Piwik Webtracking Image

Daseinsvorsorge : Kombibus und Tante Emma

Mit innovativen Konzepten sollen ländliche Räume attraktiv werden - zwei strukturschwache Regionen in Brandenburg und Thüringen zeigen, wie es geht

09.08.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
5 Min

Vorne Reisebus und hinten Lkw - auf den Straßen in Schweden, Norwegen und Finnland ist dieser Anblick nichts Besonderes. Reisebusse, die auch Fracht aufnehmen, verkehren zwischen weit entfernten, dünn besiedelten Regionen. Den Kombibus gibt es in skandinavischen Ländern seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Der mit Frachtteil ausgestattete Bus bringt auch heute noch in vielen Regionen die Post, versorgt Geschäfte und regionale Unternehmen. Dafür wurden Verkehrsknotenpunkte geschaffen, an denen mit modernster Dispositionstechnik der Frachtverkehr abgewickelt wird und die Passagiere zusteigen. Inzwischen gilt der Kombibus auch anderen ländlichen Regionen in Europa als Beispiel, um dort Versorgung und Mobilität sicherzustellen. In Deutschland fährt der kombinierte Bus seit 2011 in der Uckermark und hat sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt, das beispielhaft für andere Regionen ist.

Die Uckermark im äußersten Nordosten Brandenburgs gehört zu den strukturschwächsten Regionen in Deutschland mit hoher Arbeitslosigkeit und Abwanderung. "Mobilität ist der Erfolgsfaktor für die gesellschaftliche Teilnahme - sowohl für den ländlichen Raum als auch für die Stadt", sagt Anja Sylvester, Geschäftsführerin der LandLogistik GmbH. Dabei geht es darum, dass die Bewohner Arbeitsplätze, Arztpraxen oder den Dorfladen erreichen können. "Wenn wir durch eine bezahlbare Logistik neue Absatzmärkte generieren, sichert das auch Arbeitsplätze", sagt Sylvester. Das werde aber in solchen Regionen wie der Uckermark nur geschafft, wenn bereits bestehende Fahrten genutzt würden. "Denn jedes Fahrzeug, das man extra auf die Straße setzt, ist nicht profitabel."

So simpel die Idee des kombinierten Verkehrs klingt, so aufwändig ist die Umsetzung. Zunächst haben die Verantwortlichen von der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft (UVG) zusammen mit Partnern ein Konzept erarbeitet, wie verschiedene Ressourcen gebündelt werden können. Ein Busnetz mit Fahrplan und Haltestellen gab es bereits. Jetzt kam es darauf an, Leerfahrten zu vermeiden und zusätzlich Kunden für den Gütertransport zu gewinnen.

Zuerst haben sich die Projektverantwortlichen an Postdienstleister gewandt. Doch die haben abgewunken. Und auch für Privatpersonen blieb die Lieferung von sperrigen Gütern und Waren mit dem Bus problematisch. "Wir können nicht bis an die Haustür liefern, wie beispielsweise der Paketdienst", erklärt Steffi Pohlan von der UVG. Die Menschen müssten also zur Haltestelle kommen und dann ihre Lieferung selbst nach Hause bringen. Das ist mit zusätzlichem Organisationsaufwand verbunden. Dafür zeigten lokale Produzenten umso mehr Interesse. So kann beispielsweise der Käseproduzent ohne extra Aufwand ein Hotel in der Region beliefern oder ein Gemüsebauer den Dorfladen. Davon profitieren alle. "Das wurde praktisch ein Selbstläufer", freut sich Pohlan. Auch neue kleine Dorfläden entstanden so, beispielsweise in der Tourismusinformation Warnitz. "Jeder Bus kann ein Kombibus sein", sagt Pohlan. Der bestehende Fahrplan wird nicht verändert. Dafür können die Busse Waren im Kofferraum mitnehmen oder mit einem Anhänger, wenn sie größer sind. Der Service gilt auch für Hotels, die das Gepäck ihrer Gäste oder Fahrräder transportieren lassen wollen. Aktuell muss noch per Telefon, Fax oder Mail gebucht werden. An einem digitalen Buchungssystem, das die Möglichkeiten erheblich erweitert, wird gearbeitet.

