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GESETZE : Die Crux mit der Klarheit

Bei allem Mühen um Verständlichkeit hat die fachlich und juristisch präzise Formulierung Vorrang

30.08.2021
2023-08-30T12:39:41.7200Z
5 Min

Allumfassend zu sein, kann dieser Gesetzesüberschrift nun wirklich nicht abgesprochen werden: "Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz", knapp zitierbar auch unter dem üppigen Buchstabensalat "RflEttÜAÜG". Der Name des in Mecklenburg-Vorpommern in Kraft gesetzten Paragrafenwerks, das 2013 wieder aufgehoben wurde, umfasst 63 Buchstaben. Gar auf 67 Buchstaben kommt die "GrundVZÜV", die "Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung", die von 2003 bis 2007 Gültigkeit hatte.

Neben bisweilen heillos verknoteten Satzgebilden reichen schon umständliche Überschriften aus, um totales Desinteresse an einem Gesetz heraufzubeschwören. Was keineswegs im Interesse der Erfinder sein muss. Das zeigt ein Blick auf das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, einprägsam abgekürzt als BMFSFJ. Ein dort angegangenes Vorhaben erhielt den Namen verpasst: "Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung".

Die seinerzeitige Ministerin Franziska Giffey (SPD) fand dies so wenig einprägsam, dass sie in Klammern hinzufügen ließ: "Gute-KiTa-Gesetz". Es gilt seit Anfang 2019. Das ein halbes Jahr später in Kraft getretene "Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe" bekam den Titel-Zusatz "Starke-Familien-Gesetz".

Nicht jede Kurzform kann indes als geglückt gelten: Autoren im Bundesinnenministerium verfassten 2019 das "Zweite Gesetz zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken", das dann mit eingedampfter Bezeichnung unter "Zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz" firmierte. Der Name könne eigentlich nur ironisch gemeint sein, befand Kristiana Ludwig in der "Süddeutschen Zeitung". Und bescheinigte den Innenministerialen, hernach aber von Giffey dazugelernt zu haben: 2019 wurde aus dem "Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz".

Mit Zusätzen wie "gut" oder "stark" lieferten die Minister die von ihnen gewünschte Bewertung ihrer Arbeit gleich mit, machte Ludwig klar und schuf den Begriff "Schönes-Image-Gesetz". So erklärte denn auch Marco Bertolaso vom Deutschlandfunk, warum in den Nachrichten die Bezeichnung "Gute-Kita-Gesetz" nicht vorkommt: "Diesen PR-Begriff kann sich eine Nachrichtenredaktion nicht zu eigen machen." Sein Kollege Udo Stiehl nannte Giffey die "Schöne-Worte-Ministerin".

Schwer verständliche Überschriftengebilde finden in so mancher von der Gesetzgebungsmaschinerie ausgebrüteten Textpassage ihre muntere Entsprechung. Im Juni 2016 verabschiedete der Bundestag das "Gesetz zur Anpassung des Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts". In ihm ist zu lesen: "Überträgt ein Erbe erworbenes begünstigtes Vermögen im Sinne § 13b Absatz 2 bis 8 im Rahmen der Teilung des Nachlasses auf einen Dritten und gibt der Dritte dabei diesem Erwerber nicht begünstigtes Vermögen hin, das er vom Erblasser erworben hat, erhöht sich insoweit der Wert des begünstigten Vermögens des Dritten um den Wert des hingegebenen Vermögens, höchstens jedoch um den Wert des übertragenen Vermögens."

Auf der Zunge zergehen lassen kann man sich auch die Passage: "Der Verwaltungsakt nach Absatz 1 Satz 1 steht unter dem Vorbehalt des Widerrufs (§ 120 Absatz 2 Nummer 3 der Abgabenordnung). Der Verwaltungsakt über den Erlass nach Absatz 1 Satz 1 ist bei Eintritt der auflösenden Bedingung nach Satz 1 mit Wirkung für die Vergangenheit ganz oder teilweise zu widerrufen; §131 Absatz 4 der Abgabenordnung gilt entsprechend."

Das mit dem eigentlich so wünschenswerten Durchblick für jedermann bei Gesetzestexten kann freilich eine knifflige Sache sein. "Das Wichtigste bei allen Mühen um sprachliche Verständlichkeit ist immer die juristische und fachliche Präzision. Für den Adressaten muss klar erkennbar sein, welche Rechte und Pflichten sich für ihn aus dem Gesetz ergeben." Dies gibt die Gesetzesredaktion des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) zu bedenken. Diese Arbeitseinheit stellt alle Gesetzesentwürfe der Ministerien, die dem Bundeskabinett vorgelegt werden sollen, auf den Sprach-Prüfstand. Im Bundestag gibt es seit 1966 einen ähnlichen Redaktionsstab zur Unterstützung der Abgeordneten (siehe Seite 14).

