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Gastkommentare : Ein Pro und Contra: Bundestag als Spiegelbild der Gesellschaft?

Sollte der Bundestag zum Spiegelbild der Gesellschaft werden? Ein Pro und Contra von Uwe Jahn und Ursula Weidenfeld

01.11.2021
2024-03-15T13:09:15.3600Z
3 Min

Pro

Erstrebenswertes Ziel

Foto: ARD-Hauptstadtstudio/Tanja Schnitzler
Uwe Jahn
ist Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, Berlin.
Foto: ARD-Hauptstadtstudio/Tanja Schnitzler

Ein Spiegel der Gesellschaft zu sein - das ist ein erstrebenswertes Prinzip, auch wenn man es nie ganz einlösen kann. Denken wir an die Zeit, als es kaum Frauen im Bundestag gab. Wieviel Sexismus und abwertende Bemerkungen sie erfahren haben - gerade erst hat der Film "Die Unbeugsamen" über die Frauen der Bonner Republik es gezeigt. Das hätten die Herren sich bei einem Frauenanteil von 50 Prozent wohl kaum getraut.

Ein anderes Beispiel: Die meisten Abgeordneten haben heute einen juristischen Beruf. Sicher können sie dadurch besser Gesetze machen. Und selbstverständlich haben sie - wie alle anderen Abgeordneten - auch Bevölkerungsgruppen im Blick, denen sie selbst nicht angehören. Aber es würde der Demokratie nutzen, wenn wir mehr Leute aus den Bereichen Handwerk, Pflege, ÖPNV, Wissenschaft oder aus der Fabrik hätten. Manches Gesetz wäre praxisnäher gestaltet und verständlicher formuliert. Schließlich hat die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gerade erst gesagt, das Parlament solle eine Sprache benutzen, die in diesem Land auch gesprochen und verstanden wird.

Nun sind im neuen Bundestag mehr jüngere Menschen vertreten. Das werden wir - so meine Prognose - bei vielen Zukunftsthemen spüren. Und vielleicht werden uns bald auch die Stimmen hochaltriger Menschen im Bundestag bei bestimmten Themen fehlen. Bei der Bundestagswahl haben wir gesehen, dass in Gegenden, in denen viele Geringverdiener und Migranten wohnen, weniger wählen gehen. Kein Wunder. Wer sich ausgeschlossen fühlt, weil er oder sie das Gefühl hat, "Leute wie wir sind im Bundestag kaum zu sehen", rückt von der Demokratie ab. Das wollen wir nicht. Und zwar aus Prinzip.

Contra

Allen verpflichtet

Foto: guj
Ursula Weidenfeld
ist freie Journalistin.
Foto: guj

Gewählte Vertreter des Volkes sind allen Bürgern des Landes verpflichtet, nicht ihren Anhängern, Berufskollegen, oder Vereinsfreunden. Das Parlament soll die Bevölkerung repräsentieren, getreulich abbilden kann und muss es sie nicht.

Kinder etwa dürfen nicht wählen, dennoch können sie und ihre Eltern davon ausgehen, dass die Abgeordneten ihre Bedürfnisse im Blick haben und respektieren. Manche gehen nicht zur Wahl und haben doch den Anspruch, vertreten zu werden. Dass Parlamente entschlossen sind, die Rechte von Minderheiten zu schützen, gehört zu den Wesensmerkmalen demokratischer Gesellschaften.

Dennoch sollten Parteien sich um Kandidaten bemühen, die der Wählerschaft ähnlich sind. Das ist offenbar vor allem in Wahlkreisen mit schwacher Sozialstruktur wichtig: Hat hier eine Kandidatin eine Nähe zum familiären oder beruflichen Milieu ihrer Wählerschaft, gehen mehr Leute zur Wahl, als wenn der Büroleiter eines ehemaligen Ministers kandidiert. Manche Büroleiter ehemaliger Minister rümpfen darüber die Nase. Die Arbeit der Abgeordneten müsse professioneller werden; daher sei es gut, wenn sie akademisch gebildet sind und idealerweise ein Jurastudium absolviert haben. Das Gegenteil ist richtig: Es wäre gut, wenn mehr Politiker einmal etwas anderes gelernt und gearbeitet hätten.

Wer verlangt, dass sich alle Bevölkerungsgruppen im Parlament so wiederfinden, wie sie in der Wählerschaft verteilt sind, kann Meinungsforschungsinstitute mit der politischen Arbeit beauftragen. Wer dagegen ernst nimmt, dass Wählerinnen ihre Stimme im Bundestag sehen, hören und spüren möchten, sucht neue Kandidaten. Und zwar flott.