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Rohstoffe : Das zweite Leben für Handy, Batterie und Zeitung

Recycling soll helfen, der wachsenden Weltbevölkerung nachhaltig zur Verfügung zu stellen. Dabei ist das nicht immer am sinnvollsten

26.07.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
4 Min

Die Zahlen zum globalen Rohstoff-Hunger sind beeindruckend: Neun Milliarden Tonnen mineralische Erze - Ausgangsstoff für Metalle oder Baurohstoffe - hat die Menschheit 1970 gefördert. 2020 waren es schon 54 Milliarden Tonnen. Und im Jahr 2050 könnte der Bedarf laut einem Bericht der Vereinten Nationen (UN) auf über 100 Milliarden Tonnen anwachsen.

Als Treiber dieses Anstiegs sehen die UN die steigende Weltbevölkerung sowie wachsenden Wohlstand, die Digitalisierung und Maßnahmen zum Klimaschutz. So könnte die Mobilitätswende die Nachfrage nach neuen Fahrzeugen erhöhen, oder die Wärmewende den Bedarf an neuen Bauwerken. Auch für Kunststoffe oder pflanzliche Rohstoffe wie Holz wird eine steigende Nachfrage prognostiziert. Mit Primärrohstoffen - durch Bergbau gewonnenes Eisen oder Seltene Erden, Sand aus Tagebauen, Ölsaaten vom Acker oder Kunststoffe aus Erdöl - lässt sich diese Nachfrage nicht allein befriedigen. Zu groß wären die ökologischen und sozialen Folgen. Daher ist der Einsatz von Recyclingmaterial Bestandteil jeder Betrachtung künftiger Rohstoffsicherung und schon jetzt ein relevanter Markt. 2018 erwirtschafteten in Deutschland knapp 1.300 Unternehmen des Marktsegments "Technik für die Abfallwirtschaft" einen Umsatz von rund 12,15 Milliarden Euro. Weitere 3.300 Unternehmen erzielten mit dem Erfassen und dem Handel von Altmaterialien einen Umsatz von rund 14,34 Milliarden Euro.

Neben etablierte Verfahren treten in der Kreislaufwirtschaft neue Anwendungen. High-Tech-Unternehmen wie der belgische Rohstoffkonzern Umicore, der auch in geringen Mengen verbaute Seltene Erden aus Smartphones oder Laptops extrahiert, arbeiten neben Kompostieranlagen und der Sperrmüllentsorgung. Gemeinsam bilden sie das Fundament einer Wirtschaft, die ihre Rohstoffe im Kreislauf führt.

Je nach Bereich ist die Kreislaufwirtschaft unterschiedlich weit entwickelt. So sind die Sammelquoten von Altpapier in Deutschland schon jetzt hoch, 78 Prozent der in der deutschen Papierproduktion eingesetzten Fasern sind alte Zeitungen oder Broschüren. Diese Quote lässt sich technisch kaum noch steigern.

Im Gegensatz dazu laufen Recyclingverfahren für Lithium-Ionen-Batterien, die seit einigen Jahren mit der Zunahme an E-Mobilität den Markt überschwemmen, gerade erst an. Im Frühjahr 2020 hatten etwa der deutsche Chemiekonzern BASF, der russische Bergbaukonzern Nornickel und der finnische Energiekonzern Fortum beschlossen, in dem Städtchen Harjavalta im Südwesten Finnlands ein "Batterie-Recycling-Cluster" aufzubauen, in Nachbarschaft zum "Batterie-Cluster", das zum Teil aus den gleichen Unternehmen besteht. 24 Millionen Euro will Fortum in eine Recyclinganlage investieren, um dort gebrauchte Lithium-Ionen-Batterien mittels mechanischer und hydrometallurgischer Prozesse zu zerlegen und in ihnen enthaltene Rohstoffe wie Kobalt, Mangan, Nickel und Eisen zurück zu gewinnen. In anderen Bereichen steht ein kostendeckendes und ökologisch sinnvolles Recycling ganz am Anfang. Bestimmte Metalle, etwa die Seltenen Erden, Palladium oder Gold und Silber werden nur in winzigen Mengen eingesetzt, etwa als dünne Schicht aufgesprüht. Die zum Teil wenigen Milligramm Material unter hohem Einsatz von Energie oder Chemikalien aus Elektronikgeräten wie Mobiltelefonen herauszuholen, ist aufwändig und lohnt für das einzelne Gerät kaum. Allerdings lagern nach Schätzungen derzeit mehr als 200 Millionen Althandys in den deutschen Haushalten. Sie bilden insgesamt eine Rohstofflagerstätte, die sich auszubeuten lohnt.

Innovationen sind auch im Bereich der Kunststoffe gefragt. Laut Umweltbundesamt (UBA) werden die meisten Abfälle noch immer energetisch verwertet, also zur Energiegewinnung verbrannt, nur 47 Prozent werden recycelt. Bislang scheitert das Recycling von Verpackungen häufig an Verbundmaterialien: Folien, Schachteln oder Kartons bestehen aus unterschiedlichen Sorten Kunststoff oder gar ganz verschiedenen Materialien. Diese lassen sich mit bisherigen Techniken kaum auseinander nehmen und zu neuem Rohstoff verarbeiten.

Daher rückt für Kunststoffe das Chemische Recycling in den Blickpunkt. Verschiedene Hersteller, darunter BASF, Neste oder LyondellBasell, wollen in neue Verfahren investieren; sogar ins aktuelle Wahlprogramm der Union hat es das Thema gebracht. Darin heißt es, neben der "Forschung zu Re-Oil-Verfahren" wolle man "auch das Chemische Recycling fördern". Dies bezeichnet Verfahren, bei denen mit hohen Temperaturen oder dem Einsatz von Lösungsmitteln unterschiedliche oder nicht mehr recyclingfähige Kunststoffe in ihre molekularen Bestandteile zerlegt werden. Sie bilden den Grundstoff für neue Kunststoffe. In einem Hintergrundpapier wertete das UBA die Verfahren besser als die Verbrennung.

Das macht deutlich: Recycling ist kein Zaubermittel. In der fünfstufigen Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes der EU steht es nach der Müllvermeidung und der Wiedernutzung von Produkten erst auf Platz drei, vor der Energetischen Nutzung und der Entsorgung. Müll sollte vermieden werden, durch weniger Konsum und durch die möglichst lange Nutzung von Produkten. Diese sollten leicht reparierbar sein oder auf andere Art weiter genutzt werden können. Etwa könnten Lithium-Ionen-Batterien, die nicht mehr zum Einsatz in E-Autos taugen, trotzdem noch als Stromspeicher dienen.

Viele europäische Kommunen reagieren auf die Abfallhierarchie mit Gebrauchtwarenhäusern. Im belgischen Flandern hat sich mit den "De Kringwingel" eine ganze Gebrauchtwaren-Kette etabliert, getragen von der Idee: Der Schutz von Klima, Biodiversität und Ressourcen gelingt am effektivsten, wenn der Rohstoffbedarf insgesamt sinkt.

Die Autorin ist Redakteurin der "taz".