Handbuch Als Beispiel dafür, wie sie Texte übersichtlicher und damit verständlicher formulieren, verweisen die Sprachexperten im Ministerium auf die "Marktordnungswaren-Meldeverordnung". Darin stand etwa ursprünglich: "Der Verkaufspreis eines meldepflichtigen Erzeugnisses ist der Preis ab Werk ohne die auf der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer, ohne Kosten für Transport, Verladen, Handhabung, Lagerung, Paletten, Versicherung und gegebenenfalls weitere Warenbezugskosten, sofern diese auf der Rechnung gesondert ausgewiesen sind, und gemindert um Preisnachlässe, die in Bezug auf das Erzeugnis auf der Rechnung ausgewiesen sind. Der durchschnittliche Verkaufspreis wird ermittelt, indem der so ermittelte Rechnungsbetrag durch die auf der Rechnung ausgewiesene Liefermenge dividiert wird."

Daraus wurde: "Verkaufspreis: Preis ab Werk; a) ohne die auf der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer; b) ohne Kosten für Transport, Verladen, Handhabung, Lagerung, Paletten, Versicherung; c) ohne weitere Warenbezugskosten, sofern diese auf der Rechnung gesondert ausgewiesen sind; und d) gemindert um Preisnachlässe, sofern diese in Bezug auf das Erzeugnis auf der Rechnung ausgewiesen sind."

Für die Autoren von Gesetzen und Verordnungen hat das BMJV das "Handbuch der Rechtsförmlichkeit" herausgegeben. Es verweist etwa darauf, dass sich zwar in der deutschen Sprache Hauptwörter beliebig lang verbinden ließen. Gleichwohl seien Wortungetüme wie Schönheitsreparaturkostenpauschale oder Großkreditobergrenzenüberschreitungen zu vermeiden.

Als Prüfsteine für Verständlichkeit nennt das Handbuch Einfachheit, Kürze und Prägnanz sowie Gliederung und Ordnung. Gesetze, die sich nur "mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben" erschlössen, erfüllten diese Ansprüche nicht, wird der österreichische Bundesfinanzhof zitiert.

Angemahnt wird eine redliche Ausdrucksweise. Beschönigend könnten "Anleihen bei der Sprache der Politik oder der Werbesprache" sein. Werde etwa eine Änderung von Leistungen als "Dynamisierung" bezeichnet, so überwiege die Vorstellung der Leistungssteigerung. Entsprechend dürfe dieses Wort ebenso wenig wie die Vokabel "Anpassung" verwendet werden, um etwa eine Leistungskürzung zu verschleiern.

Zwickmühle Der Diskussion um eine geschlechtsneutrale Sprache (siehe Seite 4) kann sich auch das Handbuch nicht entziehen. Es rät hier zu Personenbezeichnungen wie "die Lehrkraft", "die Vertrauensperson" oder "das Mitglied". Kreative Umschreibungen wie "Wer den Vorsitz führt..." oder "als Vertretung ist bestellt..." könnten ermöglichen, auf Personenbezeichnungen zu verzichten. Auch Paarformen seien geeignet, um Männer und Frauen gleich zu behandeln - etwa: Beamtinnen und Beamte. Doch die Sparschreibung von Paarformen etwa mit einem Binnen-I sei nicht erlaubt.

In der "Neuen Juristischen Wochenschrift" beschrieb Nathalie Oberthür die Zwickmühle: Einerseits spreche die Verständlichkeit für das generische Maskulinum, also die Verwendung der männlichen grammatikalischen Form unabhängig vom Geschlecht der erwähnten Person. Andererseits sei es aber zumindest geeignet, das weibliche und jedes andere Geschlecht gedanklich auszulöschen. Es liege in der Freiheit des Gesetzgebers, sich für und wider eine bestimmte Form geschlechtsneutraler Sprache zu entscheiden. Doch sei dabei besondere Sorgfalt vonnöten. So werde in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung zunehmend die Paarbezeichnung "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" verwendet, "der Arbeitgeber" aber durchgängig alleine mit der männlichen Bezeichnung belegt.

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.