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Porträt : Die Gelehrtin »an erster und einziger Stelle«

Agathe Lasch war die erste Germanistikprofessorin Deutschlands. Als Jüdin erschoss man sie im Wald nahe Riga

24.08.2020
2023-08-30T12:38:21.7200Z
3 Min

Ihr letztes bekanntes Foto stammt vom Oktober 1930. Es zeigt Fräulein Professor Dr. Agathe Lasch im Alter von 51 Jahren - eine zierliche Person mit hochgeschlossenem dunklen Kleid und zum Dutt gefasstem Haar aufrecht am Schreibtisch sitzend. An den Wänden des Arbeitszimmers türmen sich Zettelkästen und Bücher. Sie war die erste Frau in Deutschland, die als Germanistikprofessorin forschen, lehren und dafür Gehalt beziehen durfte. 1928 hatte sie ihr bekanntestes Werk publiziert: "Berlinisch. Eine berlinische Sprachgeschichte", die erste große wissenschaftliche Untersuchung des Hauptstadtdialektes.

Als das Foto entstand, steckte Lasch mitten in der Herausgabe immer neuer Teile für das Mittelniederdeutsche Handwörterbuch. Dieses Großprojekt durfte sie nicht vollenden. Ihre nationalsozialistischen Kollegen drängten die jüdische Konkurrentin ins akademische Abseits. Das Leben der Jüdin Agathe Lasch endete am 18. August 1942 nahe Riga in einem Massengrab.

Begonnen hatte es am 4. Juli 1879 in Berlin als Tochter eines ärmlichen Lederhändlers. Immerhin besuchte Agathe wie zwei ihrer Schwestern die Höhere Töchterschule und das Lehrerinnenseminar. Der Beruf setzte sie instand, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Doch das hochbegabte, sensible Mädchen ertrug die geistige Unterforderung nicht. 1906, im Alter von 27 Jahren, legte die junge Frau am Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg extern das Abitur ab, studierte in Halle und Heidelberg Germanistik und promovierte drei Jahre später. Ihr Doktorvater lobte die sprachwissenschaftliche Dissertation in höchsten Tönen. Die akademische Lehre blieb ihr zunächst versagt.

Gleichwohl hielt Agathe Lasch an ihren Träumen fest: Sie ging in die USA, konnte dort als Professorin lehren und 1914 ihre Mittelniederdeutsche Grammatik vorlegen. Von deutschem Patriotismus erfüllt kehrte sie mitten im Ersten Weltkrieg 1917 zurück, fand Anstellung an der Universität Hamburg, wo sie allseits überzeugte und habilitiert wurde.1926 richtete die Universität einen Lehrstuhl für Niederdeutsche Philologie ein - der Personalvorschlag lautete: "Gelehrtin" Agathe Lasch "an erster und einziger Stelle".

Betrachtet man Fotos der jüngeren wie der älteren Agathe Lasch, glaubt man, eine bedrückte Person zu sehen. Wohl plagten sie auch Migräneanfälle. Doch das Publikum, das ihre Vorträge hörte und ihre Texte las, lobte den "lebendigen Stil". Sie hatte Freude am Humor, besonders am berlinischen. Genussvoll präsentiert sie in ihrem Buch zum Berliner Dialekt Beispiele für den Einfluss der literarisch interessierten jüdischen Intelligenz der Stadt im 19. Jahrhundert. Sie fand, dass "deren zersetzende kritische Art sich mit der berlinischen traf". So spottete man wortwitzig über Goethes 1814 verfasstes Festspiel "Epimenides": "Eh wie meen Se des?". Zugeneigt und ernsthaft widmete sie sich der Mundart ihrer Heimatstadt, um "die sich die Wissenschaft bisher nicht gekümmert" habe und legt gleich im Vorwort los: "Die alte dilettantische Betrachtung des Berlinischen ist in vielen Fällen zum Gemeingut geworden, und ihre immer wiederholten Angaben gelten als Tatsachen."

Deportiert Einmal lässt sie im Buch erkennen, wie der Forschungsbetrieb, speziell das Berliner Archiv- und Bibliothekswesen, das seltene weibliche Exemplar behandelte: "In mehr als einem Falle" sei das Entgegenkommen der leitenden Beamten durch die Schwierigkeiten, die die unteren Beamten machten, wieder aufgehoben worden. Die Fotos und einige Äußerungen lassen erkennen, dass sie es vermied, als Frau aufzufallen. Sie blieb allein mit ihrer Forschung verheiratet und soll über sich selbst gesagt haben: "Ich habe zwei Abstrakta geliebt - Germanistik und Deutschland."

Ihre vielgeliebte Bibliothek von 4.000 Büchern war ihre Rettung, als sie nach 1933 von der offiziellen Wissenschaft ausgeschlossen wurde. Unter Tränen soll sie gefragt haben: "Wem würde ich schaden, wenn ich arbeiten dürfte?" 1937 kehrte sie nach Berlin zurück, in die Nähe ihrer Schwestern.

Am 9. Juli 1942 verfügte die Gestapo den Einzug der Privatbibliothek. Am 15. August 1942 gehörten die Schwestern Agathe, Elsbeth und Margarethe Lasch zu den 1.004 Menschen, die mit dem 18. Osttransport vom Güterbahnhof Moabit nach Riga deportiert wurden. Unmittelbar nach Ankunft starben sie bei Massenerschießungen. Agathe Lasch hat sich ihr Ehrenmal selbst geschaffen.

Die Autorin ist Redakteurin der "Berliner Zeitung".