W ir stehen in Deutschland an der Schwelle vom Volksparteiensystem zu etwas Neuem. Unsere Parteienlandschaft ist im europäischen Vergleich zwar recht beständig. Aber das alte System mit SPD und Union als zentralen Playern, die eine Milieupartei zwecks Mehrheitsbeschaffung an sich binden, ist wohl Vergangenheit. Deshalb wird die Koalitionsbildung komplizierter.
Das war 2017, als Jamaika scheiterte, zu sehen; es ist derzeit bei der Ampel zu beobachten. Regierungsbildungen werden schwieriger, weil Konsensfindungen zu dritt umständlicher sind als zu zweit. Vor allem aber entstehen die Koalitionen selbst weit mehr als früher zufällig und ungeplant. Der FDP fehlte bis zum Wahltag die Phantasie, dass sie mit Rot-Grün ernsthaft über eine Koalition würde sprechen wollen. So ist es nun. Das ist neu im Bund. Es wird künftig öfter passieren.
Für Parteien werden Koalitionsgespräche damit zu fragilen Unternehmungen, in denen, weit mehr als in den alten Zweierbündnissen, der eigenen Klientel schwierige Kompromisse zugemutet und verkauft werden müssen. Die Kompromissbildungen, die früher in den Volksparteien selbst stattfanden, verlagern sich in die Koalitionsverhandlungen.
Diesen unerprobten, gewöhnungsbedürftigen Prozess sollte man nicht zeitlich begrenzen. Denn unter Zeitdruck kann die Basis der Koalition zu wenig belastbar ausfallen. Auch die Neigung, in unübersichtlicher Lage Neuwahlen anzupeilen, kann steigen. Beides wäre kein Vorteil.
Es gibt zudem kein Indiz, dass Parteien in Deutschland länger verhandeln als nötig. Sie erfinden gerade die neuen Routinen für die Postvolkspartei-Ära. Da wäre ein enges Zeitkorsett eher hinderlich.
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