Piwik Webtracking Image

Taxonomie : Ringen um die Atomenergie in Europa hält an

In Deutschland ist der Atomausstieg so gut wie unstrittig. Weniger eindeutig ist das Bild auf EU-Ebene.

20.12.2021
2023-09-26T18:51:06.7200Z
4 Min

Mit Ausnahme der AfD hat der Bundestag am Donnerstag eine Laufzeitverlängerung der Atomkraft abgelehnt. In Europa ist das Bild komplexer. Vor allem Frankreich forciert eine Einstufung der Kernkraft als grüne Energie in die EU-Taxonomie.

"Blackout verhindern - Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ermöglichen" lautete der Titel des Antrags der AfD-Fraktion (20/274). Die sechs verbliebenen deutschen Kernkraftwerke lieferten "sicher, bezahlbar und umweltfreundlich elektrische Energie". Daher müsse das Atomgesetz novelliert und ein Weiterbetrieb beziehungsweise eine Wiederinbetriebnahme "bis mindestens zum Ende des nächsten Jahrzehnts" ermöglicht werden, fordert die AfD. Denn die Versorgungssicherheit sei in Folge der Energiewende akut gefährdet, die Blackout-Gefahr nehme zu. Zudem seien geologische Endlager "mit modernster Kerntechnologie nicht mehr notwendig, da durch verschiedene Transformationsverfahren langlebige Radionuklide in kurzlebigere umgewandelt und damit Kernbrennstoffkreisläufe praktisch vollständig geschlossen werden können", heißt in der Begründung.

"Aufgrund der weltdümmsten Energiepolitik" sei es mittlerweile "fünf Minuten vor zwölf" in Deutschland, legte der AfD-Abgeordnete Steffen Kotré bei der Debatte im Bundestag nach. Die Energieversorger schlügen aufgrund von drohender Stromunterdeckung Alarm und Industrieunternehmen würden aufgrund der hohen Energiepreise aus dem Land gejagt. Um eine preiswerte und sichere Energieversorgung zu gewährleisten, sei der Weiterbetrieb der nahezu CO2-freien Kernkraftwerke zwingend nötig.

Kein Blackout zu befürchten

Bei den anderen Fraktionen konnte die AfD damit nicht punkten. Der im Antrag behauptete Blackout der Stromversorgung sei falsch, sagte die neu in den Bundestag gewählte Sanae Abdi (SPD). Sie verwies auf ein aktuelles Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Zudem sei die Atomkraft keineswegs CO2-neutral, wenn man den Energieaufwand unter anderem beim Abbau von Uran berücksichtige, ganz abgesehen von der Endlagerung der radioaktiven Abfälle für eine Million Jahre. "Wir beschäftigten uns mit der Zukunft unseres Landes und dem Ausbau erneuerbarer Energien; beschäftigen Sie sich weiter mit ihren Blackouts", sagte sie zur AfD-Fraktion.

Die von der AfD behauptete risikoarme Transmutation des Atommülls sei "ein Märchen", unterstrich der ebenfalls neu gewählte Stefan Wenzel (Grüne). Dies sei von der Endlagerkommission sehr gründlich untersucht worden und "von allen Seiten in Bausch und Bogen verworfen worden". "Das Projekt können Sie vergessen", so Wenzel.

Ralph Lenkert (Linke) verwies auf alternative Möglichkeiten der Gewährleistung der Versorgungssicherheit: mehr Energiespeicher, Wasserstoff-Elektrolyseure und Biogasanlagen, die direkt in das vorhandene Gasnetz einspeisen. Zudem gehe es um die Stärkung der Stadtwerke, welche vor Ort Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Energie koordinierten. "Das senkt das Risiko von deutschlandweiten Blackouts", betonte Lenkert.

"Der vorliegende Antrag ist dünn und vor allem in der Sache falsch", sagte Lukas Köhler (FDP). Denn die zwei Grundprämissen, dass Kernkraft zur Versorgungssicherheit gebraucht werde und günstig sei, seien de facto widerlegt. Atomkraft sei extrem teuer, was das Beispiel des Baus von Hinkley Point im Südwesten Englands zeige. So müsse der Atommeiler mit zehn Cent pro Kilowattstunde (kWh) abgesichert werden, neue Solarparks in Portugal könnten für nur einen Cent/kWh gebaut werden.

"Es handelt sich um eine Ansammlung von Fehlinformationen und von Irrtümern", kommentierte Andreas Lenz von der Union den Antrag. Die deutschen Kraftwerksbetreiber wollten diese Technologie nicht mehr und es sei klar, dass Kernkraft nicht die günstigste Form der Energieerzeugung sei. Kein Versicherungsunternehmen der Welt versichere im Übrigen Atomkraftwerke. Nun müsse es darum gehen, die nationale Wasserstoffstrategie weiterzuentwickeln und neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien Investitions- und Planungssicherheit für neue Gaskraftwerke zu schaffen.

Erwartungsgemäß wurde der Antrag der AfD von den anderen Fraktionen abgelehnt. In Europa dagegen ist die Bewertung der Kernkraft vielstimmiger. Derzeit wird heftig um die Einstufung von Atomkraft als grüne Energie in der EU-Taxonomie gerungen, einem Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen. Vor allem Frankreich mit seinem hohen Atomstromanteil von 70 Prozent macht sich dafür stark, Atomkraft als umweltfreundlich einzustufen, um private Investitionen zu erleichtern und sicherzustellen, dass die Nuklearenergie staatlich förderbar bleibt. Unterstützung für diesen Kurs kommt insbesondere von osteuropäischen Ländern. Gegen die Einstufung der Kernkraft als grün stemmen sich vor allem Deutschland, Österreich, Dänemark, Portugal und Luxemburg. Komplexer wird die Thematik dadurch, dass es zugleich um die Einstufung von Gas als grüne Energie geht. Frankreich lehnt dies mittelfristig eher ab. Die neue Bundesregierung bekennt sich zum Zubau neuer Gaskraftwerke zur Stützung der Versorgungssicherheit.

Beim jüngsten EU-Gipfel am 16. Dezember konnten die Regierungschefs keine Einigung erzielen. Ungarn und Polen versuchten die EU-Kommission zu drängen, noch in diesem Monat die Regeln für eine nachhaltige Finanztaxonomie vorzuschlagen, andere Mitgliedsländer forderten noch Bedenkzeit. Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Macron wollen gemeinsam nach einem Kompromiss suchen.