenklich" gehalten.

Dennoch unterschrieb der Spitzenbeamte letztlich das Dokument. Warum er das tat, berichtete Zinke - seit Februar 2020 im Ruhestand - den Ausschussmitgliedern zu vorgerückter Stunde. Demnach unterrichtete er das Bundesverkehrsministerium am 15. Mai 2019, dass er sich nicht in der Lage sehe, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Im Antwortschreiben äußerte ein Vertreter des Ministeriums die Bitte, die Unterschrift trotzdem zu leisten. Damit, erläuterte Zinke, habe er sich in der Lage gesehen, die Vereinbarung zu unterschreiben, "weil ich mich frei wähnte von persönlicher Verantwortung".

Es habe sich dabei um einen "echten Remonstrationsfall" gehandelt, erläuterte der ehemalige KBA-Präsident weiter. Die Remonstrationspflicht bezeichnet die Pflicht eines Beamten, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen unverzüglich bei den Vorgesetzten geltend zu machen. Bestätigen diese die Weisung, muss der Beamte die Weisung auch gegen seine persönliche Überzeugung ausführen. "Ich habe mich sehr schwer getan damit", sagte Zinke. "Man remonstriert nicht einfach so gegen seinen Dienstherrn."

Dass sich die Flensburger Behörde auch noch in anderen Punkten mit der Pkw-Maut schwer tat, zeigte die Befragung von Zinkes Mitarbeiter Götz B., der im März 2015 Projektleiter für Großprojekte beim KBA wurde. Noch im November 2018 und damit kurz vor der notariellen Beurkundung des Betreibervertrags am 30. Dezember hätten die Vertragsunterlagen seiner Behörde "nicht in Gänze" vorgelegen, so dass eine detaillierte Prüfung nicht möglich gewesen sei. "Aus unserer fachlichen Sicht", sagte der Zeuge, "haben sich Fragestellungen ergeben, die wir zu dem Zeitpunkt nicht klären konnten."

Diese Bedenken äußerte Präsident Zinke am 19. November 2018 in einem Schreiben an das Ministerium. In der Folge sei ihm aber signalisiert worden, dass der Vertrag juristisch in Ordnung sei, berichtete Zinke, sodass er ihn am 30. Dezember guten Gewissens unterschrieben habe.

Deutlich wurde in der Vernehmung der beiden Zeugen noch ein weiterer Punkt: Obwohl dem KBA laut Gesetz bei der Umsetzung der Pkw-Maut eine zentrale Rolle zukam, war die Flensburger Behörde in die Gespräche mit dem letzten verbliebenen Bieterkonsortium aus Kapsch TrafficCom und CTS Eventim nicht involviert. Es wäre "normal" gewesen, bei diesen Gesprächen dabei zu sein, räumte Zeuge B. ein. Als Erklärung dafür, dass das nicht der Fall war, vermutete er, "dass es in dieser Phase keinen Blick auf uns gab". Das Mautreferat im Verkehrsministerium war Ende 2018 quasi führungslos, nachdem zwei leitende Mitarbeiter ausgeschieden waren.

Büroversehen Begleitet wurde die Ausschusssitzung von Kontroversen um die Informationspolitik des Verkehrsministeriums. Am Vorabend der Sitzung hatte das Ministerium dem Ausschuss 300 E-Mails mit Bezug zur Pkw-Maut zugeleitet, die über den Abgeordneten-Account von Verkehrsminister Andreas Scheuer gelaufen waren. Dass die Dokumente erst jetzt zur Verfügung gestellt wurden, begründete das Ministerium mit einem "Büroversehen".

Die Obleute von FDP, Grünen und Linken vermuten, es gebe noch weiteres relevantes Material, und fordern deshalb die Einsetzung eines unabhängigen Ermittlungsbeauftragten. Diesem Antrag gab der Ausschuss nicht statt. Ausschussvorsitzender Udo Schiefner (SPD) will stattdessen in einem Gespräch mit Scheuer klären, ob dieser der Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten freiwillig zustimmt. Zudem soll ein Gutachten klären, ob eine solche Untersuchung des E-Mail-Kontos eines Abgeordneten verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist.