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aufbaufonds : Hilfe nach der Flut

Bund und Länder wollen 30 Milliarden Euro bereitstellen

30.08.2021
2023-08-30T12:39:40.7200Z
5 Min

Die Politik macht Tempo. In einer Sondersitzung vergangene Woche hat der Bundestag erstmals über die Errichtung eines 30 Milliarden Euro schweren Aufbaufonds für die vom Juli-Hochwasser betroffenen Gebiete beraten, kommende Woche bereits sollen ihn Bundestag und Bundesrat in weiteren Sondersitzungen beschließen. Eingebracht haben den Gesetzentwurf (19/32039) die Koalitionsfraktionen auf Grundlage einer Formulierungshilfe der Bundesregierung, die sich zuvor mit den Landesregierungen abgestimmt hatte. Das spart Zeit im parlamentarischen Verfahren.

Eile tut Not, denn die Schäden sind enorm. Die Unwetterfront "Bernd", die vom 13. bis 18. Juli über weite Teile Deutschlands hinweggezogen ist, hat vor allem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern und Sachsen schwere Verwüstungen angerichtet. Die Versicherer gehen von rund 250.000 Schadenfällen aus, rund 200.000 an Häusern, Hausrat und Betrieben sowie bis zu 50.000 an Kraftfahrzeugen. Die Schadensumme schätzt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf rund sieben Milliarden Euro, weit mehr als bei jeder früheren Naturkatastrophe.

Konzept angemahnt Und das sind nur die Schäden an versicherten Objekten. Öffentliche Gebäude wie Schulen, Sportanlagen und Feuerwachen sind grundsätzlich unversichert, ebenso öffentliche Infrastruktur wie Straßen, Schienen und Kanalisation. Aber auch ein Großteil der zerstörten oder geschädigten Privatgebäude in den Hochwasserregionen war gegen sogenannte Elementarschäden nicht versichert, so wie bundesweit über die Hälfte aller Wohngebäude. Nach den Hochwasserkatastrophen der vergangenen Jahre hatte das Diskussionen ausgelöst. Warum, so wurde gefragt, soll die Allgemeinheit für Schäden bei Menschen aufkommen, die sich die Versicherung gespart haben?

Und warum bekommen nur Geschädigte großer Katastrophen staatliche Hilfe, nicht aber die kleinräumiger Unwetter? Eingewandt wurde, dass die Versicherungsprämien für Gebäude nahe an Flussläufen oder in Senken derart hoch wären, dass sie die Besitzer ruinieren und die Gebäude nahezu unverkäuflich machen würden. Am Ende verliefen diese Diskussionen immer im Sande. Jetzt mahnte der GDV "ein neues Gesamtkonzept zur Klimafolgenanpassung aus Aufklärung, verbindlichen Maßnahmen zur privaten und staatlichen Prävention und Versicherung" an.

Zerstörte Infrastruktur Vergangene Woche im Bundestag war dies noch kein Thema, abgesehen von der Forderung von Sebastian Brehm (CSU) und Sebastian Hartmann (SPD), Mittel aus dem neuen Fonds auch in ihre Wahlkreise fließen zu lassen, wo Landshut und Hennef an der Sieg wenige Wochen vor der Juli-Flut ebenfalls von Überschwemmungen heimgesucht worden waren. Im Mittelpunkt aber stand, was die Unwetterfront "Bernd" angerichtet hat und was die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) eindrucksvoll schilderte: Allein im Ahrtal seien von 75 Brücken 62 beschädigt oder zerstört. 40 Schulen, 55 Tageseinrichtungen für Kinder und fünf Krankenhäuser müssten instandgesetzt werden. Rund 3.000 Unternehmen in ihrem Bundesland seien von der Flutkatastrophe betroffen. Schon die Beseitigung von Schlamm, Hausrat und Schrott koste in Rheinland-Pfalz weit über eine halbe Milliarde Euro. Von einer Herkulesaufgabe sprach Dreyer.

Um sie zu bewältigen, soll nun also ein Sondervermögen des Bundes errichtet werden, das dieser zunächst alleine mit bis zu 30 Milliarden Euro ausstatten will. In der Folge wollen dann die Länder, und zwar alle 16, die Hälfte dieses Betrages aufbringen, indem sie bis zum Jahr 2050 Anteile am Umsatzsteueraufkommen an den Bund abtreten. Das Geld soll geschädigten Privathaushalten, Unternehmen und anderen Einrichtungen zugute kommen sowie zur Wiederherstellung der Infrastruktur eingesetzt werden. Der Wiederaufbau von Infrastruktur des Bundes, wie Bundesstraßen, wird allein durch den Bund finanziert.

Für Unternehmen soll die Insolvenzantragspflicht temporär ausgesetzt werden, sofern die Zahlungsunfähigkeit auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers beruht und begründete Aussicht auf Sanierung besteht. Änderungen beim Pfändungsschutz sollen auch betroffenen Privatpersonen mit Finanzengpässen Luft zu verschaffen. Ein weiterer Bestandteil des Gesetzentwurfs sind Regelungen für eine bessere Warnung der Bevölkerung bei künftigen ähnlichen Ereignissen. So werden Mobilfunkbetreiber zur Einrichtung eines sogenannten Cell Broadcasting-Systems verpflichtet, mit dem an alle in einer Funkzelle eingebuchten Mobiltelefone eine Mitteilung verschickt werden kann. Mit Vereinfachungen im Planungsverfahren soll erreicht werden, dass Gebäude und Infrastruktur beim Wiederaufbau so verlegt werden, dass sie besser vor Überflutung geschützt sind.

Dank an Helfer In der Debatte über den Gesetzentwurf war trotz des Wahlkampfes viel Gemeinsames zu hören. Keine Fraktion lehnte den geplanten Hilfsfonds rundweg ab. Vor allem aber wurde fraktionsübergreifend Mitgefühl für die Betroffenen der Katastrophe und Dank für die Helfer ausgesprochen. "Das Leid der Angehörigen können wir nicht lindern", sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit Blick auf die 183 Todesopfer. Umso wichtiger sei, dass jetzt "denen geholfen wird, denen geholfen werden kann" und wieder aufgebaut werde, was zerstört worden sei. NRW- Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) dankte für die große Solidarität aus ganz Deutschland. Unter den Ersten, die Unterstützung angeboten hätten, seien die ostdeutschen Länder gewesen. Die Hilfe von Ost nach West sei "ein wunderschönes Signal" der Einheit. Scholz, Laschet, Dreyer und Redner aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD hoben angesichts einer Häufung schwerer Unwetter die Dringlichkeit hervor, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Anton Hofreiter (Grüne) griff allerdings den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz scharf an, da dieser eine Vorverlegung des Kohleausstiegs ablehne. Hofreiter warnte, die Frage sei nicht mehr, wie es in den nächsten Jahrzehnten besser werde, sondern wie verhindert werden könne, "dass es von Jahr zu Jahr schlimmer wird". Aus Sicht von Gesine Lötzsch (Linke) gibt es dabei ein "Schlüsselproblem": "Kapitalinteressen stehen gegen Umweltschutz und damit gegen die Überlebensinteressen der Menschen". Immobilienspekulanten wollten in Flusslandschaften bauen, Waldbesitzer nutzten ihre Wälder als Holzlager und nicht als Wasserspeicher.

Klimaschutz Redner der AfD wie Peter Boehringer kritisierten dagegen "die anti- wissenschaftliche Instrumentalisierung eines Wetterereignisses" für eine ideologische Klimaschutzpolitik. Vor der Industrialisierung habe es im Ahrtal viel höhere Hochwasser gegeben.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel sprach von "Regierungsversagen". Die großen Schäden und die hohe Zahl von Todesopfern seien auch Folge "unterbliebener Vorkehrungen und verspäteter Warnungen". Weidel erwähnte "Sirenen, die nicht funktionieren", unterlassene Warnungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen "Katastrophenschutz auf dem Niveau eines Entwicklungslandes". Christian Dürr (FDP) mahnte bei Finanzminister Scholz eine unbürokratische Hilfe für geschädigte Firmen an und warnte: "Wiederholen Sie bei der Auszahlung der Gelder nicht die Fehler bei den Corona-Hilfen."

Unterdessen wies der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) darauf hin, dass vielerorts die Verwaltungsgebäude zerstört seien. Damit seien Einwohnermelderegister verschwunden, die rekonstruiert werden müssten. Dafür forderte er Unterstützung.

Lewentz sprach mit seinem NRW-Amtskollegen Herbert Reul (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Innenausschuss des Bundestages über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Katastrophenfall. Dabei betonte Seehofer, die seit Jahrzehnten praktizierte Arbeitsteilung sei "absolut richtig". Der Bund übernehme eine "wichtige Unterstützungsfunktion", und diese habe im Juli auch gut funktioniert. Lewentz bekräftigte, an der Zuständigkeit der Länder für den Katastrophenschutz solle nicht gerüttelt werden, da dort die nötige Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten vorhanden sei. Alle drei Minister betonten, dass das Warnsystem bundesweit grundlegend reformiert werden sollte.