"Im ländlichen Raum fehlt es an Mobilität, Logistik, Daseinsvorsorge und Innovation. Da gibt es sehr viel Potenzial", meint Anja Sylvester. So könnten auch die Rufbusse, die nur nach Bedarf fahren, in das Konzept der Gütermitnahme integriert werden. Allerdings gibt es dafür bürokratische Hürden. Da der öffentliche Nahverkehr subventioniert wird, darf die Gütermitnahme nur genutzt werden, wenn auch ein Fahrgast drin sitzt, wie Sylvester erklärt.

Digitaler Tante-Emma-Laden Gedanken über den ländlichen Raum und seine Zukunft hat sich auch Peter John gemacht. Der gebürtige Thüringer sah jahrelang, wie immer mehr Infrastruktur aus den Dörfern seiner Heimatregion verschwand. 2004 hatten er und ein paar Mitstreiter die Idee, einen volldigitalen Markt zu entwickeln, von dem auch die älteren Menschen in den Dörfern profitieren sollten. "Vielleicht können wir damit die ländliche Region wieder beleben", so war seine Idee. Dabei wollte der IT-Experte John ein System entwickeln, das bezahlbar, aber auch sicher ist. "Wir haben uns dann Stück für Stück an eine funktionierende Lösung herangearbeitet", sagt er. 2020 eröffnete in Altengottern in der Nähe von Mühlhausen der erste digitale 24-Stunden-Supermarkt - ganz ohne Personal.

"Bei jeder Eröffnung, die wir tätigen, ist vier Wochen jemand von unserem Team dabei, um die Bürgerinnen und Bürger in dem Ort mitzunehmen", sagt John. Denn vor dem Einkauf müssen sich die Kunden einmalig registrieren und bekommen eine Chipkarte mit Pin, die dann Zutritt zum digitalen Markt verschafft. "Das können aber auch die älteren Leute, weil das wie eine EC-Karte funktioniert, mit der sie dann auch bezahlen", sagt John. Die ausgewählten Produkte müssen gescannt werden, das Bezahlsystem sagt die einzelnen Preise und den Gesamtpreis an. "Wenn irgendetwas partout nicht funktioniert, haben wir einen Sicherheitsdienst, der sich raufschaltet und den Kunden hilft", sagt John. In dem Markt sind zahlreiche Kameras installiert, nicht nur um Diebe abzuhalten. Dem Marktchef ist vor allem die Sicherheit seiner Kunden wichtig. Falls jemand hinfällt oder ohnmächtig wird, kann der Sicherheitsdienst schnell Hilfe holen.

Das Konzept des digitalen Tante-Emma-Ladens geht auf. Schon nach dem ersten Jahr ist der Markt in Altengottern profitabel. Rund 1.500 Kunden haben sich bislang registrieren lassen - nicht nur aus Altengottern, sondern auch aus dem Umkreis.

In dem neu errichteten zehn Mal zehn Meter großen Neubau finden sich Lebensmittel, frisches Obst und Gemüse, Brot von regionalen Bäckern, Fleisch und Wurst vom Landfleischer sowie Waschmittel und Drogerieartikel. Rund 1.200 Produkte umfasst das Sortiment. Besonderen Wert legt John auf die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern. Für den Bäcker oder Fleischer vor Ort sei der Markt keine Konkurrenz, stellt John klar. Denn deren Öffnungszeiten seien oft nicht sehr lang und so könnten sie auch ohne zusätzliches Personal mehr verkaufen. Einige Produkte gibt es auch in Bio-Qualität. "Wir müssen uns aber dem Einkaufsverhalten anpassen", sagt John. Die Nachfrage nach Bio-Produkten steige jedoch auch in Altengottern.

Der neue 24-Stunden-Dorfladen wurde auf einem Grundstück der Kommune errichtet, deren Eigenanteil sich auf rund 150.000 Euro beläuft, für die es aber Fördermittel gibt. "Wir arbeiten immer mit den Kommunen zusammen. Das ist uns ganz wichtig, denn der Bürgermeister muss hinter dem Konzept stehen", sagt John. Für den Betreiberzeitraum wird zudem vereinbart, dass kein direkter Einzelhandelskonkurrent gegenüber einen Supermarkt aufmacht.

Inzwischen haben allein in Thüringen 14 Gemeinden Fördergelder für den Bau dieses digitalen Dorfladens beantragt. "Wir sind jetzt in der Planungsphase", sagt John. Von Thüringen soll die Expansion aber weiter gehen. Kommunen in Bayern und Sachsen haben schon Interesse gezeigt und angefragt.

Die Autorin arbeitet als Journalistin in Berlin.