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Europa : Sinn und Zweck

Auf dem EU-Gipfel und im Bundestag wird heftig über den Kitt des Bündnisses gestritten

28.06.2021
2023-08-30T12:39:38.7200Z
3 Min

Am Ende konnten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron nicht durchsetzen: Nach heftigen Diskussionen auf dem EU-Gipfel in Brüssel lehnten die anderen Regierungschefs den Plan der beiden für eine Art europäisches Gipfeltreffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin ab. Obwohl die EU ihr Verhältnis zu Russland als historisch schlecht bezeichnet, sahen vor allem die baltischen und osteuropäischen Staaten für ein derartiges Gesprächsangebot derzeit keine Grundlage. In der Abschlusserklärung des Gipfels vom vergangenen Donnerstag wird stattdessen ein Plan für Strafmaßnahmen gefordert. Es gebe "die Notwendigkeit einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands", heißt es darin. Merkel sagte hinterher, sie hätte sich "mutigere Schritte" gewünscht.

Mit "mutigen Schritten" ist es in der EU so eine Sache, auch in Bezug auf den Umgang mit Ungarn. So wurde auf dem Gipfel sehr heftig über ein neues ungarisches Gesetz gestritten, das es verbietet, Kindern und Jugendlichen in Büchern, Filmen und der Schule das Thema Homosexualität zu vermitteln. Doch wie darauf reagieren? Was wäre "mutig" in dem Fall? Seit 2018 schon läuft, wie gegen Polen, ein sogenanntes Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn, weil die Grundrechte der EU dort "eindeutig gefährdet" sind. In der vergangenen Woche kochten die Emotionen über die ungarische Politik derart hoch, dass einige Regierungschefs dem Land gar einen EU-Austritt nahelegten und forderten, die Diskussion über europäische Grundwerte entschlossener zu führen.

Zusammenhalt Die Frage, was Europa zusammenhält, bestimmte auch die Debatte im Bundestag kurz vor Beginn des Gipfeltreffens. In ihrer vermutlich letzten europapolitischen Regierungserklärung vermied es Bundeskanzlerin Merkel aber tunlichst, eine Art Abschiedsrede zu halten. Sie forderte in Berlin schon, was sie später in Brüssel noch einmal bekräftigte: Die EU müsse ihre gemeinsame Handlungsfähigkeit stärken. Der Corona-Wiederaufbaufonds mit gemeinsamen Krediten zeige, dass es gehe: "Auf eine außergewöhnliche Krise haben wir eine außergewöhnliche Antwort gefunden." Solch eine gemeinsame Strategie sei auch gegenüber Russland nötig: "Wir müssen Mechanismen schaffen, um gemeinsam und geeint auf Provokationen antworten zu können." Nur so werde man lernen, "den hybriden Angriffen Russlands etwas entgegenzusetzen", sagte sie.

Die Debatte wurde auch von den drei Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen genutzt, um sich, mit unterschiedlichen Gewichtungen, als Europäer zu positionieren. Als erster trat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ans Rednerpult und stellte klar: "Die EU ist nicht nur ein wirtschaftliches Zweckbündnis, sie wird getragen von gemeinsamen Werten, von dem Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Da müssen wir klar und unmissverständlich sein."

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte: "Wir brauchen Europa mehr als je zuvor." Die Veränderungen des internationalen Machtgefüges, die Herausforderungen des Klimawandels zeigten, dass man darauf nicht nationalstaatlich reagieren könne.

Annalena Baerbock (Grüne) betonte: "Es reicht nicht mehr, Europa immer nur kurzfristig bei externen Schocks zu stabilisieren. In diesem Jahrzehnt geht es darum, Europas Versprechen zu erneuern." Dies bedeute, den Wirtschaftsraum der EU so zu modernisieren, "dass wir auf den Märkten der Welt klimaneutral eine Chance haben".

Alice Weidel (AfD) warf der Bundeskanzlerin historische Fehlentscheidungen vor. Das fange beim Flüchtlingsabkommen mit der Türkei an, mit dem sich die EU auch künftig erpressbar machen lassen wolle, und gehe bis zur geplanten "Klimaplanwirtschaft". Der von der EU beschlossene "angebliche Wiederaufbaufonds" sei "die Tarnkappe für die Einführung der europäischen Schuldenunion", kritisierte sie.

Christian Lindner (FDP) betonte: "Europa ist unsere Zukunft." Zugleich warnte er, mit dem Wiederaufbaufonds das Prinzip des Schuldenmachens wieder einzuführen. Die Folgen der Finanzkrise seien noch nicht überwunden, daher seien Staatsschulden eine Gefahr für die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion.

Dietmar Bartsch (Die Linke) kritisierte Merkel dafür, den Anspruch, die EU zu stärken, nicht eingelöst zu haben. "Europa taumelt im Kern wie ein angeschlagener Boxer von einer Ecke in die andere." So fehle ein gemeinsamer Kompass in der Sozial- und Flüchtlingspolitik. Die Normalverdiener dürften nicht, wie nach der Finanzkrise, die Folgen der Corona-Pandemie bezahlen, warnte er.