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WIRECARD : BaFin ignorierte Bundesbank

EU-Finanzaufsicht sieht erhebliche Defizite im deutschen System

08.03.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
3 Min

Böse Absicht oder fatale Fehleinschätzung? Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stellte sich Anfang 2019 eindeutig auf Seite der Wirecard AG. Das Unternehmen war schweren Angriffen der Medien ausgesetzt: Es täusche Gewinne vor und wasche Geld. Als sich im Februar 2019 die Staatsanwaltschaft München bei der BaFin meldete, erwähnte sie einen scheinbar alarmierenden Sachverhalt: Es lägen Vorwürfe vor, dass Finanzmarktakteure und Journalisten die Wirecard AG mit der Drohung negativer Berichterstattung erpressen.

Heute ist bekannt: Der Erpressungsvorwurf war fingiert, um von tatsächlichem Betrug bei Wirecard abzulenken. Doch die BaFin wandte sich mit allen Mitteln gegen die Überbringer der schlechten Nachricht statt gegen die Täter im Wirecard-Vorstand. Die Behörde verbot Anlegern, auf fallende Kurse der Wirecard-Aktie zu setzen - im Fachjargon: Sie verhängte ein Leerverkaufsverbot. Und sie erstattete Anzeige gegen die Journalisten. Das alles müssen die Verantwortlichen nun vor dem 3. Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode erklären. In der vergangenen Woche stand die Frage im Mittelpunkt, wie das fragwürdige Leerverkaufsverbot begründet wurde.

Eine Zeugin von der BaFin betonte, der Erpressungsvorwurf aus München habe den entscheidenden Anstoß gegeben, um das Leerverkaufsverbot durchzusetzen. Der Ausschuss unter Vorsitz von Kay Gottschalk (AfD) befragte zu diesem Punkt jedoch auch die Verantwortlichen bei der Bundesbank, die ebenfalls in den Entscheidungsweg über ein Leerverkaufsverbot eingebunden ist. In der Bundesbank sahen Fachleute keine Veranlassung für ein Spekulationsverbot - sie wiesen sogar umgekehrt auf mögliche Probleme bei Wirecard hin. Die Führungsebene schaltete sich jedoch nicht ein, um diesen Warnungen Nachdruck zu verleihen. "Da hätten doch, auch bei der Bundesbank-Führung, Alarmzeichen angehen müssen", klagte der Abgeordnete Hans Michelbach (CSU). Stattdessen gingen die Vermerke lapidar auf dem Dienstweg an die BaFin.

Die BaFin ignorierte die Einschätzung der Deutschen Bundesbank und verhängte wie geplant das Verbot, um Wirecard zu schützen. "Sie wollte das Leerverkaufsverbot offenbar unter allen Umständen", sagte Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen). Im Hinblick auf geplante Vernehmungen der Bundesminister Olaf Scholz (SPD) und Peter Altmaier (CDU) im April interessierte sich der Ausschuss auch dafür, ob die Führung der Ministerien in die Entscheidungen eingebunden war. Eine Fachbeamtin der BaFin sagte nach längerer Befragung aus, dass Scholz nach ihrem Kenntnisstand nicht informiert war. Im Dezember jedoch hatte die Regierung als Antwort auf eine Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) angegeben, dass die BaFin das Ministerium über die geplante Maßnahme informiert hatte. Demnach gelangte die Kunde von der geplanten Handelskontrolle also nicht an die Spitze.

Eine Erklärung für die verblüffenden Fehleinschätzungen lieferte ein Vertreter der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA, der als Fachmann befragt wurde. Die EU-Behörde diagnostiziert Lücken im System der deutschen Finanzaufsicht. "Wir haben Defizite in den Abläufen sowie Leistungsmängel und rechtliche Hindernisse für ein wirksames Funktionieren identifiziert", sagt Evert van Walsum, Leiter der Abteilung Investoren und Emittenten bei der ESMA.

Gerade auf den Umgang mit einem Betrugsfall sei das Aufsichtssystem nicht vorbereitet gewesen. Unter den deutschen Institutionen habe nur die Staatsanwaltschaft die Mittel gehabt, um einem Verdachtsfall wirklich nachspüren - aber die Hürden für deren Einbeziehung seien zu hoch. Wenn die BaFin jedoch ihre Möglichkeiten ausgereizt und die Hinweise aus den Medien und von Finanzmarktakteuren ernster genommen hätte, dann wäre eine eindeutigere Reaktion zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen, sagte van Walsum.

Eine solche Hinweisgeberin sagte ebenfalls aus: die Mathematikerin und Hedge-Fonds-Managerin Fahmi Quadir aus New York. Sie hatte früh die Alarmzeichen bei Wirecard gesehen und auch versucht, die Aufseher darauf aufmerksam zu machen. Doch "die behandelten sie wie eine lästige Querulantin", twitterte Lisa Paus aus der Sitzung.