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»Waren Sie schon mal in der Hasenheide in Neukölln?«

26.07.2021
2023-08-30T12:39:39.7200Z
4 Min

Er leuchtet von weitem. Ali (Name geändert) ist komplett in orange gekleidet bis hin zur Baseballkappe über seinem graumelierten Haar. Mit Harke, Schaufel, Besen, Müllzange ausgestattet, kehrt er zusammen, was andere einfach in die Gegend gefeuert haben: Flaschen, Scherben, sperrige Pizzakartons, Zigarettenkippen, Essensreste. Nichts, was es nicht gäbe. Alles wandert in die Müllbeutel auf seinem Karren. Eigentlich ein Job zum Ärgern. Doch Ali ist froh, dass er ihn hat. "Ich liebe die Freiheit, das selbstständige Arbeiten, die Luft", gewinnt er seinem Beruf Gutes ab.

Morgens 7 Uhr im Hochsommer. Geschäftiges Treiben in dem zehn Hektar großen Park an der Westseite des Lietzensees in Berlin-Charlottenburg. Der Fischreiher fliegt verdächtig tief über der Wasseroberfläche. Jogger machen sich fit für den Tag, häufig mit Hunden im Schlepptau, Fahrradfahrer kürzen den Weg zur Arbeit ab. Ein Mann in schwarzen Sportklamotten, Ohren verstöpselt, Augen verschlossen, schwingt seine Hüften im Hula-Hoop-Reifen. "Der Bauch muss weg", sagt er streng. Ali kennt ihn längst.

Die Schicht des "Grundreinigers" von der Berliner Stadtreinigung (BSR) beginnt um 5:30 Uhr. Er hat seine feste Tour, kennt die Ecken, wo der Müll sich häuft. Heute hat er Glück, denn es war kalt am Vorabend. Das hat weniger Besucher als sonst in den 100 Jahre alten Park gelockt, die auf den Wiesen gern picknicken. Abends ist das Klientel ein anderes als morgens. Man hat Zeit, man will Spaß haben. Einige junge Leute haben Flunkyball gespielt, ein Paar hat sich galant beim Standardtanz gedreht.

Seit zwei Jahren macht Ali den Job am frühen Morgen, seit kurzem in Festanstellung. In Lohngruppe V3 ist er, das bedeutet nach Angabe der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di 2.375 Euro brutto im Monat. Allein in Berlin gibt es laut ver.di rund 6.500 Mitarbeiter, die bei der Straßenreinigung, Müllabfuhr und in Anlagebetrieben arbeiten, bundesweit sind es nach Statistischem Bundesamt 165.000. Der 54-jährige Ali ist verheiratet, Kinder hat er keine. Er ist in der Türkei geboren, lebt seit fast 40 Jahren in Deutschland, spricht gut deutsch. Einen Beruf habe er nicht gelernt. Aber den Müll übersieht der Brillenträger nicht. Keine Kippe entgeht ihm. Er selbst ist Raucher. Seine Kippen in die Gegend schmeißen? Das komme ihm nicht in den Sinn. Seine Frau zuhause trenne den Müll.

Ein Elektroauto mit gefülltem Müllanhänger und zwei Kollegen aus einer anderen Ecke des Parks nähert sich ihm. Kurzer Plausch zwischen den Dreien. Die zwei Kollegen wettern: "Waren Sie schon mal in der Hasenheide in Neukölln? Dagegen ist das hier nix." Einer setzt fort: "Das sind alles Idioten. Da reden Se gegen ne Wand." Ali kommt auf seinen Park zu sprechen: "Einer macht das ja alles sauber."

Dabei gibt es im Lietzenseepark etliche Papierkörbe und seit einiger Zeit zusätzlich große Mülltonnen für die sperrigen Pizzakartons. Sie werden täglich von der BSR geleert. Heute sind die Papierkörbe ziemlich leer. Trotzdem liegt der Müll im idyllischen Park herum. Ein Eldorado für Mäuse und Ratten. Das Bezirksamt hat gerade wieder veranlasst, Rattengift in dem Park auszustreuen. Ali sucht nach Gründen für das Verhalten der Besucher. Er führt es auf den Alkoholkonsum der Feierwütigen zurück. Es sei ihnen egal, was mit dem Müll passiert, obwohl doch jedes Kind wisse, wie sehr die Umwelt leidet.

Pater Reinhold Wehner, der viele Jahre in der Kommunität der Jesuiten am Lietzensee gewohnt und sich ehrenamtlich um das Wohlergehen der Parkpflanzen gekümmert hat, erlebte die Vermüllung des Parks hautnah. Er klingt resigniert. Sich mit den Umweltsündern anzulegen, habe er sich abgewöhnt. "Es sind ja meist Gruppen. Und wenn man die auf ihr Fehlverhalten anspricht, reagieren einzelne mit: Verpiss dich!" Gleichwohl sieht er, dass der Park sauberer geworden ist, seit die BSR da ist. Norbert Voß, Vorsitzender vom Verein "Bürger für den Lietzensee e.V.', lobt: "Die BSR setzt immer die gleichen Leute ein. Die kennen sich aus. Es ist ein vertrauensvolles Miteinander." In den jungen "Parkläufern" der Bezirksverwaltung erkenne er zwar den guten Willen, in der Anlage Präsenz zu zeigen, sie seien aber "keine Autoritätspersonen." Wenn ein Polizist in Uniform regelmäßig da wäre, hätte das mehr Wirkung.

Eigentlich haben sich die Länder auf Strafen für Müllsünder verständigt. Wildes Zigarettenkippen wegwerfen soll in Berlin bis zu 35 Euro kosten. Welcher Frevler wird da schon mal zur Kasse gebeten? Hinzu kommt der schwer verrottbare Plastikmüll. Nach Angaben von Greenpeace werden in den Weltmeeren mindestens 150 Millionen Tonnen Plastikmüll vermutet. Pater Wehner hat beobachtet, wie selbst im relativ flachen Lietzensee alte Fahrräder, Autoreifen und anderer Unrat von Umweltfreunden geborgen werden mussten. Seit Juli dieses Jahres setzt Deutschland die Einwegkunststoffrichtlinie der EU um, wonach Produkte wie Besteck, Teller, Trinkhalme, To-Go-Lebensmittelbehältnisse aus Polystyrol nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Bis sich das auf Alis Schaufel bemerkbar machen wird, werden noch einige Schichten vergehen.