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Soziales : Armut verfestigt sich

Der Armuts- und Reichtumsbericht liefert Fakten - und viel Raum für Interpretationen

28.06.2021
2023-08-30T12:39:38.7200Z
3 Min

Alle vier Jahre legt die Bundesregierung einen Armuts- und Reichtumsbericht vor und alle vier Jahre flammt danach die Diskussion darüber auf, wie dieser nun zu interpretieren sei. Und zu interpretieren gibt es da in der Tat viel, denn auf nicht weniger als 500 Seiten wird eine Fülle von Material zusammengetragen, um "Lebenslagen in Deutschland" zu dokumentieren. Diese beinhalten nicht nur die Einkommensverteilung in den Haushalten, sondern auch die Wohnsituation der Bevölkerung, die soziale Mobilität, die Wirkung von Sozialleistungen, Bildung, Erwerbstätigkeit, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe. Und, aus aktuellem Anlass, spielen im aktuellen, sechsten Armuts- und Reichtumsbericht (19/29815) auch die Folgen der Corona-Pandemie eine Rolle.

Unter anderem geht aus dem Bericht hervor, dass es nach wie vor deutliche Unterschiede in der Einkommensentwicklung bei Ost-und Westdeutschen gibt. Das niedrigere Einkommensniveau im Osten geht demnach mit einer höheren Armutsrisikoquote einher. Diese lag im Osten im Jahr 2016 bei knapp 23 Prozent und im Westen bei knapp 15 Prozent. Gegenüber 2006 ist das ein Anstieg von vier Prozent in Ostdeutschland und rund zwei Prozent in Westdeutschland. Die gesamtdeutsche Armutsrisikoquote lag bei 16,6 Prozent.

Unabhängig von solchen Einzelergebnissen kommt die Regierung in dem Bericht zu dem Schluss, "dass der überwiegende Teil der Menschen in stabilen sozialen Lagen lebt: Deutschland ist keine 'Abstiegsgesellschaft', weiterhin bestehen gute Aufstiegschancen aus der Mitte nach Oben. Problematisch ist die Verfestigung in den unteren sozialen Lagen, aus denen es im Zeitablauf immer weniger Personen gelungen ist, aufzusteigen."

In der Bundestagsdebatte am vergangenen Freitag kritisierte vor allem Sabine Zimmermann (Die Linke) den Bericht als solchen scharf: "Wenn man ihn liest, könnte man meinen, es sei alles halb so wild", ärgerte sie sich. Sie warf der Bundesregierung vor, mit geschönten Zahlen zu arbeiten, damit der Bericht "ins Bild passt. Aber Ihr Bild passt nicht in die Realität", stellte Zimmermann fest. "Hören Sie endlich auf, die Armut kleinzureden und den Reichtum zu beschönigen", forderte sie unter Hinweis auf die Milliardengewinne der großen Tech-Konzerne.

Daniela Kolbe (SPD), die ihre letzte Rede als Bundestagsabgeordnete hielt, kam zu einer völlig anderen Interpretation: "An dem Bericht kann man ablesen, dass das, was wir hier machen, etwas bewirkt." Gleichwohl dürfe nicht hingenommen werden, was der Armutsbericht auch festhalte: Die Schere zwischen Arm und Reich sei zu weit auseinander und schließe sich nicht, und dass die Aufstiegsmobilität derart gering sei, widerspreche dem Gedanken der Leistungsgerechtigkeit, so Kolbe.

Die Quote stagniert Auch Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne) kritisierte, dass sich Armut zunehmend verfestige und die Armutsrisikoquote stagniere - dies alles trotz des guten wirtschaftlichen Umfeldes der vergangenen Jahre. "Statt Selbstbestimmtheit zu fördern, schränkt Hartz IV die Freiheit ein. Wir wollen das System überwinden", kündigte er an. Eine Garantiesicherung müsse so hoch sein, dass soziale und kulturelle Teilhabe wirklich ermöglicht werde.

Dem trat Matthias Zimmer (CDU) in seiner ebenfalls letzten Rede im Bundestag entgegen, indem er das Prinzip des "Förderns und Forderns" in der Grundsicherung verteidigte: "Menschenwürde ist nicht voraussetzungslos, sondern in die Praxis gestellt und damit mehr als ein philosophisches Konzept", erläuterte er in seiner, von philosophischen Bezügen durchzogenen Rede über die Befreiungswirkung von Gesetzen.

Bundesarbeits- und -sozialminister Hubertus Heil (SPD) sprach zwar nicht von Befreiung, listete aber doch zufrieden all jene Gesetze auf, mit denen die Bundesregierung seiner Ansicht nach dafür gesorgt habe, Armut zu bekämpfen: unter anderem das Paketbotenschutzgesetz, die Corona-Sozialschutzpakete und das Gesetz für einen sozialen Arbeitsmarkt. "Den starken Sozialstaat sollte, trotz seiner Schwächen, niemand kleinreden", betonte er.

Martin Reichert (AfD) warf den Grünen und Linken vor, in ihren ebenfalls debattierten Anträgen zu ignorieren, dass das zu verteilende Geld erstmal erwirtschaftet werden müsse. "Die Grünen wollen eine unterschiedslose Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme und nennen das qualifizierte Zuwanderung", sagte Reichert.

Pascal Kober (FDP) wiederum bezeichnete die Legislatur als "sozialpolitisch vier verlorene Jahre". Weder helfe die Grundrente gegen Altersarmut. Noch hätte die Regierung ernsthaft versucht, die Ärmsten der Armen in der Pandemie zu unterstützen, lautete sein Vorwurf.